Dortmund. Leere Häuser, Industriedenkmäler, verlassene Orte: Bei einer Ausstellung in Dortmund geht es auf Spurensuche. Dazu gibt‘s Tipps aus NRW.

Allen sind die Brombeeren im Gedächtnis geblieben. Wuchernde Sträucher, die piksen und kratzen, weil sie überall wachsen. Immer wiederkehrende Begleiter der Exkursionen. Sinnbilder für den Lauf der Zeit. Aber auch Proviant für zwischendurch! So darf das allgegenwärtige Gestrüpp beim finalen Rundgang nicht fehlen. Eine kugelrunde blaue Beere empfängt die Besucherinnen und Besucher der „Uzwei“ im Dortmunder U. Hier dreht sich noch bis Anfang Februar alles um Lost Places, vergessene Orte, oder vielmehr um das, was ihre Erkundung bei jungen Künstlerinnen und Künstlern ausgelöst hat. Auf den Spuren der Vergänglichkeit.

„Lost and Found“ ist die Ausstellung überschrieben, die neun junge Leute zwischen 14 und 21 in den Räumen im zweiten Stock eingerichtet haben. Hilfestellung boten professionelle Künstler und Künstlerinnen, die Projektleitung hatten Lioba Sombetzki, Hans Peters und Norman Grotegut. Sie sind immer noch begeistert über die Kreativität des Teams.

Ausflüge zu Lost Places im Ruhrgebiet

Ein Jahr haben sie mit den Jugendlichen gearbeitet. Neben Workshops zur Ideenfindung und künstlerischen Umsetzung standen natürlich Ausflüge zu Lost Places auf dem Programm: Industriedenkmäler, verlassene Gebäude, versteckte Plätze. Einen Ort verrät Norman Grotegut: die Bahntrasse des ehemaligen Hochofenwerks Phoenix-West, mehr wird nicht preisgegeben. Wie heißt es doch so schön auf der Tafel, auf der die Teilnehmer Regeln und Grundsätze für die Erkundung der Lost Places gesammelt haben: „Standort niemals veröffentlichen!“ Aber auch: „Wir sagen Bescheid, wo wir hingehen“. Und: „Wir zerstören nichts!“

Ausstellung Dortmunder U
Lost Places im Dortmunder U: Wer mag, kann selbst einen Kommentar auf den Schultoilettentüren hinterlassen. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Ein bisschen was von der Atmosphäre unterwegs haben die jungen Künstler mitgebracht. Über dem Rundgang schwebt ein eigens gemixter Sound. Vögel zwitschern, Kies knirscht, als würde man drüber laufen. Irgendwo bröckelt Putz, zersplittert Glas, auch das Zischen der Sprühdosen zählt zur Klangkulisse.

„Ist das was“?, fragt Merit Junghans gleich am Eingang. Sie zeigt einen Absperrzaun, zerschnitten und im Kreis gebaut, an einer Seite ist er offen – in diesem Fall kann man also problemlos hinein. Eine Glühbirne sorgt für Schattenspiele, auf dem Boden liegt ein Stein, den die Künstlerin eigenhändig von einem Ausflug nach Hause geschleppt hat. Darauf kauert ein Insekt aus Draht.

Die Ausstellung

Die Ausstellung „Lost And Found. Ein interaktives Ausstellungsprojekt auf der uzwei“ ist bis zum 2. Februar 2025 zu sehen.

Uzwei im Dortmunder U, Leonie-Reygers-Terrasse, 44137 Dortmund

Öffnungszeien sind Dienstag und Mittwoch 11 bis 18 Uhr, Donnerstag und Freitag 11 bis 20 Uhr, Samstag und Sonntag 11 bis 18 Uhr. Montags geschlossen.

Der Eintritt ist frei.

Infos: www.dortmunder-u.de

Es geht Merit um Grenzüberschreitung, um den Nervenkitzel des Verbotenen, der am Ende oft wichtiger sei als der Blick auf das, was sich hinter den Bauzäunen verbirgt, schildert Grotegut. Und es geht um Machtverhältnisse, die durch Regelbrüche umgedreht werden. Gegenüber liegen weiche Kissen, in denen man sich niederlassen darf. Berühren und Probieren ist bei dieser Ausstellung erwünscht. Mika Finn Klöpper schuf hier eine „Interaktive Landschaft“, über die Videobilder von Höhenlinien huschen.

Ausstellung Dortmunder U
Ein altes Klavier spielt eine vergessene Melodie. Eine Arbeit von Leonie Galbarsch. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Ein altes Klavier spielt eine vergessene Melodie (Leonie Galbarasch). Wenig weiter: Drei dicht beschriftete Schultoilettentüren. Ein Werk namens „Message Behind“, ein Ort der Kommunikation. Dahinter entdeckt man Gitarren, LPs und CDs, es gibt auch eine Playlist. Wer mag, kann einen Kommentar hinterlassen. Neben „Das Leben ist schön hart“ ist noch ein bisschen Platz.

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Dazu passt der Film, der nebenan auf einer breiten Leinwand läuft. Bilder aus Marokko, erst eine hektische Stadt, dann das offene Meer (Maryam Kannouj). „Versuch dir vorzustellen, an welchen Orten du dich selbst verlierst…“, sagt die Stimme im Kopfhörer. Ein innerer Lost Place, mit dem das äußere Chaos besänftigt wird. Indes können Ausstellungsgäste ganz hinten in der Ecke mit Hilfe einer VR-Brille eine alte, verlassene Badeanstalt erkunden (Metin Bingöl). Ein fiktiver Lost Place, am Computer zusammengebaut. Dazu passt, was Norman Grotegut am Rande erzählt: Auch im Netz kursierten Bilder von Fake-Lost Places.

Diese Lost Places kann man in NRW ganz legal besuchen

Faszination Lost Places: Hobbyfotografin Karin Grebe besuchte einen Auto-Friedhof im Neandertal.
Faszination Lost Places: Hobbyfotografin Karin Grebe besuchte einen Auto-Friedhof im Neandertal. © privat | Karin Grebe
Die sogenannte Geisterstadt Immerath war ein Stadtteil von Erkelenz, der aufgrund des Braunkohleabbaus weichen musste. Seit 2006 wurden die Bewohner nach (Neu-)Immerath umgesiedelt, das nur acht Kilometer entfernt liegt. Der endgültige Abbau der Stadt fand von 2013 bis Mitte 2018 statt, wobei das Abtragen des Immerather „Doms“ das Ende bedeutete. Mittlerweile ist von Immerath kaum noch etwas übrig. 
Die sogenannte Geisterstadt Immerath war ein Stadtteil von Erkelenz, der aufgrund des Braunkohleabbaus weichen musste. Seit 2006 wurden die Bewohner nach (Neu-)Immerath umgesiedelt, das nur acht Kilometer entfernt liegt. Der endgültige Abbau der Stadt fand von 2013 bis Mitte 2018 statt, wobei das Abtragen des Immerather „Doms“ das Ende bedeutete. Mittlerweile ist von Immerath kaum noch etwas übrig.  © dpa | Arnulf Stoffel
Die alte Hoesch-Zentrale in Dortmund steht seit vielen Jahren leer und hat schon mehrere Eigentümerwechsel und einige Zukunftspläne überlebt. Betreten kann man das Gebäude nicht, aber der 20er-Jahre-Bau ist eine beliebte Fotokulisse. Ein Lost Place mitten in der Stadt. 
Die alte Hoesch-Zentrale in Dortmund steht seit vielen Jahren leer und hat schon mehrere Eigentümerwechsel und einige Zukunftspläne überlebt. Betreten kann man das Gebäude nicht, aber der 20er-Jahre-Bau ist eine beliebte Fotokulisse. Ein Lost Place mitten in der Stadt.  © www.blossey.eu / FUNKE Foto Services | Hans Blossey
Ein weiterer Lost Place in NRW ist alte Bahnhof von Solingen. 1890 wurde er eröffnet und empfing fast 120 Jahre lang Fahrgäste – 2006 wurde er stillgelegt. Heute gilt er als beliebter Spot für Liebhaber verlassener Orte. Das Betreten des Bahngeländes ist verboten. (Symbolbild)
Ein weiterer Lost Place in NRW ist alte Bahnhof von Solingen. 1890 wurde er eröffnet und empfing fast 120 Jahre lang Fahrgäste – 2006 wurde er stillgelegt. Heute gilt er als beliebter Spot für Liebhaber verlassener Orte. Das Betreten des Bahngeländes ist verboten. (Symbolbild) © dpa | Philipp von Ditfurth
Die Kokerei Hansa in Dortmund.
Die Kokerei Hansa in Dortmund steht auf vielen Listen der beliebtesten verlassenen Orte in Deutschland. 1928 begann hier die Produktion von Koks und Kokereigas, Rohstoffe für Stahl und Roheisen. Auf dem Gelände befindet sich die Zeche Hansa, deren Steinkohle über ein Förderband („Hansaband“) in die Kokerei transportiert wurde. Seit 1998 steht die Anlage mit ihren Türmen, Öfen und Maschinen unter Denkmalschutz und kann legal besichtigt werden. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann
Ja, auch Burgruinen sind Lost Places. Burg Hardenstein wurde Mitte des 14. Jahrhunderts erbaut, um sie herum gibt es ein schönes Naturschutzgebiet. Die restaurierte Ruine liegt am Bergbauwanderweg im Muttental in Witten und eignet sich als Ausflugsziel für jedes Alter.
Ja, auch Burgruinen sind Lost Places. Burg Hardenstein wurde Mitte des 14. Jahrhunderts erbaut, um sie herum gibt es ein schönes Naturschutzgebiet. Die restaurierte Ruine liegt am Bergbauwanderweg im Muttental in Witten und eignet sich als Ausflugsziel für jedes Alter. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald
Ausstellung Dortmunder U
Um die Villa Oppenheim am Stadtrand vom Köln anno 1888 ranken sich Legenden. So soll der Geist eines Zwangsarbeiters durchs Haus spuken, der 1943 von den Nazis ermordet wurde. Im zweiten Stock nahmen sich später zwei Männer das Leben. Berichte handeln von unerklärlichen Lichtern, Geistersichtungen oder anderen gruseligen Ereignissen. Das Haus gilt als einer der bekanntesten Lost Places in NRW. Bis 2023 stand es unter Denkmalschutz, nun soll der Abriss bevorstehen. Das Betreten ist untersagt. (Symbolfoto aus der Ausstellung in Dortmund) © FUNKE Foto Services | André Hirtz
Diesen Lost Place schenkte sich der Privatmann Michael Fröhlich selbst zum 50. Geburtstag. Rund 50 Oldtimer hat er sich seinerzeit angeschafft – jetzt stehen sie im Wald und rosten inmitten wilden Efeus und Gestrüpps malerisch vor sich hin, darunter ein Rolls Royce mit der Queen am Steuer und Prinz Charles auf dem Rücksitz. Der Eintritt in den Auto-Skulpturen-Park kostet zehn Euro, mit Fotogenehmigung 20 Euro. 
Diesen Lost Place schenkte sich der Privatmann Michael Fröhlich selbst zum 50. Geburtstag. Rund 50 Oldtimer hat er sich seinerzeit angeschafft – jetzt stehen sie im Wald und rosten inmitten wilden Efeus und Gestrüpps malerisch vor sich hin, darunter ein Rolls Royce mit der Queen am Steuer und Prinz Charles auf dem Rücksitz. Der Eintritt in den Auto-Skulpturen-Park kostet zehn Euro, mit Fotogenehmigung 20 Euro.  © privat | Karin Grebe
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Juri Muzychenko hat die Geschichte des Bergbaus fasziniert: Da steht ein kleiner Backsteinbau, einem Werksgelände nachempfunden, an den Mauern hängen Kohlezeichnungen von einem Wachhund, Arbeitern, einem Industriegelände. Und Adelina Lavrentyev ließ ein altes Poesiealbum von 1890, das sie auf dem Flohmarkt entdeckt hat, nicht mehr los. Ein Gruß aus der Vergangenheit. Hier schrieb Mutter Anna vor über 100 Jahren an ihre Tochter Hildegard und nannte sie liebevoll „Hildemaus“. Adelina hat daraus ein gleichnamiges Videospiel gemacht, bei dem man durch Buchseiten und Fantasiewelten reisen kann.

Und dann ist da noch das Rosa Haus, das Hayati in Szene setzte, Mitglied der Ruhrtalente Gelsenkirchen. Ein Lost Place im Libanon, eine Ruine. Wir sehen schimmelige blassrosa Wände, an deren authentischer Vermoderung stundenlang gearbeitet wurde. Schutt in der Ecke, handzertrümmert - in der Mitte Geröll mit Spuren vergangenen Lebens, eine Kanne, Tabak. Ein Arm ragt empor. Wer mag hier gewohnt haben?

Ausstellung Dortmunder U
Die Ausstellung „Lost and Found“ im Dortmunder U: Erinnerungsstücke an der Wand des Rosa Hauses. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Die Arbeit erinnert an die alte Heimat, in der der Umgang mit verlassenen Gebäuden ein anderer ist, wie Norman Grotegut während des Aufbaus erfuhr. So hinterlassen Bewohner etwa Sprüche an den Wänden. Schon während des Bürgerkrieges sind im Libanon viele Lost Places entstanden, Menschen mussten ihr Zuhause verlassen, gingen fort. Und so atmet hier die arabische Songzeile der Sängerin Fairouz an der Wand ein wenig Hoffnung. „Wir kehren zurück, mein Lieber, wir kehren zurück“. Sieht aus, als würde das Haus darauf warten.