Essen. Nach 16 Jahren kehrt die Gothic-Band zurück – und mit „Songs Of A Lost World“ ist sie so überwältigend wie am Ende der 80er-Jahre.
Wenn man ganze 16 Jahre lang fleißig Kerzen anzündet und sehnsuchtsvoll betet, damit endlich ein neues Album von The Cure erscheint, wird man als Fan wohl mindestens ein episches und überwältigendes Werk erwarten, voller Trauer, Sehnsucht und Düsternis, garniert vielleicht mit ein paar Spinnweben. Nun ist es so weit und man kann sagen: „Songs Of A Lost World“ hält genau das, was man sich davon versprochen hat.
- Neues Album der Pixies: Im zweiten Leben, aber nie erwachsen
- Professor Punk: Wie Campino an der Uni die Lyrik erklärt
- Tears For Fears mit neuem Album: Hymnen für die Ewigkeit
- Songtexte-Buch „Ich will ich sein“: Rio Reiser, der Einzige
- Halloween-Partys in NRW: Von Dunkeldisco bis Grusel-Rave
Auf ihrem endlosen Trip in die seelischen Abgründe haben The Cure uns seit den späten 1970er-Jahren in viele schwarze Löcher starren lassen, etwa beim 1983er-Album, das mit der destruktiven Zeile „It doesn‘t matter if we all die“ beginnt, später dann auf dem traumhaft verwobenen „Disintegration“.
Immer wieder Vergleiche mit „Disintegration“
Und mit Songs von „Disintegration“ wurde auch schon das auf der letzten Tour zu hörende „Alone“ verglichen. Was man in gewisser Weise fürs gesamte neue Album bestätigen kann: In seiner Komplexität und Versponnenheit ähnelt der Grundton dem alten Meisterwerk von 1989. Allerdings mit einem entscheidenden Unterschied: Auf „Disintegration“ gab es immerhin drei Songs („Lullaby“, „Pictures Of You“ und „Lovesongs“), die auf Anhieb als Radio-Hits erkennbar gewesen sind.
Diesen Fan-Service verweigert der heute auch schon 65 Jahre alte Robert Smith nun mit seinen Liedern von der verlorenen Welt. Was aber gar nichts Schlechtes bedeuten muss.
Kaum ein Song ist kürzer als fünf Minuten, einer bringt es auf zehn
Für das neue Album muss man sich genügend Zeit nehmen, es ist wie mit einem Spaziergang durch einen nebligen Wald: Man darf nicht hetzen, sonst kommt keine Stimmung auf. Und neblige Herbststimmung ist genau das, was hier geliefert wird, ein perfekter, wehmütiger Soundtrack für den Trauermonat. Kaum ein Song ist kürzer als fünf Minuten. Und so viel Zeit brauchen sie auch, um sich zu entfalten.
Lesen Sie auch: 17.000 Fans feiern The Cure in Kölns Arena
Das Album ist von vorn bis hinten durchkonzipiert, der Intro-Song „Alone“ beginnt mit der Zeile „This is the end of every song I sing“ und endet nach acht Songs in fünfzig Minuten mit „Left alone with nothing at the end of every song“. Die Musik ist also alles, woran man sich festhalten kann – und selbst sie hat ein Ende.
Was nun zwischen diesen schwarzmalerischen Zeilen passiert, wird sicherlich nicht für einen Gute-Laune-Preis nominiert: Ein reifes Album, das sich mit Verlusten und der Erholung davon auseinandersetzt, mit vergangenen Illusionen und dem Leben voller Erinnerungen daran.
Kein Wunder, schließlich hat Robert Smith seit dem letzten Album Mutter, Vater und Bruder verloren. Weshalb „I Never Can Say Goodbye“ einen ergreifenden Klagegesang zu einem Piano-Motiv anstimmt – der emotional tiefgreifendste Moment des Albums.
In „And Nothing Is Forever” und „A Fragile Thing“ dreht sich alles gitarrenschwer um die unerfüllte Liebe. Ein bisschen tanzfreundlicher geht es zu bei „Drone:NoDrone“ und „All I Ever Am“.
Das letzte Album stammt aus einer Zeit vor Spotify und Taylor Swift
The Cure laufen instrumental zu Höchstform auf, angefangen bei den Basslinien von Simon Gallup, dem einzigen aus den 1970er-Jahren verbliebenen Mitglied. Doch auch Gitarrist Reeves Gabrels und Keyboarder Roger O’Donnell erhalten schier endlose Flächen für ihre Instrumente.
Es ist erstaunlich, dass eine Band nach so langer Zeit so stark zurückkehrt. Denn man muss sich vorstellen: Als das letzte Cure-Album „4:13 Dream“ im Jahr 2008 herauskam, war die Musikwelt noch eine andere. Es gab noch kein Spotify, die Menschen kauften CDs, das erste Post-Punk-Revival lag gerade hinter der Musikwelt, im Radio lief „Sex On Fire“ und Taylor Swift landete zum allerersten Mal in den deutschen Charts.
Dennoch sind The Cure mit „Songs Of A Lost World” komplett im Hier und Jetzt angelangt – und die Spinnweben im Sound sind bloß ein stilistisches Mittel und kein Zeichen von Staub auf der schwarzen Seele.
The Cure: Songs Of A Lost World, Polydor/Universal. Kostenloser Live-Stream am 1 . November, 21 Uhr auf dem Youtube-Kanal von The Cure