Essen. Diesmal entführt Wittekindt in die 60er, in ein Dorf bei Wilhelmshaven. Ein erster großer Einsatz für Manz, den Kommissar ohne Vornamen.
„Hinterm Deich geht’s weiter“, so ähnlich heißt es ja –, aber nicht mehr mit Stricker & Sörensen, die wir zuletzt schon hinreichend gelobt haben. Und wir wechseln von Nord- nach Ostfriesland, wo wir aber einen alten Bekannten in seinen jungen Jahren treffen, den Kommissar Manz, der seine ersten Fälle noch in Westberlin gelöst hatte, bis er nach der Wiedervereinigung nach Dresden und zum Kriminaldirektor befördert wurde.
Nun steht er in seinen Siebzigern, mit allen Freuden und Sorgen dieses Alters, einem ruhigen Alltag, aber sehr lebhaften Erinnerungen. Davon profitiert sein Erfinder Matthias Wittekindt, indem er eine ganze Serie von Fallgeschichten erzählt, die verschiedenen Phasen der deutschen Nachkriegsgeschichte, aber auch die „Werdejahre“ seines jungen Helden beleuchtet, der dann als „Manz“ durch alle Folgen geht, ohne dass wir je seinen Vornamen erfahren.
Der Krimi „Hinterm Deich“ spielt im Dorf Sandesiel bei Wilhelmshaven
Zuletzt führte uns die Erinnerung des Kriminaldirektors a.D. weit zurück, ins Jahr 1961: Als Schüler, noch in der DDR, kommen ihm während der Ferienarbeit in einem mecklenburgischen Dorf erste Zweifel an den (un)menschlichen Kosten der sozialistischen Zwangsmodernisierung. Zugleich genießt er auf der roten Jawa, dem Kultmotorrad aus der Tschechoslowakei, und mit der blonden Maja (19) unterm Holderbusch die Wonnen des „ersten Mals“ (Die rote Jawa, 2022).
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Inzwischen ist Manz drei Jahre älter und „Westdeutscher“ geworden, zur Zeit Polizeianwärter bei der Polizei Oldenburg, Außenstelle Sandesiel, das wir uns in der Nähe von Wilhelmshaven vorstellen dürfen. Das Dorf hinterm Deich besteht aus großen, mehr oder weniger professionell bewirtschafteten Höfen, mit Hühnern, Schafen, etwas Ackerbau und jeder Menge von Geheimnissen und Gerüchten.
„Hinterm Deich“: keine spektakulären Mordfälle, keine aufregende Action
Da gelingt es dem Hilfspolizisten überraschend schnell, sich zurechtzufinden, nach wie vor fasziniert von zweierlei: dem Motorsport und den Frauen. Warum der rote Alfa Romeo in der gefährlichen Kurve zu Bruch ging und zwei Tote hinterließ – das findet der Polizeianwärter geradezu detektivisch heraus. Ein fehlender Splint im Motor war schuld – Manz hat ihn gefunden und sein Standing bei den biederen Kollegen definitiv gesichert.
Und dann die „Mädels“: Wiebke, die resolute junge Chefin auf dem Hof, Heike, ihre „behinderte“ Schwester (die aber heimlich Fontane liest), die aufdringliche Resa, und schließlich Kirsten, die eigentlich Christine heißt. Mit ihr kommt es zu einer Szene, die gar nicht „hinterm Deich“ sondern in der Düne davor spielt – deren Tragweite wir aber erst fünfzig Jahre später bei einem Familientreffen der Manzens in Berlin ermessen können…
Also: Keine spektakulären Mordfälle, keine aufregende Action wie beim Kollegen Stricker. Matthias Wittekindt ist und bleibt ein Autor der genauen Beobachtung, der leisen Töne und des subtilen Humors. Und ganz nebenbei ein Chronist deutscher Zeitgeschichte. Lesenswert für ruhige Stunden.
Matthias Wittekindt: Hinterm Deich. Ein Fall des Kriminaldirektors a.D. Manz, Kampa Verlag, 302 S., 19,80 €