Berlin. „Sterben“: Lars Eidingers neuer Film kreist ums Ende. Im Interview spricht er über den Tod - und über das Weinen vor der Kamera
Er studierte mit Nina Hoss, Devid Striesow und Fritzi Haberlandt an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin. Danach wechselte Lars Eidinger, Jahrgang 1976, zum Ensemble der Berliner Schaubühne. Mit dem Beziehungsdrama „Alle anderen“ von Maren Ade folgte 2009 sein Durchbruch im Kino. Zu seinen Kinofilmen gehören „Was bleibt“ von Hans-Christian Schmid, „Die Wolken von Sils Marie“ mit Kristen Stewart und „Mackie Messer - Brechts Dreigroschenfilm“. Nun spielt er im Drama „Sterben“ einen Dirigenten, der einige Probleme mit seinen Eltern, seiner Ex-Freundin sowie seinem besten Kumpel klären muss. Auf der Berlinale gab es für Autor und Regisseur Matthias Glasner den Bären für Bestes Drehbuch. Sowie neun Nominierungen für den Deutschen Filmpreis, darunter für Lars Eidinger als Bester Darsteller. Mit dem Schauspieler unterhielt sich unser Mitarbeiter Dieter Oßwald.
„Lass mich!! - „Ja ich lass dich“ heißt es in einer Szene, in welcher der Freund ihrer Figur seinen Selbstmord ankündigt. Würden Sie ähnlich handeln wie Tom, den Sie spielen?
Eidinger: Das ist eine schwierige Frage. Ich glaube nicht. Vermutlich wird per se erst mal jeder sagen, er würde so nicht handeln. Im Film führt das zu dem Konflikt mit der Exfreundin, die sagt, das kannst du nicht machen. Es ist im Grunde das, womit der ganze Film spielt. Er stellt die Fragen: Was ist eigentlich der Tod? Was meint das Leben? In welcher Abhängigkeit steht beides zueinander?
Wie sehen Ihre Antworten darauf aus?
Eidinger: Das kann ich sehr gut nachvollziehen. Ich weiß noch, wie ich mich als Kind, da war ich acht oder so, auf meinem Kindergeburtstag auf die Fensterbank gestellt hatte und sagte: Ich springe jetzt runter! Das fand ich interessant, weil es an meinem Geburtstag war. Man spürt das Leben vielleicht in dessen Abwesenheit am meisten. Je länger ich lebe und je mehr ich mich mit Kunst beschäftige und mit dem Filmemachen und Theaterspielen, merke ich, dass es immer in erster Linie ein Memento mori ist und eine Bewußtmachung dessen. Und ein Wertschätzen, dass das Leben endlich ist und dass es dadurch seinen Reiz erfährt. Ein Leben ohne den Tod gibt es nicht gibt. Oder wie Hölderlin sagt: „wir sterben, um zu leben.“ Also man darf sich nichts vormachen, Der Tod wartet ja nicht am Ende des Lebens auf einen, sondern er begleitet einen.
Die Drohung mit dem Sprung war dem Kind aber nicht ernst?
Eidinger: Nein, das war nur ein Kokettieren damit. Ich wollte auch nicht runterspringen. Es ging mir vielmehr um Selbstermächtigung und -erkenntnis.
Lars Eidinger: Musik hat ihn in „Sterben“ zum Weinen gebracht
Am Ende des Films gibt es eine lange Szene, in der Sie als Dirigent sehr emotional auftreten und auch zu weinen beginnen. Woran denken Sie bei so einer intensiven Darstellung?
Eidinger: An die Musik! Tatsächlich habe ich das Dirigieren so fleißig und akribisch gelernt, dass ich wirklich die ganzen Stücke von vorne bis hinten durchdirigieren konnte. Auch was die Taktwechsel angeht, die sind sehr kompliziert. Also das ist ein 2/4 Takt, ein 3/4 Takt, ein 4/4 Takt. Und es ändert sich die ganze Zeit. Da könnte man jetzt fast sagen, es ist vergebene Liebesmüh, weil man das im Film ja gar nicht sieht. Keiner weiß, ob das überhaupt stimmt, was ich da mache.
Wie wichtig ist diese penible Vorbereitung?
Eidinger: Je länger ich den Beruf mache, desto mehr merke ich, dass ich am besten funktioniere, wenn ich mich nicht vorbereite. Also wenn ich unvorbereitet in so eine Szene gehe. Das heißt, ich nehme mir vor so einer Szene überhaupt nichts vor, außer dass ich möglichst offen bin. Ich lasse dann einfach die Musik auf mich wirken. Natürlich spielt mit hinein, dass mir die Situation einfällt mit meinem Freund und dass ich seine zurückgelassene Freundin sehe, die Cello spielt. Wenn da im Drehbuch stehen würde „er weint“ könnte ich das nicht leisten. Ich kann nicht auf Knopfdruck weinen. Ich kann nur versuchen, mich der Situation gegenüber naiv zu machen.
Premiere in Essen mit Corinna Harfouch
Die Filmpremiere von „Sterben“ findet mit prominenter Beteiligung am Donnerstag, 18. April, 19.30h, in Essens „Lichtburg“ statt. Als Darsteller haben unter anderem Corinna Harfouch und Ronald Zehrfeld ihr Kommen zugesagt, auch Regisseur Matthias Glasner reist an.
Bei Redaktionsschluss gab es noch Karten für die Vorstellung. Achtung: Der Film ist erst für Zuschauerinnen und Zuschauer ab 16 Jahren!
Tom und sein Freund reden in einer Szene einmal über den schmalen Grat, den man bei der Musik zwischen Kitsch und Wahrheit treffen muss. Ist das auch Ihr tägliches Brot?
Eidinger: Im Film heißt es: „Kitsch ist, wenn das Gefühl die Wirklichkeit nicht erreicht“. Genau das ist das tägliche Brot des Künstlers, der Künstlerin. Man versucht, dass es da eine Übereinstimmung gibt und dann wird es glaubwürdig. Was überhaupt nicht bedeutet, dass es einem immer gelingen muss. Oder wie es im Film einmal heißt: „Ab jetzt ist es nicht mehr mit einem Stiletto fein säuberlich ziseliert, sondern ab jetzt ist es Kettensägenmassaker.“
Wann sind Sie zufrieden mit Ihrer Arbeit?
Eidinger: Mit einem gewissen Abstand kann ich auf mich schauen und sagen: „Hast du gut gemacht!“. Das wird mir bisweilen als Überheblichkeit vorgeworfen, aber ich verweigere mich dieser Koketterie, sich vorgeblich schlecht zu finden. Man muss in diesem Beruf schon ein Wirkungsbewusstsein entwickeln, sonst funktioniert er doch gar nicht
„Sterben“ gewann einen Bären auf der Berlinale. Wie wichtig sind solche Auszeichungen?
Eidinger: Offen gesagt ist es so, dass man schon beim Filmemachen immer denkt, hoffentlich wird er auf einem Festival eingeladen, damit der Film überhaupt erstmal eine Präsenz erfährt und Aufmerksamkeit. Die Wahrscheinlichkeit allerdings, dass man tatsächlich auf der Berlinale im Wettbewerb läuft oder in Cannes oder Venedig ist wahnsinnig gering. Wenn es geklappt hat, dann ist die Freude um so größer. So verhält es sich mit Preisen ebenfalls. Natürlich spekuliert man irgendwie drauf oder wünscht es sich, aber die Wahrscheinlichkeit, dass es klappt, ist so gering. Wir durften einen Film machen, das kann uns keiner mehr nehmen und es geht letztendlich um dieses Machen. Das ist die Auszeichnung. Das ist der Preis. Alles was jetzt danach kommt, ist die Kirsche auf der Sahne.
Gibt es eine Szene, die für Sie die perfekte Eidinger-Szene wäre?
Eidinger: Im Grunde ist der ganze Film „Alle anderen“ von Maren Ade die perfekte Eidinger-Szene. Diesen Film kann ich mir immer wieder anschauen und ich würde nichts anders machen wollen. Ich weiß, wie anstrengend das war und wie wir diese vielen Wiederholungen von Maren verflucht haben. Ich kann mich an keinen Abend erinnern, an dem ich damals nicht verzweifelt meine Frau angerufen habe. Aber wenn ich jetzt das Ergebnis sehe, dann ist dieser Film zu Hundert Prozent gelungen.