Essen. Superstar Usher war fast in der Versenkung verschwunden. Mit dem Super Bowl-Auftritt und dem neuen Album „Coming Home“ kehrt er zurück.
Ein Auftritt, der vor mehr Publikum stattfindet als jener in der Halbzeit des Super Bowl, der muss erst noch erfunden werden. Und so war die 13-Minuten-Show im Innenraum des Allegiant Stadiums, während die Athleten der Kansas City Chiefs und der San Francisco 49ers ein wenig durchschnauften, der Michael-Jackson-Moment des Usher Raymond IV.
Man hatte ja gar nicht mehr auf dem Schirm, wie viele Hits dieser Usher doch schon in seinem Bauchbeutelchen gesammelt hat! Okay, die riesigsten Erfolge sind jetzt auch schon so lange her wie die Präsidentschaft Bill Clintons. Lange vor Nacheiferern wie Justin Timberlake bezirzte der Charmeur nämlich schon das ganz große Publikum mit verführerischem, leicht laszivem aber auch nie über die Maße anzüglichem R&B, Soul und Pop.
Der erste Titel auf Ushers neuem Album „Coming Home“ erinnert an Michael Jackson
Ushers monströseste Erfolgssongs hießen „You Make Me Wanna…“, „U Remind Me“, „U Got It Bad“ und, ganz besonders auch bei uns, „Yeah!“, der bis heute in den Clubs läuft. Allein von seinem vierten Album „Confessions“, 2004 erschienen, verkaufte er unvorstellbare zwanzig Millionen Exemplare.
Anschließend flachte die Usher-Kurve in Europa ab, doch in seiner Heimat blieb er immer oben. Er gab den Gastjuror bei „The Voice“, spielte zwei Jahre lang seine „My Way: The Las Vegas Residency“ und hatte schließlich im vergangenen September den Kollegen
am Ohr, der mit seiner Firma Roc Nation seit 2020 für Ausrichtung und Besetzung der Halbzeit-Show beim Super Bowl verantwortlich zeichnet. „Er meinte zu mir“, so Usher gegenüber der US-amerikanischen Vogue, „das wird dein magischer Moment. Dein Michael-Moment.“ Mit seinem Super-Bowl-Auftritt 1993 gab Michael Jackson seiner bereits leichte Lädierungen aufweisenden Karriere den vielleicht letzten signifikanten positiven Schub.
Ob es also Zufall ist, dass „Coming Home“, der Titel- und zugleich erste Song auf Ushers neuem Album, so sehr an den gefallenen King of Pop erinnert? Kaum. Die Jackson-typischen Kiekser, Stöhner, Schmachter – alles vorhanden auf dieser hochglanzpolierten, vom nigerianischen Afrobeat-Mann Burna Boy verfeinerten Pop/R&B-Halbballade. Mit dem Namen des Liedes spielt der Vater von vier Kindern gewiss auch darauf an, dass er „seit 30 Jahren darauf hinarbeitet, genau dort oben auf dieser Bühne in diesem Moment“ zu stehen. Herrlich amerikanisch.
Usher und Taylor Swift beim Super-Bowl – und der American Football hat neue Fangruppen
Aber wer Usher kennt, wird wissen, dass dieser Musiker körperlich und mental wirklich immer topvorbereitet ist. Ferner eilt ihm der Ruf voraus, sich nett, umgänglich und wie ein Gentleman zu gebärden, 85 Prozent seines Publikums, so heißt es, seien weiblichen Geschlechts. Nicht nur Taylor Swift, die Freundin von Chiefs-Tight-End Travis Kelce, sorgt also dafür, dass sich der American Football gerade ganz neue Fangruppen jenseits der Bier-und-Barbecue-Boys erschließt.
Doch zurück zu „Coming Home“, Ushers erstem Studioalbum seit 2016. Die Platte ist nicht schlecht und ganz schön smart. Neben der Jackson-Referenz gibt es nämlich auch eine Verneigung vor dem gerade wieder mit einer neuen Single aufwartenden Billy Joel. „A-Town-Girl“, ein Duett mit R&B-Sängerin Latto, stützt sich auf Joels alten Hit „Uptown Girl“ und macht seine Sache gut. Überzeugen können auch „Good Good“ (mit Summer Walker und 21 Savage), worin Usher die Möglichkeit auslotet, nach einer Beziehung befreundet zu bleiben, oder „On The Side“, wo es um die interessante Frage geht, wie sehr man sich in seine Affäre verlieben darf, bevor das zum Problem wird.
Ushers Ballade „Risk It All“ ist auch im Kinofilm „Die Farbe Lila“ zu hören
Auch wenn Usher seine schnörkellose und an The Weeknd angelehnte Pop-Seite feiert wie auf „Kissing Strangers“ und „Keep On Dancin‘“, hat das erstklassigen Unterhaltungswert. Den vielleicht stärksten Eindruck macht die so intime wie charismatische Pianoballade „Risk It All“, die Usher gemeinsam mit H.E.R. intoniert und die auch im Film „Die Farbe Lila“ zu hören ist.
Der Haken: Das Album ist mit seinen zwanzig Songs und 67 Minuten Laufzeit viel zu lang, um mindestens ein Drittel. Irgendwann verliert man in der immergleichen und gelegentlich leicht sülzigen Midtempo-R&B-Beischlafskonstellations-Leier Überblick und Interesse, wacht aber immerhin noch rechtzeitig auf, um mit dem von Andrew Watt (Ozzy, Miley) und Cirkut (Katy Perry) produzierten Schlusssong „Standing Next To You“ für einen wirklich furiosen Discokugel-Abschluss zu sorgen.