Essen. Steven Spielbergs Klassiker „Die Farbe Lila“ mit Gesang als Film. Außerdem auf der Leinwand: „All Of Us Strangers“ und „Reality“
„All Of US Strangers“ – jetzt im Kino. Ein Film als Traumgespinst, mit Jamie Bell und Claire Foy
Adam, Anfang Vierzig, schreibt Drehbücher und wohnt in einem fast leeren Hochhaus an der Peripherie Londons. Eines Abends klopft jemand an der Tür. Harry kommt aus einem Apartment zwei Stockwerke höher und war neugierig, weil er Licht hinter Adams Fenster sah. Adam redet wenig, Harry trinkt zu viel, aber trotz ihrer Unterschiede in Wesen und Auftreten freunden die Beiden sich an und verbringen die Nacht miteinander. Tage danach fährt Adam mit dem Vorstadtzug in eine kleine Ortschaft und besucht das Haus, in dem er aufwuchs. Seine Eltern empfangen ihn herzlich und sehen genauso aus wie an jenem Abend, als sie bei einem Autounfall ums Leben kamen. Adam genießt den Augenblick und beschließt wiederzukommen.
Ein seltsamer Film ist dies, ungreifbar wie ein Traumgespinst mit seiner kühlen, unheimlichen Hochhausatmosphäre, wo die Entfremdung den Menschen die Wärme aussaugt, Gefühle nur noch auf dem Papier stattzufinden scheinen. Und da ist der andere Handlungsstrang, angesiedelt in der 80er-Jahren und so warmherzig, wie man es sich nur wünschen mag.
Das Bindeglied ist der schmallippige Andrew Scott (Professor Moriarty aus der Serie „Sherlock Holmes“), der zusammen mit Paul Mescal („Aftersun“) das Gegenwartspaar bildet. Jamie Bell (einst „Billy Elliott“) und Claire Foy („The Crown“) sind die Eltern in dieser Verfilmung des japanischen Romans „Sommer mit Fremden“ von Taichi Yamada, mit konventionellen Realitätsbegriffen nichts am Hut hat. Regie führte Andrew Haigh, der ein Faible hat für schwule Liebesbeziehungen und Charaktere, die zusammenleben, obwohl eigentlich alles dagegen spricht. So ist das auch hier. Erneut zeigt sich, dass Haigh zwar eine scharfe Beobachtungsgabe für Details hat, abe ein mitreißender Erzähler oder Bildgestalter ist er nicht. Man sollte sich also darauf einstellen, dass dieser in Expertenrunden hoch gefeierte Film vor allem eine Geduldsprobe sein kann.
Der Spielberg-Klassiker „Die Farbe Lila“ neu verfilmt, ab heute im Kino
Das an Arbeit, Entbehrungen und Erniedrigung reiche Leben einer schwarzen Frau in den Südstaaten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Frei nach Alice Walkers Briefroman von 1982 und Steven Spielbergs Verfilmung von 1986, aber sehr konkret nach dem Broadway-Musical von 2005 kommt eine aufwändige, vom Zeitgeist zu Beginn der 2020er-Jahre getränkte Produktion daher, für die Prominente wie Oprah Winfrey, Quincy Jones und Steven Spielberg) das Geld gaben. Jede Einstellung atmet schwarzes Selbstbewusstsein, und doch wirkt alles seltsam weichgespült, als ob das potenzielle weiße Publikum nicht verschreckt dem Kino fern bleiben soll. Die Regie des ghanaischen Allround-Künstlers Blitz Bazawule setzt auch in bittersten Momenten auf schicke Werbe- und Musikclip-Optik. Die Songs haben alle Klasse, die Inszenierung der Musiknummern kupfert ungeniert bei Lars von Triers „Dancer in the Dark“ ab. Es wundert also nicht, dass der erhoffte Oscar-Segen ausblieb. Nur Nebendarstellerin Danielle Brooks wurde nominiert.
„Reality“ ist ein toll gespielter Thriller für Zuschauer mit Köpfchen
Eine junge Frau wird vor ihrem Haus in Augusta, Georgia von Spezialagenten des FBI gestellt und einem Verhör unterzogen. Ein wahrer Fall aus dem Jahr 2017 lieferte die Grundlage für Tina Satters Bühnenstück, das die Autorin nun fürs Kino ausarbeitete – und das sehr geschickt und mit maximalem Ertrag an emotionaler Aufwühlung. Ist man anfangs noch empört über die Impertinenz der Bundespolizisten, schleichen sich zusehends Momente der Verunsicherung ein. Das Dialogbuch nutzt weitestgehend den authentischen Tonmitschnitt des Verhörs, was die verstörende Wahrhaftigkeit des Films nochmals erhöht. Sydney Sweeney (aktuell auch in „Wo die Lüge hinfällt“) spielt die Rolle der Verhörten mit einer sagenhaft glaubwürdigen Unbedarftheit. Thrillerkino für denkende Leute.