Essen. Weltklasse-Niveau: Der neue Roman des australischen Autors erzählt von Inspector Hal Challis’ siebtem Fall. Unser Krimi des Monats September.
Immer wenn ein neuer Krimi von Garry Disher erscheint, also alle zwei Jahre, geschieht hierzulande Folgendes: Erst greift das deutsche (auch schweizerische) Lesepublikum gierig zu; dann gehen der Literaturkritik die Superlative aus (kann ja nicht immer dasselbe schreiben!); schließlich landet das Buch auf einem Spitzenplatz der Krimi-Bestenliste und heimst auch einen Deutschen Krimipreis ein (bisher schon vier oder fünf).
Dishers Erfolg geht auf seine deutsche Urgroßmutter zurück
Das ist nach wie vor erklärungsbedürftig; denn Mr. Disher ist einer unserer „Gegenfüßler“ (wie man einst sagte) aus dem fernen Australien, lebt auf der Mornington-Halbinsel südlich von Melbourne – auf dem Globus also mehr oder weniger „gegenüber“ vom Ruhrgebiet. Seine Erklärung, der Erfolg gehe auf seine deutsche Urgroßmutter von Hirschhausen (genau: wie der TV-Moderator!) zurück, müsste aber erst noch belegt werden. Das lassen wir mal und geben uns mit dem Urteil eines Kollegen zufrieden: Dishers Krimis seien „geradezu unheimlich beständig stets auf Weltklasse-Niveau“.
Dieser hier, „Funkloch“, der siebte in einer Reihe mit Inspector Hal Challis, beginnt weit draußen, zwischen Tierkadavern, verwehten Straßen, Sandstürmen, Buschbränden, verfallenen Anwesen: ideales Versteck für einen abgezehrten Junkie und Drogenkoch. Aber weit unter ihrem Niveau, finden die Auftragskiller aus der Metropole. Nur blöd, dass einer nach getaner Arbeit die letzte Kippe ins trockene Gras wirft.
Auf den Spuren eines Drogenkartells
So kann Inspector Challis später nur noch das schwarze Skelett eines hochwertigen Automobils aus südwestdeutscher Produktion begutachten. Dann muss er selbst über diese unselige Straße mit ihren Schlag- und „Funklöchern“ (sie sind das Leitmotiv in diesem Roman) zurück in die Stadt und sich durch das Labyrinth des hochprofessionellen Drogenkartells arbeiten, dessen lose Enden er da draußen entdeckt hat. Waterloo, wo Challis und sein Team stationiert sind, ist übrigens (vermutlich aus gutem Grund) ein fiktiver Ort mitten in einer sonst sehr exakt beschriebenen Gegend.
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Da stößt er auf weitere Probleme: den perfekt organisierten Klau großer Landwirtschaftsmaschinen, einen Serienvergewaltiger mit üblem Körpergeruch (der ihm schließlich zum Verhängnis wird); und privat muss er sich um den Heiratsschwindler kümmern, der es aufs Millionenerbe der naiven Schwester von Hals Lebensgefährtin Ellen (als Kollegin für Sexualdelikte zuständig) abgesehen hat. Und dann noch eine Hilfspolizistin, die aus Not zur Verräterin wird.
Ein Kosmos des Bösen in allen Formaten und Tonarten
Als wäre das nicht genug, marschiert schließlich die oberste Drogenbekämpferin Serena aus Melbourne ein und will nicht nur das dienstliche, sondern gleich auch das erotische Kommando über Hal übernehmen. Ohne Erfolg, wie wir schon ahnen.
In „Alice im Wunderland“ gibt es ja den „Verrückten Hutmacher“ als obersten Schurken, hier nun den durchgeknallten Großbäcker, zugleich der gesuchte Drogenbaron.
Alles in allem: ein Kosmos des Bösen in allen Formaten und Tonarten, gut 350 Seiten lang. Wie kann es sein, dass wir nach der Lektüre nicht verzweifeln? „Habe mich oft gefragt und keine Antwort gefunden“, wie der Dichter Gottfried Benn einst schrieb.
Aber vermutlich hat die Kollegin Sylvia Staude, ohnehin die beste deutsche Krimikritikerin, uns schon den richtigen Hinweis gegeben: „Kein Krimiautor beschreibt so normale, so fehlbare Menschen wie es Garry Disher tut. Auch wenn sie die Guten sind.“