Essen. Im Interview sprechen Sänger Kai Wingenfelder, 63, und Gitarrist Christof Stein-Schneider, 61, über neue Songs, das Alter und vergangene Zeiten.

Die Band aus Hannover ist eine deutsche Institution. Von Ende der 80er Jahre bis zum Ausbruch des Grunge-Booms hatten die hemdsärmelig auftretenden Musiker von Fury in the Slaughterhouse mit Hits wie „Radio Orchid“ und „Won’t Forget These Days“ ihre größte Zeit.

2008 gingen die sechs im Streit auseinander, 2017 kamen sie wieder zusammen, das Comeback-Album „Now“ lief 2021 erfolgreicher als gedacht. Nun folgt mit „Hope“ die Fortsetzung, parallel zur Tour. Produziert vom Münsterländer Vincent Sorg (Tote Hosen, Broilers) spielen sich Fury durch eine muntere Mixtur aus sehr melodischem Pop, ein wenig Rock und einem signifikanten Quäntchen Pathos. Steffen Rüth sprach mit Sänger Kai Wingenfelder, 63, und Gitarrist Christof Stein-Schneider, 61.


Kai Wingenfelder, in „Always Now“ singen Sie: „Die guten alten Zeiten sind immer genau jetzt.“ Sie halten wohl nicht viel davon, die Vergangenheit zu verklären?

Kai Wingenfelder: Nein, echt nicht. Gestern ist gestern. Das Leben passiert heute. Wir sollten nicht dort hängenbleiben, was früher einmal war, sondern das Leben hier und jetzt wertschätzen und so gut es geht auskosten.

Allerdings sind Sie als Band selbst Experten in Sachen Nostalgie. Ihre Neunziger-Jahre-Hits wie „Won’t Forget These Days“ oder „Time To Wonder“ laufen besonders häufig auf Klassentreffen und ähnlichen Veranstaltungen.

Wingenfelder: Das ist richtig. Für nicht wenige Menschen war und ist die Musik von Fury In The Slaughterhouse ein Soundtrack fürs Leben. Und sie gehen ja auch nirgendwo hin, die alten Nummern. Im Gegenteil: Unsere Plattenfirma hatte kürzlich die Idee, von „Won’t Forget These Days“ einen Remix bei dem Berliner Dance- und House-Duo Vize in Auftrag zu geben. In einer Musikrichtung also, der wir uns sehr nahe fühlen (lacht). Wir erkennen den Song kaum noch wieder.

Sie hätten ja auch nein sagen können...

Wingenfelder: Wir haben die mal machen lassen. Und jetzt läuft die Nummer vor allem in Frankreich rauf und runter. Warum auch nicht? Mit dem eigentlichen Song hat die Version jedoch nur noch gemeinsam, dass mein Gesang drauf ist.

Christof Stein-Schneider: So etwas ist uns Mitte der Neunziger schon mit „Radio Orchid“ passiert. In Bayern lief immer nur der Remix im Radio, den Mousse T. gemacht hat. Bei unseren Konzerten waren viele Leute dann ziemlich verwirrt.

Sie haben seinerzeit auch in den USA gespielt, waren am Rande einer Weltkarriere. Hätten Sie Spaß daran, die ganze Sache nochmal etwas internationaler anzugehen?

Wingenfelder: Wie sagen die Amerikaner so schön: Been there, done that. Das haben wir alles schon erlebt und müssen es heute nicht noch einmal haben. Wenn uns jetzt jemand nach Japan oder Mexiko oder so einladen würde und sagt „Ihr könnte eine Woche bleiben“, dann würden wir uns das überlegen, aber im Grunde finden wir eine Aktion wie unsere Kampagne „Hoffnung verändert alles“ deutlich spannender.

Unter diesem Motto präsentieren sich bei Ihren Konzerten verschiedene NGOs, Vereine und Hilfsorganisationen, für die Sie auch Spenden sammeln. Manche der Organisationen sind sehr bekannt, von anderen dürften die wenigsten Menschen bisher gehört haben.

Wingenfelder: Das ist Absicht. „Sea Shepherd“ oder den Verein „Dunkelziffer“ kennt fast jeder. Aber nicht weniger am Herzen liegen uns kleine Organisationen wie der Verein „AMSOB“, der brustamputierten Frauen Unterstützung und Hilfe bietet oder der „Freibad Clenze e.V.“ im Wendland, der sich um eine wichtige Begegnungsstätte von Jung und Alt im ländlichen Raum verdient macht.

Was sind Sie selbst mit Anfang 60 – eher jung oder eher alt?

Stein-Schneider: Alt!

Wingenfelder: Jung! Sechzig ist kein Alter mehr! Früher war Rockmusik eine absolut jugendliche Veranstaltung. Heute ist es normal, dass sich auch Leute in unserem Alter oder sogar noch älter auf die Bühne stellen und benehmen wie die Kinder (lacht).

Man hört „Hope“ gewiss nicht an, dass seit „Time To Wonder“ oder „Every Generation Got Ist Own Disease“ dreißig Jahre vergangen sind.

Stein-Schneider: Die Songs klingen zugleich frisch und vertraut. Bei den ersten Festivalkonzerten jetzt sind die Leute auch dann mitgegangen, wenn sie die Lieder noch gar nicht kannten, weil sie eben noch nicht veröffentlicht waren. Ab dem dritten Refrain sangen alle mit.

Das Album heißt „Hope“, die ersten beiden Songs „Don’t Give Up“ und „Better Times Will Come“, ein weiteres Lied trägt den Titel „Why Worry“. Stand immer fest, dass Sie den Leuten etwas Zuversichtliches geben wollten, an dem sie sich festhalten können?

Wingenfelder: Als Christof mit dem Albumtitel um die Ecke kam, war schnell der Gedanke da, dass wir die Songs passend darauf zuschneiden.

Stein-Schneider: Ein bisschen ist das auch eine Folge der Seuchenzeit. Wir dachten darüber nach, worin die Systemrelevanz von Kunst und Kultur besteht. Die Antwort ist: Im Hoffnung geben. Wenn wir zusammen singen, dann können wir keine Angst empfinden. Und wenn wir keine Angst haben, dann können wir uns Gedanken über eine bessere Zukunft machen. Das ist dann die Hoffnung.

Wingenfelder: Ein altes Sprichwort sagt: „Wo man singt, da lass dich ruhig nieder“. Das können wir nur unterstreichen. Wenn die Leute im Konzert mitsingen, sind sie glücklich. Wenn du durch die Nacht gehst und Muffensausen hast, dann singst du irgendwas, und das nimmt dir die Angst. Das wissen schon kleine Kinder. Musik bewirkt irgendetwas in der Birne.

Sind Fury in the Slaughterhouse gute Wir-Gefühl-Botschafter?

Stein-Schneider: Als Truppe sind wir imstande, etwas auf die Beine zu stellen, was keiner von uns alleine schaffen würde. Wenn wir anfangen zu spielen, dann klingen wir wie Fury. Wir können gar nicht anders.

Wingenfelder: Wir haben eine sehr enge menschliche Beziehung miteinander. Wenn wir ein Problem haben, dann bringen wir es auf den Tisch und lösen es. Früher hatten wir uns ständig in der Wolle, auch deshalb kam es 2008 zur vorübergehenden Trennung. Seit unserer Wiedervereinigung 2017 streiten wir nicht mehr. Oder fast nicht mehr. Am Ende der Tour-Proben dieses Jahr sind wir für zwei Minuten aneinandergeraten.

Was war der Anlass?

Wingenfelder (lacht): Was im Probenraum passiert, das bleibt im Probenraum. Eine Beziehung, in der überhaupt nicht gestritten wird, ist mir suspekt. Wichtig ist nur, wie man sich streitet. Wir haben gelernt, dass man Ärger nicht in sich hineinfressen sollte, denn sonst bricht er irgendwann unkontrolliert aus einem raus.

Stein-Schneider: Wegen der vielen Streitereien hatten wir zehn Jahre lang nichts zusammen gemacht. Wir hatten da keinen Bock mehr drauf. Dann trifft man sich wieder und denkt, was denn eigentlich das Problem war. Viele unserer Auseinandersetzungen waren wirklich nicht substanziell.

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Was hat sich verändert?

Wingenfelder: Wir sind zu alt, um zu streiten. Wenn du dir Zeit zum Nachdenken nimmst, siehst du vieles in einem anderen Licht und dir fällt auf, was für ein Seppel du oft gewesen bist. Und dass die anderen vielleicht auch mal Recht hatten. Die Lässigkeit des Alters gibt es wirklich. Wir wissen heute besser, wann es etwas bringt, sich aufzuregen, und wann es sich nicht lohnt, nämlich in den allermeisten Situationen. Seitdem gehen wir sehr viel respektvoller miteinander um.

Haben Ihnen die knapp zehn Jahre Pause gut getan?

Stein-Schneider: Oft weiß man die Dinge erst zu schätzen, wenn man sie mal nicht mehr gehabt hat. So war es auch bei uns.

Geht es demnach in dem melodischen Liebeslied „Island In The Sun“ um Sie als Band?

Wingenfelder: Der Song handelt zwar von einer explosiven Beziehung, aber ich habe beim Schreiben eher an meine Frau und mich gedacht. Wir sind mittlerweile seit 22 Jahren verheiratet und haben zwei Kinder. Unser Prinzip ist: Wenn dir etwas nicht passt, dann sagst du es. Da fliegt auch schon mal eine Tasse durch die Luft. Aber nachdem es geknallt hat, ist dann auch wieder gut.

Ich dachte immer, Niedersachen seien nicht besonders leidenschaftlich oder gar heißblütig.

Wingenfelder: Ich bin Norddeutscher, geborener Hamburger. Christof stammt aus Lübeck. In Hannover haben wir nur sehr viel Zeit verbracht. Der Norddeutsche hält den Ball gern flach, aber wenn es um die Wurst geht, dann kann er auch aus sich herauskommen.

„More Than A Friend“ ist eine Liebeserklärung an Ihren Manager Holger Hübner, der zudem einer der zwei Gründer des Wacken Open Air ist. Wie hat er darauf reagiert?

Wingenfelder: Mir einem euphorischen „Ja, ja“. Auch Holger ist Norddeutscher. Du hast tausend Fragen, und seine Antwort ist „Jap“, fertig. Charly Hübner hat Holger Hübner, die beiden sind übrigens nicht verwandt, im neuen „Legend of Wacken“-Film sehr gut getroffen.

Das nachdenkliche „So Are You“ ist ein Aufruf zum Frieden. Der Text hat was hippiemäßiges.

Stein-Schneider: „So Are You“ ist das aktuellste und politischste Lied auf dem Album. Es geht darum, dass Frieden und Gesundheit das Wichtigste sind, das man im Leben haben kann.

Wingenfelder: Wir sind keine Hippies, und die Nummer ist nicht weltfremd. Man muss auch kein Hippie sein, um die Schnauze voll zu haben von diesem verdammten Krieg in der Ukraine. Ich kann mich aber auch nicht hinstellen und sagen „Ich will Frieden, und die Folgen für die Ukraine sind mir egal“. Ich weiß irgendwie auch nicht weiter.

Worüber machen Sie sich sonst noch Sorgen?

Stein-Schneider: Wenn ich mir die Umfrage- und Wahlergebnisse im Osten angucke, dann macht mir das verdammt große Sorgen. Auch die Klimakatastrophe und ihre Auswirkungen sind beängstigend. Aber wir versuchen, unseren Blick darauf zu richten, was Hoffnung macht. Angst ist immer ein schlechter Berater, wenn du ein gutes Leben haben möchtest.

Und was macht Ihnen Hoffnung?

Stein-Schneider: Menschen, die bereit sind, ihre Zeit und ihre Energie einzusetzen für Menschen, die das nötig haben. Menschen, die das Gefühl des „Wir“ verstehen und die nicht im kapitalistischen „Ich, ich, ich“ gefangen sind. Es ist nicht nur wichtig, wie es mir geht. Es ist auch wichtig, wie es den anderen geht. Zum Beispiel sind wir seit Jahren die Schirmherren einer Weihnachtsfeier für Obdachlose in Hannover. Wir helfen mit, die Gänsekeulen zu verteilen.

Von der vielbeschworenen gespaltenen Gesellschaft ist im Fury-Konzert also nichts zu spüren?

Wingenfelder: Wir sind wohl doch Hippies (lacht). Die Sicherheitsleute bei unseren Shows sind nicht dazu da, bei Schlägereien einzuschreiten, sondern sie helfen den Leuten noch ganz klassisch über die Straße.