Herne. Ist die Brandmauer gefallen? Hernes CDU teilt die Kritik Angela Merkels an Friedrich Merz nicht. Schwere Vorwürfe gibt es von der SPD Herne.
Die CDU/CSU bringt im Bundestag einen Antrag zur Verschärfung der Migrationspolitik nur dank der Stimmen der AfD durch. Ein Tabubruch? Ein Einsturz der Brandmauer? Gar eine Zäsur in der deutschen Nachkriegspolitik? Nichts von all dem, finden Vertreterinnen und Vertreter der Herner CDU und stellen sich - anders als Ex-Kanzlerin Angela Merkel - hinter das Vorgehen ihres Bundesvorsitzenden und Kanzlerkandidaten Friedrich Merz.
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„Ich bin hier ganz bei meiner Partei: Was richtig ist, wird ja nicht falsch, wenn die Falschen zustimmen“, sagt Hernes CDU-Vorsitzender Christoph Bußmann. Am Ende habe die Union der Demokratie mit diesem Vorgehen möglicherweise sogar einen Dienst erwiesen, weil bei den Parteien der Mitte Unterschiede endlich mal wieder erkennbar geworden seien. Zur Wahrheit gehöre ja auch, dass die Mehrheit der Bevölkerung hinter der Verschärfung der Migrationspolitik stehe, so der 36-Jährige. Und: „Wir haben etwas geradegerückt, woran wir nach 2015 nicht ganz unschuldig gewesen sind, weil wir es nicht in vernünftige Bahnen gelenkt haben.“
Und was empfindet der Christdemokrat angesichts von Bildern der triumphierenden und feixenden AfD? „Natürlich finde ich das zum Kotzen“, sagt der Bundestagskandidat Solche Bilder seien aber von SPD und Grünen „provoziert“ worden: „Es war ja von ihnen nicht gewollt, die Probleme zu lösen.“ Die rot-grünen Vorwürfe, dass die Union hier gar nicht den Konsens gesucht habe, weist der Herner CDU-Vorsitzende zurück: „Die Vorschläge liegen seit September auf dem Tisch, aber man hat sich nicht bewegt.“
CDU Herne: Angela Merkel soll sich raushalten
Dass auch die evangelische und die katholische Kirche die Union vor einer Verschärfung der Asylpolitik mit Stimmen der AfD gewarnt hat, will Bußmann ebenfalls nicht so stehen lassen: „Die katholische Kirche ist sich nicht einig. Mehrere Bischöfe haben gesagt, man solle sich nicht einmischen.“ Die Stimme der Kirchen sei für die christdemokratischen Partei zwar durchaus von Bedeutung, am Ende gebe es allerdings eine Trennung zwischen Kirche und Staat.
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Für das Vorgehen von Friedrich Merz habe er bislang in der Herner CDU ausschließlich Zustimmung vernommen, betont Bußmann. Und auch beim Straßenwahlkampf erfahre die CDU viel Zuspruch für ihre Migrationspolitik: „Menschen kommen zu mir und sagen: Endlich macht ihr mal was.“
CDU-Vize und OB-Kandidatin Bettina Szelag stellt sich wie Bußmann hinter den Merz-Kurs. Die Kritik der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel kann sie nicht nachvollziehen: „Ich bin immer ein Fan von ihr gewesen. Aber ich finde, sie sollte sich hier raushalten, weil sie die ganze Zeit dazu nichts gesagt hat.“ Merkel hat sich am Donnerstag mit scharfer Kritik an Merz zu Wort gemeldet und ihm unter anderem Wortbruch vorgeworfen.
Die Brandmauer zur AfD sei auch mit dem gemeinsamen Beschluss im Bundestag nicht gefallen, erklärt die 62-Jährige. Das Problem sei nicht, dass die AfD zugestimmt habe (“das ist keine Zusammenarbeit“), sondern dass SPD und Grüne nicht zugstimmt hätten. Kein gutes Haar lässt sie an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der auch nach den Anschlägen nicht wirklich etwas unternommen habe. Auch die Behörden vor Ort seien in Sache Migrationspolitik im Stich gelassen worden. Er könne Scholz und auch Vize-Kanzler Robert Habeck (Grüne) einfach nicht mehr erst nehmen.
Junge Union: Es droht keine Koalition mit der AfD
Zustimmung gibt es auch von Jascha Hoppe, Vorsitzender der Jungen Union (JU) in Herne. In seiner Einschätzung macht er eine Anleihe bei FDP-Chef Christian Lindner: Die CDU/CSU setze das um, wozu sich Rot und Grün all die Jahre zu schade gewesen seien. Wie Szelag weist er zurück, dass es sich um eine Zusammenarbeit handele oder dass gar eine Koalition mit der AfD drohe. Er gehe vielmehr davon aus, dass die AfD durch diesen Vorstoß der Union an Zustimmung verlieren werde: „Die Menschen haben zum ersten Mal das Gefühl: Es kümmert sich jemand um dieses Problem.“
Der Herner SPD-Vorsitzende und Bundestagskandidat Hendrik Bollmann wirft der Union dagegen „Wahlkampf um jeden Preis“ vor. In einer Stellungnahme greift er Merz frontal an. Dass der CDU-Chef nun die Stimmen der AfD bedauere, sei „lächerlich“. Wenn es Merz um die Sache gegangen wäre, hätte er zunächst Mehrheiten und konkrete Lösungen suchen können: „Genauso, wie es in jeder Bezirksvertretung, jedem Stadtrat, jedem Landtag oder eben im Bundestag tagtäglich läuft. Das ist anstrengend. Aber das ist Demokratie.“ Stattdessen sei der AfD im Bundestag die Bühne geboten worden – „lediglich für ein Symbol und ohne Not“. Und das, obwohl Merz vor Wochen angekündigt habe, „zufällige“ Mehrheiten mit der AfD verhindern zu wollen, so der 42-Jährige.
Um die Migrationsfrage beantworten zu können, müsse endlich ein Gesamtplan für Migration, Zusammenleben und Sicherheit her. Dazu gehöre eine bessere finanzielle und personelle Ausstattung der Kommunen sowie des Landes. Und: Bund und Länder müssten Abschiebungen so organisieren, dass sie auch umgesetzt würden – „zumal wenn es sich um Fälle wie in Aschaffenburg handelt“, so Bollmann. Es gehe aber auch darum, dass Neuzugewanderte, „die sich einbringen und einen wertvollen Teil unserer Gesellschaft darstellen, bessere Möglichkeiten erhalten, hier auch heimisch werden zu können“.
- Was der OB zu dem Vorgang sagt: Dudda ist fassungslos über Merz
Entsetzt über das Verhalten von CDU-Chef Merz ist auch das Bündnis Herne. Zur Erinnerung: Auf Forderung dieser überparteilichen Initiative haben alle demokratischen Herner Ratsparteien vor knapp einem Jahr das „Herner Versprechen“ abgegeben, vor Ort niemals mit der AfD zusammenarbeiten zu wollen. Die Abstimmungen im Bundestag stünden im Widerspruch zu dem „Herner Versprechen“, die jegliche Kooperation mit der AfD ausschließe, erklärt Markus Vordenbäumen, Vorsitzender des (Vereins) „Bündnis Herne“. Die Zustimmung der AfD sei bewusst in Kauf genommen worden, um eine Mehrheit zu bekommen.
Sie möchten nun gerne wissen, „woran wir sind welche und Bedeutung das ,Herner Versprechen‘ für die Parteien hat“, so Vordenbäumen. Sie würden deshalb insbesondere den CDU-Kreisvorstand „zu einem persönlichen Gespräch“ einladen
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Der gemeinsame Beschluss von CDU, FDP und AfD zur Asylpolitik dürfte auch am Freitag, 31. Januar, bei einer Podiumsdiskussion zur Bundestagswahl ein großes Thema sein: Am Pestalozzi-Gymnasium stehen (fast) alle Bundestagsdirektkandidaten im Wahlkreis Herne-Bochum II Rede und Antwort (die WAZ wird über die Veranstaltung berichten).