Berlin. Nach der historischen Abstimmung im Bundestag geht Ex-Kanzlerin Angela Merkel ihren einstigen Rivalen hart an. Das Statement im Wortlaut.
Ex-Kanzlerin Angela Merkel machte sich nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt eigentlich rar, äußerte sich nur selten zu aktuellen politischen Debatten. Doch am Tag nach der historischen Abstimmung im Bundestag, in der sich die Fraktion ihrer Partei erstmals eine Mehrheit mit Stimmen der AfD besorgte, machte sie eine Ausnahme – und lässt damit einen Konflikt mit einem alten Rivalen aufflammen.
In einem auf ihrer Webseite veröffentlichten Statement geht sie den Unionskanzlerkandidaten, Fraktions- und Parteivorsitzenden hart an: Das Vorgehen von Friedrich Merz, die Abstimmung im Bundestag herbeizuführen, bezeichnete sie als „falsch“.
Sehenden Auges habe Friedrich Merz erstmalig eine Mehrheit im Bundestag mit Stimmen der AfD besorgt, so Merkel, und wirft ihrem Nachfolger im Parteiamt Wortbruch vor: Sie zitiert Merz mit einer längeren Aussage, in der er verspricht, nur solche Entscheidungen im Bundestag herbeizuführen, über die vorab mit Grünen und SPD beraten wurde. Merkel lobte diese Wortwahl als „Ausdruck großer staatspolitischer Verantwortung“. Merz scheine sich daran allerdings zu ihrem Bedauern nicht mehr gebunden zu fühlen.
Merkel-Statement: Lob von der Opposition
Das Statement, das mehrheitlich aus einem Zitat des CDU-Vorsitzenden besteht und nur in einem knappen Absatz die Kritik an ihrem Vorgänger abhandelt, wirbelt die Debatte über das Abstimmungsverhalten durcheinander. Prokura kommt von der Konkurrenz: „Ich bin ihr sehr dankbar dafür“, sagte SPD-Parteichefin Saskia Esken am Donnerstag in Berlin. Merkel habe offensichtlich den Eindruck gewonnen, sie müsse ihren Nachfolger Friedrich Merz an seine staatspolitische Verantwortung erinnern.
Danke ANGELA MERKEL. Diese Worte und dass sie überhaupt von ihr jetzt gesagt werden (müssen) zeigen den Abgrund, auf den die Union sich zubewegt. pic.twitter.com/1cSnsoJfWM
— Katrin Göring-Eckardt (@GoeringEckardt) 30. Januar 2025
Dankbar zeigte sich auch Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt, Vizepräsidentin im Deutschen Bundestag: „Diese Worte und dass sie überhaupt von ihr jetzt gesagt werden (müssen) zeigen den Abgrund, auf den die Union sich zubewegt“, schrieb sie auf der Plattform X.
Kritische Worte hingegen kamen von FDP-Politiker Wolfgang Kubicki, ebenfalls Vizepräsident. Er rekurriert auf eine Einmischung zu Amtszeiten Merkels, in der sie aus Südafrika die Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum Thüringer Ministerpräsidenten mit Stimmen der AfD kritisiert hatte. „Schönen Gruß aus Südafrika? ‚Die Abstimmung muss rückgängig gemacht werden‘“, so der FDP-Politiker auf X. Das Bundesverfassungsgericht hatte im Nachhinein diese Aussage als verfassungswidrig gerügt.
Auch interessant
Merkel: Schulterschluss mit Merz jetzt passé?
Merkel schließt ihr Statement mit einem Appell: Es sei erforderlich, „dass alle demokratischen Parteien gemeinsam über parteipolitische Grenzen hinweg, nicht als taktische Manöver, sondern in der Sache redlich, im Ton maßvoll und auf der Grundlage geltenden europäischen Rechts, alles tun, um so schreckliche Attentate wie zuletzt kurz vor Weihnachten in Magdeburg und vor wenigen Tagen in Aschaffenburg in Zukunft verhindern zu können“.
Mit der Veröffentlichung des Statements, nicht einmal 24 Stunden nach der Abstimmung im Bundestag, rückt die zu Merkels 70. Geburtstag noch demonstrativ zu Schau gestellte Einigkeit mit Merz in ein anderes Licht. Seitdem Merkel den Kanzlerkandidaten von heute 2002 vom Fraktionsvorsitz verdrängt hatte, galt ihr Verhältnis als angespannt – verbaute die langjährige Kanzlerin Merz damals doch die Aussichten auf ein Regierungsamt. Überraschend kam dann im September vergangenen Jahres der formale Schulterschluss, als Merkel dem heutigen Kanzlerkandidaten „für die nächsten Monate alles Gute und viel Erfolg“ gewünscht hatte.
Lesen Sie das gesamte Statement hier:
„In seiner Rede am 13. November 2024 im Deutschen Bundestag hat der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und Kanzlerkandidat von CDU und CSU, Friedrich Merz, ausweislich des stenografischen Protokolls des Deutschen Bundestags unter anderem erklärt: ‚Für die wenigen verbleibenden Entscheidungen, die ohne Bundeshaushalt möglich sein könnten, will ich Ihnen hier einen Vorschlag machen: Wir sollten mit Ihnen, den Sozialdemokraten, und Ihnen, die Grünen, vereinbaren, dass wir nur die Entscheidungen auf die Tagesordnung des Plenums setzen, über die wir uns zuvor mit Ihnen von der SPD und den Grünen in der Sache geeinigt haben, sodass weder bei der Bestimmung der Tagesordnung noch bei den Abstimmungen in der Sache hier im Haus auch nur ein einziges Mal eine zufällige oder tatsächlich herbeigeführte Mehrheit mit denen da von der AfD zustande kommt. Diese Verabredung möchte ich Ihnen ausdrücklich vorschlagen, meine Damen und Herren. Denn das hätten diese Damen und Herren von rechts außen doch gerne, dass sie plötzlich die Mehrheiten besorgen, und sei es mit Ihnen von den beiden Minderheitsfraktionen bei der Bestimmung der Tagesordnung. Wir wollen das nicht. Ich hoffe, Sie sehen das auch so, liebe Kolleginnen und Kollegen.‘
Dieser Vorschlag und die mit ihm verbundene Haltung waren Ausdruck großer staatspolitischer Verantwortung, die ich vollumfänglich unterstütze. Für falsch halte ich es, sich nicht mehr an diesen Vorschlag gebunden zu fühlen und dadurch am 29. Januar 2025 sehenden Auges erstmalig bei einer Abstimmung im Deutschen Bundestag eine Mehrheit mit den Stimmen der AfD zu ermöglichen.
Stattdessen ist es erforderlich, dass alle demokratischen Parteien gemeinsam über parteipolitische Grenzen hinweg, nicht als taktische Manöver, sondern in der Sache redlich, im Ton maßvoll und auf der Grundlage geltenden europäischen Rechts, alles tun, um so schreckliche Attentate wie zuletzt kurz vor Weihnachten in Magdeburg und vor wenigen Tagen in Aschaffenburg in Zukunft verhindern zu können.“