Düsseldorf. Sieben Männer aus Zentralasien sollen für den IS bereits Opfer ausgekundschaftet haben. Jetzt stehen sie in Düsseldorf vor Gericht.

Sie kamen aus der Ukraine, aber sie flohen nicht vor dem Krieg. Nur wenige Tage nach den ersten russischen Angriffen Ende Februar 2022 reisten sie in mehreren Autos über Polen ein – offenbar um Terror nach Deutschland zu bringen. Doch dazu kam es nicht mehr: Die Polizei hatte die angeblichen „Studenten“, allesamt tatsächlich aus Zentralasien, auf dem Schirm. Mehr als ein Jahr sah sie zu und hörte mit, wie die Tadschiken, ein Kirgise und ein Turkmene planten, Geld sammelten, Opfer auskundschafteten. Nun stehen sieben Männer als mutmaßliche IS-Terroristen vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf.

Sie sehen nicht gleich aus, als gehörten sie zusammen. Zwei, drei Bärtige mit kurzgeschnittenem Pony, ein Muskelbepackter im engen T-Shirt, ein knallgelbes Polohemd, Vornamen wie Said oder Nuriddin. Sechs, die starr nach vorn blicken zwischen 16 Justizbeamten, nur einer, der unruhig wippt, der grinsend in den Saal schaut oder kopfschüttelnd. Und einer, der mit 47 Jahren auch sichtlich älter ist als die anderen und so etwas gewesen sein soll wie ein Chef. Diese Sieben sollen sich gleich nach ihrer „koordinierten Einreise“ zusammengetan haben zu einer „abgeschotteten und konspirativ agierenden islamistisch-dschihadistischen Vereinigung“. Sagt Oberstaatsanwalt Simon Henrichs, der von der Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe gekommen ist – für schon jetzt geplante 45 Prozesstage.

Volle Anklagebank: Hinter der Glaswand nahmen am Dienstag sieben Angeklagte und 16 Justizbeamte Platz. Die Zentralasiaten werden von zwölf Verteidigern vertreten.
Volle Anklagebank: Hinter der Glaswand nahmen am Dienstag sieben Angeklagte und 16 Justizbeamte Platz. Die Zentralasiaten werden von zwölf Verteidigern vertreten. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Mittelsmann und Anführer sitzt in den Niederlanden

In seiner Anklageschrift kommt auch jemand vor, der im Hochsicherheitsgebäude des OLG gar nicht anwesend ist: ein Tadschike, der seit vier Jahren in den Niederlanden wohnt und von dort aus als eine Führungskraft des „Islamischen Staates“ die Gruppe angeleitet haben soll. Es heißt, dieser A. hat an diesem ersten Verhandlungstag einen Haftprüfungstermin in Rotterdam. Er soll gesagt haben, wie man Mord und Totschlag organisiert, detailliert auch Vorgaben für Anschläge und deren Vor- und Nachbereitung gemacht. Und immer wieder erinnert haben an die laut Staatsanwalt „menschenverachtende Ideologie“: Er schickte wohl Suren aus dem Koran, Durchhalteparolen, Schriften, in denen der „Heilige Krieg“ verherrlicht wurde und der Märtyrertod im Paradies.

Alles, damit die neuen Mitglieder des IS-Ablegers „Islamischer Staat Provinz Khorasan (ISPK)“ dabeiblieben in ihrer Opferbereitschaft, beim „Kampf für Allah“. Da war der Jüngste, ein 21-Jähriger, der wie auch ein 31-Jähriger in Gelsenkirchen wohnte. Die bei Treffen in der Stadt dabei waren und als aus einer Herner Moschee Tüten unbekannten Inhalts herangeschafft wurden. Womöglich auch, als sie aus einem örtlichen Baumarkt Chemikalien für Poolreinigung und Schädlingsbekämpfung besorgten. Da waren ein 30-Jähriger mit Wohnsitz in Gladbeck, ein 28-Jähriger aus Düsseldorf.

Blankoformulare mit Treueeid für den IS-Kalifen

Und ein gleichaltriger Turkmene, der aus Ennepetal zu den meisten der 58 Treffen kam. Der Kontakte knüpfte zu Sprengstoffexperten, der sich im Internet Bedienungsanleitungen für Waffen ansah, der Blankoformulare verteilte mit einem Treueeid auf den Kalifen des IS. Und der nach einem Anschlag im afghanischen Kabul mit mehreren Toten motiviert gewesen sein soll: Wann können wir?

War er für die Beschaffung des Geldes verantwortlich? Die mutmaßlichen Terroristen sollen Spenden für IS-Kämpfer gesammelt haben.
War er für die Beschaffung des Geldes verantwortlich? Die mutmaßlichen Terroristen sollen Spenden für IS-Kämpfer gesammelt haben. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Allerdings, sie taten nichts. Sie trieben Sport, um „bereit“ zu sein. Sammelten Geld, transferierten Tausende Euro an Mittelsmänner in der Türkei oder gleich an IS-Angehörige in Flüchtlingslagern. Stichwort: „Family support“, Familienhilfe. Viel von dem Geld haben die Ermittler eingezogen, wie auch nach der Festnahme der Männer vor genau einem Jahr ihre Handys. Spätestens seitdem wissen sie genau, wann wer mit wem worüber kommunizierte. Wie sie eine liberale Moschee in Berlin als „Ort der Teufelsanbetung“ verachteten, wie sie den IS in Sprachnachrichten „besangen“, wie sie unkten, spätestens im Februar 2023 werde es „etwas geben“.

Konkret aber wurden die Pläne nie. Es habe „keinerlei Vorbereitungen“ gegeben, sagt der Oberstaatsanwalt. Die Ankläger allerdings beobachteten, dass man sich traf beim Türken in Gelsenkirchen, im Schnellrestaurant am Hauptbahnhof Düsseldorf, auf der Deutzer Kirmes in Köln. Es gibt ein Foto von dort, wo einer den Tauhid-Finger zeigt und weitere Bilder, auf denen ein Angeklagter Plastikflaschen mit Flüssigkeit in einen Koffer packt. Eine Bombe? Es gibt Tonaufnahmen, in denen es darum ging, ob der Rummel ein Anschlagsziel sein könne. Wie Autos für einen „Einsatz“ nutzbar sind.

Der Prozess findet im Hochsicherheitsgebäude des Oberlandesgerichts Düsseldorf unter strengen Sicherheitsvorkehrungen statt.
Der Prozess findet im Hochsicherheitsgebäude des Oberlandesgerichts Düsseldorf unter strengen Sicherheitsvorkehrungen statt. © FFS | kk

Vor allem Juden in Deutschland auf der Opfer-Liste

Und, vor allem, welche Tagesabläufe Juden haben. Simon Henrichs spricht von geplanten „Anschlägen auf Menschen jüdischen Glaubens“. Anderen „Ungläubigen“ sollte mit dem Messer der Kopf abgeschnitten werden. Ein Attentat in Frankreich soll deshalb abgesagt worden sein, weil ein tschetschenischer „Kämpfer“ zuvor in Afghanistan getötet wurde.

Bei alldem hatten die sieben Männer auch untereinander nicht immer Frieden. Im März 2023 sollen sie ein Scharia-Gericht angerufen haben, es ging um eine Frau. Die 80 verabredeten Stockschläge sollen aber nicht ausgeführt worden sein, der Missetäter soll sich entschuldigt haben. Gegenüber dem Kontaktmann in den Niederlanden beschwor einer indes immer Einigkeit: Die Truppe bestehe aus „männlichen Löwen und guten Jungs“.

Verhaftung im Juli 2023: Seit einem Jahr sitzen sieben Männer aus Tadschikistan, Kirgistan und Turkmenistan in Untersuchungshaft.
Verhaftung im Juli 2023: Seit einem Jahr sitzen sieben Männer aus Tadschikistan, Kirgistan und Turkmenistan in Untersuchungshaft. © dpa | Waldemar Gess

Aber auch ein neuer „Investor“ bewegte sie nicht zuzuschlagen. Dafür tat es die Polizei: Am 6. Juli 2023 wurden alle sieben festgenommen. Seither sitzen sie in Untersuchungshaft. Ins Gericht kommen am Dienstag zwei junge Frauen, stark verschleiert, und eine dritte, die das lange Haar offen trägt. Über den 21-Jährigen aus Gelsenkirchen sagt diese Ukrainerin, er sei ein guter, enger Freund. Und ganz sicher kein Islamist, „das ist seine Sache nicht“.

>>INFO: DER ISPK
Die sieben Männer vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf werden dem IS-Ableger „Islamischer Staat Provinz Khorasan (ISPK)“ zugeordnet, der den Sicherheitsbehörden auch in NRW seit langem Sorgen macht. Der ISPK soll unter anderem für die Anschlagspläne zu Weihnachten auf den Kölner Dom, auf die Fußball-EM in Deutschland und das blutige Attentat auf eine Moskauer Konzerthalle im März verantwortlich sein. Ein in Wien einsitzender mutmaßlicher Mittäter hat sich kurz vor seiner Abschiebung im Juli selbst getötet.

NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) warnte im Frühjahr in einem Brief an seine Amtskollegen in ganz Deutschland eindringlich vor Tadschiken, Kirgisen, Usbeken und Turkmenen in Deutschland mit Kontakten zum ISPK. Bund und Länder müssten ihre Erkenntnisse zu „zentralasiatischen Personen und Netzwerken in Deutschland und ihrer Bezüge zu terroristischen Organisationen, wie dem ISPK“ zusammentragen und sich wappnen.