Berlin. In naher Zukunft könnte ein neues Verhütungsmittel für den Mann zugelassen werden: ein Anti-Baby-Gel. Die Wirksamkeit ist beachtlich.

Seit Jahrzehnten wird daran geforscht, nun könnten Wissenschaft und Pharmaindustrie den entscheidenden Schritt gehen und ein neues Verhütungsmittel für Männer auf den Markt bringen. Dazu fehlen Experten zufolge nur noch ein oder zwei größere Studien.

Prof. Michael Zitzmann, Facharzt für Andrologie, Endokrinologie, Diabetologie und Sexualmedizin aus Münster, ist seit 25 Jahren mit Forschung und Entwicklung vertraut. Im Interview erklärt er, wie Mann das Mittel anwenden könnte und welche Hürden es noch nehmen muss.

Herr Zitzmann: Warum gibt es als Verhütungsmethode für Männer bisher eigentlich nur die chirurgische Sterilisation oder das Kondom?

Michael Zitzmann: Das ist gar nicht so. Es gibt schon eine hormonelle Verhütungsmethode, die Ärzte „Off Label“ verabreichen. Also bei Patienten, die das wollen, selbst dafür bezahlen und die Mediziner von der Haftung befreien.

Wie funktioniert diese Methode?

Zitzmann: Viele Studien, hier aus Münster, aber auch aus Los Angeles, Seattle, Bologna oder Edinburgh, haben gezeigt, dass eine Kombination aus Testosteron und Gestagen dazu führt, dass die Hoden aus der Hirnanhangdrüse das Signal bekommen, keine Spermien mehr zu bilden. Bei 97 bis 99 Prozent der Männer verschwinden sie. Die Wirksamkeit, also die Verhütung einer Schwangerschaft, ist damit sogar besser als bei der Pille für die Frau.

Verhütung für den Mann: Spermien verschwinden bei 97 bis 99 Prozent der Männer

Und wie wird die Hormon-Kombination verabreicht?

Zitzmann: Sie wird alle acht Wochen per Spritze gegeben. Die entsprechenden Wirkstoffe sind seit Jahren auf dem Markt.

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Ich dachte bisher, das Vorhaben, eine hormonelle Verhütung für den Mann unter Federführung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu entwickeln, sei aufgegeben worden?

Zitzmann: Die WHO hat ihre Studien erst mal beendet, das ist richtig. Grund dafür waren Nebenwirkungen, die 10 bis 15 Prozent der Teilnehmer gespürt haben. Depressionen, aggressives Verhalten, Libidoverlust oder auch -anstieg. Depressionen und Libidoverlust traten in Europa oder Australien auf, Gewalttätigkeit gegenüber Frauen in Indonesien. In Indien gab es laut den Studien keine Nebenwirkungen. Insgesamt waren 85 bis 90 Prozent der Männer superzufrieden und haben keine Nebenwirkungen gespürt.

Nebenwirkungen haben auch Frauen bei der Einnahme der Pille.

Zitzmann: Bei Frauen, die die Pille nehmen, sagen ebenfalls 10 bis 15 Prozent, dass sie keine Lust mehr auf Sexualität haben. Oder dass sie Gewicht zunehmen. Und auch von Stimmungsschwankungen bis hin zu Depressivität berichten Frauen.

Wissenschaft und Medizin können sich also weiter vorstellen, eine hormonelle Verhütung für den Mann zur Marktreife zu bringen?

Facharzt für Andrologie, Endokrinologie, Diabetologie und Sexualmedizin in Münster: Prof. Michael Zitzmann.
Facharzt für Andrologie, Endokrinologie, Diabetologie und Sexualmedizin in Münster: Prof. Michael Zitzmann. © Bertram Solcher/Uniklinik Münster

Zitzmann: Mit dem Prinzip ist jedenfalls weiter geforscht worden, in Los Angeles und Seattle zum Beispiel. Das Vorhaben ist nicht tot.

Wie weit ist die Forschung denn?

Zitzmann: Es gibt eine Hormonkombination, die offensichtlich weniger Nebenwirkungen macht. Sie wird nicht gespritzt, sondern als Gel über die Haut verabreicht. Die Männer schmieren es sich auf die Schultern. Die Studien dazu sind bereits in Phase drei. Das bedeutet, dass es vielleicht noch ein, zwei größere Studien braucht, bis das Gel zugelassen werden könnte. Und dann muss man natürlich jemanden finden, der es herstellt.

Nebenwirkungen: „Viele Frauen beurteilen die Pille zunehmend skeptisch“

Glauben sie, dass es dazu kommt?

Zitzmann: In der Vergangenheit waren einige Hersteller recht weit, bis die Stimmung kippte. Viele Pharmaleute, die Wissenschaftler und Mediziner unter ihnen, wollten das Projekt zum Erfolg führen. Sie wollten das einfach schaffen. Auf den Vorstandsebenen haben sich dann aber die Ökonomen durchgesetzt. Und die sagten: Das neue Produkt verschiebt vielleicht nur den Markt. Wir betreiben womöglich viel Aufwand und investieren viel Geld, und verkaufen dann weniger Pillen für die Frau.

Und das sehen potenzielle Hersteller jetzt anders?

Zitzmann: Im Moment ist man jedenfalls wieder enthusiastischer. 70 Prozent der Männer und Frauen finden laut Umfragen eine neuartige Verhütung für den Mann gut. Zwar sagen nur etwa 40 Prozent der Männer, sie würden das auf jeden Fall machen, das ist aber ein guter Wert. Und dann steht das Ziel, eine Verhütung für den Mann voranzutreiben, ja auch im Koalitionsvertrag der Bundesregierung. Da könnte es schon Fortschritte geben.

Und wie sehen Sie hormonelle Verhütung generell?

Zitzmann: Ethisch gesehen muss man dafür hohe Hürden anlegen. Eine solche Methode muss praktisch ohne Nebenwirkungen sein, es ist ja kein Krebsmedikament. Es geht darum, dass ein gesunder Mann etwas einnimmt, damit bei einer gesunden Frau ein eigentlich natürlicher Zustand, nämlich die Schwangerschaft, nicht eintritt. Ich denke, dass auch viele Leute das so sehen. Viele Frauen jedenfalls beurteilen die Pille zunehmend skeptisch.

Aber könnte man sich auf das Gel für den Mann wirklich verlassen?

Zitzmann: Laut Studien funktioniert es bei fast 100 Prozent der Männer. Das kann nach zwei Wochen so weit sein, manchmal auch vier Monate dauern. Der Mann müsste also eigentlich zu einem Urologen gehen und noch mal eine Spermaprobe abgeben.

Anti-Baby-Pille: Moleküle könnten wirken wie Hormone

Was halten Sie von einer nicht-hormonellen Pille für den Mann, von der immer wieder berichtet wird? Bei dieser blockiert ein Wirkstoff Vitamin A und damit die Produktion von Spermien. Im Juni soll nach erfolgreichen Mausstudien die erste Studie am Mann mit 18 Teilnehmern enden.

Auch ein Vitamin-A-Mangel könnte dazu führen, dass keine Spermien mehr produziert werden.
Auch ein Vitamin-A-Mangel könnte dazu führen, dass keine Spermien mehr produziert werden. © iStock | LYagovy

Zitzmann: Das, was bei Mäusen funktioniert, muss bei Menschen nicht funktionieren. Bei Nagetieren wird die Bildung von Spermien hormonell sehr unterschiedlich zum Menschen reguliert, Vergleiche sind nur eingeschränkt möglich. Und ich habe auch Zweifel daran, ob das wirklich nebenwirkungsfrei oder gesund ist, Vitamin A zu unterdrücken. Es heißt nicht umsonst Vitamin und ist wichtig für eine gesunde Haut oder fürs Sehen.

Welche Nebenwirkungen könnte es geben?

Zitzmann: Man weiß, dass es bei Menschen mit Vitamin-A-Mangel zu Verhornungsstörungen in Darm, Harnröhre oder Auge kommen kann. Und diese Schäden, wenn sie auch nach langjähriger Einnahme dieser Pille für den Mann aufträten, wären irreversibel. Eine Verhornung von Darm oder Harnröhre ist wirklich schlimm. Man bekommt Probleme beim Wasserlassen und der Darm könnte Nährstoffe womöglich nicht mehr richtig abgeben.

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Klingt nicht nach einer schnellen Markteinführung?

Zitzmann: Damit ist in den nächsten zehn Jahren nicht zu rechnen. Abgesehen von den Nebenwirkungen muss man auch erst noch beweisen, dass mit dieser Pille die Spermien beim Mann verschwinden und auch wiederkommen. Man muss viele weitere Studien machen.

Was gibt es noch für Entwicklungen in der Forschung zu Verhütungsmitteln für Männer?

Zitzmann: In den USA sind zwei verschiedene synthetische Moleküle in der Diskussion. Die könnten so wirken wie die Hormone Testosteron oder Gestagen. Womöglich könnte man sie auch in Form einer Pille einnehmen. Eine andere Idee ist, Spermien durch einen erzeugten Mangel an bestimmten Enzymen unbeweglich zu machen und so am Eindringen in die Eizelle zu hindern. Diese Idee interessiert auch die Industrie, weil ein Enzymmangel sehr schnell wirken und wieder aufgehoben werden könnte.

Das ist sehr viel Forschung zur Verhütung für den Mann.

Zitzmann: Es gibt viele Männer und Frauen, die sich engagieren. In der Schweiz zum Beispiel hat jemand ein Ventil erfunden, das auf den Samenleiter gesetzt wird. Mit dem kann man den Samenleiter mechanisch abklemmen und wieder öffnen wie einen Schlauch. Das hat sich der Erfinder auch selbst implantieren lassen. Bisher ist aber noch nicht gezeigt worden, ob der Samenleiter vernarbt oder verklebt, ob die Spermien also nach dem Öffnen wieder hindurch können und ob sie dann auch noch funktionsfähig sind. Und in Frankreich gibt es Männer, die mit Hodenringen arbeiten oder mit Unterhosen, die die Spermien erwärmen.

Wie erklären Sie sich dieses Engagement?

Zitzmann:Gleichberechtigung ist ein Teil der Motivation, aber auch bessere Geburtenkontrolle. Auch Stiftungen und Organisationen unterstützen das. In manchen Ländern gibt es sogar so etwas wie eine Bewegung. Ich denke, es wird da noch einige Fortschritte geben.