Kierspe. Tiny Houses sind gefragt. Der Borkenkäfer-Tod ihres Fichtenbestands hat junge Forstbesitzer aus dem Sauerland auf eine besondere Idee gebracht.
Bevor man auf die Lösung trifft, geht es erst einmal vorbei am Problem. Kahle Hänge, tote Bäume, postapokalyptische Szenerie. Das Grün des Waldes, das hier einmal war, ist einem braun-grauen Mix gewichen. Wie vielerorts in der Region. Trockenheit, Borkenkäfer, Kalamitätsflächen. Doch auf den Fichten-Tod ist zumindest hier, in Kierspe-Belkenscheid, neues Leben gefolgt.
„Organic Tiny House“ – ein ökologisches Mini-Häuschen, gebaut aus Fichten-Schadholz und entwickelt im Sauerland: Das ist das Projekt der Geschwister Lisa und Timo Gelzhäuser. Zusammen mit der TU Dortmund und gefördert vom Land NRW haben die Forstbesitzer aus Kierspe einen Prototyp realisiert. Das Vorzeigeprojekt steht auf dem Gelände ihres Familienbetriebs – in der Nähe der kahlen Flächen in ihren Wäldern in der Umgebung.
Tiny Houses erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Die Nachfrage nach den XS-Häusern vor allem als Eigenheim sei groß, berichtet Regina Schleyer vom Tiny House Verband. Das konventionelle Bauen werde immer teurer, die Mieten steigen, die Energiepreise klettern, verfügbarer Wohnraum ist knapp. Nachhaltigkeit ist ein weiterer Aspekt, gerade für die Geschwister Gelzhäuser, die den Deutschen Waldpreis 2023 als „Waldbesitzer des Jahres“ erhalten haben. Statt die infolge der Borkenkäferplage angehäuften Massen Fichtenholz ins Ausland zu verkaufen oder zu verfeuern, wollten sie etwas Neues schaffen.
70 Prozent ihres Waldbesitzes fiel weg
70 Prozent des Bestandes im Forstbetrieb ihrer Familie, den sie 2019 (zunächst nebenberuflich) übernommen hatten, waren Fichten. Heute ist kaum noch eine Fichte übrig. Das warf existenzielle Fragen auf. Über die vergangenen Jahre, in denen sie den Wald, in dem sie aufgewachsen sind, roden mussten, sagt Timo Gelzhäuser: „Man kann es nicht mehr mit ansehen, tote Bäume um sich zu haben.“
Heute ist er immer noch umgeben von toten Bäume, aber die haben ein neues Geschäftsmodell zum Leben erweckt. „Wir müssen keinen Baum töten, die sind ja schon gestorben durch den Borkenkäfer“, sagt der 39-Jährige. Sie haben das Schadholz auch mal nach China verkauft, aber mit der jetzigen Verwendung sind die Geschwister deutlich glücklicher.
Der Prototyp ihres Tiny House bestehe zu 80 Prozent aus Fichtenholz (aus ihrem Forst). Kein Beton, kein Stahl, kein Leim und keine Chemie. Stattdessen nachhaltig, langlebig, CO2-neutral, regional gefertigt. So preisen sie es an. Der Boden aus Eiche, die Fassade aus Lärchenholz, das Dach aus Titanzinkblech, witterungsbeständig. Das Häuschen verfügt über zwei Ebenen (nach oben geht’s über eine Holzleiter), insgesamt etwa 30 m² Fläche, kleines Bad, kompakter Küchenblock mit Induktionsfeld (ohne Ofen), Kühlschrank, Couch, Tisch, Satteldach, Holzterrasse, große Türen, viele Fenster, viel Licht, potenziell schöne Aussicht ins Freie.
Ausgerüstet ist das Vorzeigeprojekt zudem mit einem Kamin, Standard sei jedoch eine Luftwärmepumpe. Solarmodule auf dem Dach sind möglich, mit oder ohne Speicher. Grundsätzlich, betonen die Geschwister, seien ihre Häuser sehr individuell, da die Holzmodulbauweise die unterschiedlichsten Variationen bei Größe, Form, Dach und Ausstattung erlaube. Auch bestehende Häuser könnten erweitert werden. Sie bieten online einen Konfigurator an. „Der Kunde“, sagt Timo Gelzhäuser, „kann selber Architekt sein.“
Schadholz sei „einwandfrei“ nutzbar
Wen all das nicht überzeugt, dem versichert der gelernte Landmaschinenmechaniker und Maschinenbauingenieur: „Das Holzhaus ist genauso stabil wie ein Betonhaus.“ Der Prototyp steht auf einem stählernen Schraubfundament, das sei klimafreundlicher als Beton und lasse Wasser versickern. Die Häuser seien gut gedämmt (Holzfaser), „voll baugenehmigungskonform“. Und: schnell fertiggestellt. Sechs Monate nach der Bestellung stehe alles. Der Aufbau beim Kunden nehme einen Tag in Anspruch. Bei Umzug könne das Tiny House problemlos verladen und an den neuen Standort gebracht werden.
Und der Preis? Bei 75.000 Euro geht es los, je nach Größe und Ausstattung können es aber auch 150.000 Euro sein (oder mehr). Sie setzen auf regionale Fertigung, arbeiten mit einer Zimmerei aus Hückeswagen zusammen, welche die Häuser zusammenbaut, die Küche komme aus Werdohl, das Bad von einem Installateur aus Kierspe, der Dachdecker aus Meinerzhagen.
Das Interesse an ihren Produkten sei groß, die Geschwister berichten von Anfragen aus Norwegen und Spanien, aus der Schweiz. „Viele schätzen, dass wir Borkenkäferholz nutzen“, sagt Timo Gelzhäuser, der Schadholz als gutes Baumaterial preist. Borkenkäfer blieben unter der Baumrinde, fräßen sich nicht ins Holz, das man daher „einwandfrei“ nutzen könne.
Tiny House als Flüchtlingsunterkunft?
Ein Jahr hat die Entwicklung des Prototyps gedauert. Sie haben viel investiert, unter anderem in ein kleines Sägewerk auf dem Hof. Wie viel alles gekostet hat, möchten sie nicht verraten. In jedem Fall ist es für die Geschäftsleute, die Vorreiter sein wollen und auf Nachahmer hoffen, nun an der Zeit durchzustarten. „Wir müssen jetzt den Markt bedienen und schwarze Zahlen schreiben“, sagt Lisa Gelzhäuser (35), die vorher in der Eventbranche gearbeitet hat.
Früher haben sie Blockhäuser gebaut, demnächst wollen sie ihr Gelände erweitern und dort Tiny Houses als Ferienwohnungen errichten, dann können Interessenten als Gäste testen, ob das Leben in einem XS-Haus was für sie ist. Sie vertreiben Hundehütten und Hochbeete aus Holz. Zwei Tiny House-Projekte haben sie sicher, diese starten im Frühjahr. Eines in Meinerzhagen, viermal so groß wie ihr Prototyp, ein anderes, kleineres im Bergischen. Acht weitere Projekte peilen sie in 2024 an, sie hoffen auch auf Kommunen, die zur Unterbringung von Flüchtlingen auf ihre Häuser setzen.
Ein Teil der Einnahmen soll für die Wiederaufforstung ihres Waldes eingesetzt werden – allerdings nicht mit Fichten. Sie setzen auf „biodiversen Mischwald“, wie Lisa Gelzhäuser betont. Es soll ja nachhaltig sein.
<<< Hintergrund: Tiny Houses in immer mehr Kommunen anzutreffen >>>
Beim Deutschen Städte- und Gemeindebund heißt es, für die oft mobilen Tiny Houses könnten sich etwa brachliegende Flächen oder nicht anderweitig bebaubare Restflächen und Baulücken auch temporär eignen. Das Thema habe an Bedeutung zugenommen, die Häuschen seien auch in immer mehr Städten und Gemeinden anzutreffen. Angesichts von Wohnungsnot und kleiner werdenden Haushalten „können Tiny Houses durchaus eine Alternative für Städte und Gemeinden darstellen“, sagt Referatsleiter Alexander Kramer. Einzelne Kommunen setzten auch bei der Unterbringung von Geflüchteten auf die XS-Häuschen.
Laut Tiny House Verband gebe es Siedlungen oder Tiny-Dorf-Projekte in Planung etwa in Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen, bei Hamburg oder in Nordrhein-Westfalen. Auch aus anderen Bundesländern beobachte man wachsendes Interesse, der Markt entwickle sich. Oft handele es sich um junge Paare, auch mit Kindern, die minimalistisch leben wollten. Aber auch die Altersklasse 50 plus sei viel vertreten. Tiny-House-Verkaufszahlen würden nicht erfasst. Der Verband geht von mehr als 100 Anbietern bundesweit aktuell aus. (dpa)