Hagen. Die Wetter-Extreme nehmen zu. Der Hydrologe Paolo Reggiani von der Uni Siegen erklärt warum – und was das auch für Südwestfalen heißt.

In der vergangenen Woche war Paolo Reggiani noch in Islamabad: Pakistan arbeitet an einer Wassergesetzgebung, die die Entnahme von Wasser und den Erhalt der Qualität regelt. Reggiani berät vor Ort als Teil eines Expertengremiums. Doch auch in Südwestfalen kennt sich der Hydrologe aus mit den Gegebenheiten, mit den Besonderheiten im Hinblick auf Hochwasser und Trockenheit. Was kommt da in Zukunft auf Südwestfalen zu? Ein Gespräch mit dem Inhaber des Lehrstuhls für Wasserwirtschaftliche Risikobewertung und Klimafolgenforschung an der Universität Siegen.

Im Jahr 2021 war das verheerende Hochwasser im Ahrtal, aber auch Hagen und Teile des Sauerlandes waren schwer betroffen. Müssen wir uns auch in dieser Region an solche Starkregenereignisse gewöhnen

Es ist sehr wahrscheinlich, dass wir mit diesem Phänomen in Zukunft häufiger konfrontiert sein werden. Die Niederschlagsmenge auch in Südwestfalen ist in der Vergangenheit über das Jahr gesehen dieselbe geblieben – aber sie verteilt sich anders. Ereignisse, in denen es große Mengen Regen in kurzen Zeiträumen gibt, nehmen zu. Und die sind ursächlich für Hochwasser. Allerdings sind diese Ereignisse örtlich sehr begrenzt.

Warum kommt es vermehrt zu diesen Starkregenereignissen?

Warme Luft kann mehr Feuchtigkeit aufnehmen als kalte. Die allgemeine Erwärmung der Atmosphäre führt also dazu, dass sich über den Meeren mehr Feuchtigkeit in der Luft ansammelt. Kühlt sich diese Luft ab, kondensiert dieser Wasserdampf und fällt als Tropfen vom Himmel. Die Luft kühlt sich zum Beispiel ab, wenn sie an Gebirgen emporsteigt.

Im Volmetal in Hagen ließ das Hochwasser 2021 eine Brücke einstürzen.  
Im Volmetal in Hagen ließ das Hochwasser 2021 eine Brücke einstürzen.   © WP | Michael Kleinrensing

Sind die Mittelgebirge des Sauer- und Siegerlandes damit per se ein Risikofaktor?

Nein, das würde ich nicht sagen. Größere Jahresiederschlagsmengen sind vor allem am Alpenrand bekannt, wo die Höhenunterschiede beträchtlicher sind. Gleichwohl spielte das Mittelgebirge in der Eifel eine Rolle beim Starkregen im Ahrtal. Aber dort war es auch ein Zusammenspiel aus verschiedenen Faktoren: Auftriebswinde, die die Tröpfchen erst in der Schwebe hielten und dann wegbrachen zum Beispiel. Wir müssen uns klar sein, dass diese Ereignisse auch in anderen kleinen Einzugsgebieten auftreten können.

Kleine Systeme?

Mit kleinen Systemen sind Flüsse oder Bäche gemeint, die ein kleines Einzugsgebiet haben, dessen Wasser sie abführen. Flüsse, deren Einzugsgebiet 800 bis 2000 Quadratkilometer groß sind -- wie die Sieg oder die Lenne zum Beispiel. Ich schließe nicht aus, dass uns ähnliche Ereignisse auch hier im Siegerland oder Sauerland jederzeit drohen können. Wir sollten uns darauf vorbereiten.

Wie am besten?

Im Sauer- und Siegerland finden wir Industriegebiete und Siedlungen sowie Bahnstrecken an und neben den Flüssen. Wenn man mit der Bahn auf dem Weg von Hagen nach Siegen ist, kann man viele dieser Täler mit ihren Siedlungen sehen. Das ist historisch gewachsen und nicht leicht zu verändern. Aber das erhöht natürlich das Risiko und die Verwundbarkeit: es gibt in den Tallagen kaum Flächen, auf denen Wasser versickern kann. Große Teile des Bodens sind dort versiegelt.

Eine strengere Stadtplanung wäre gefragt?

Im Grunde ja. Städte sollten in Hochwasserrisikogebieten weder Wohn- noch Industrieflächen ausweisen. In diesem Zusammenhang wäre es wichtig, aufgrund neuer Erkenntnisse die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Hochwassers realistischer zu beziffern: von einmal in 100 Jahren auf einmal in 50 oder 30 Jahren. Oft ist diese Wahrscheinlichkeit zu niedrig angesetzt. Bestimmte Flächen, die jetzt noch als sicher gelten und bereits bebaut sind oder noch zu bebauen wären, würden dann als nicht mehr sicher gelten.

Aber wer an einem Fluss wohnt, wird doch um die Gefahren wissen, oder nicht?

Meine Erfahrung ist, dass Anwohner sich manchmal gar nicht bewusst sind, wo sich da ihr Haus befindet. Im Ahrtal war ein Neubaugebiet von 2016 betroffen. Sie lebten in einer Sicherheit, die trügerisch war, weil ein einmal in 100 Jahren Hochwasser eine statistische Größe ist, die nicht ausschließt, dass es dieses Jahr eintritt, nächstes und übernächstes. Vielleicht ist das auch eine Art Realitätsverweigerung. Ich plädiere dafür, Anwohnern in solchen Gebieten immer wieder ins Gedächtnis zu rufen, dass die Gefahr präsent ist. Am besten wäre, ihnen mit einer 3D-Simulation mal zu veranschaulichen, welche Welle durch ein Tal schwappt, wenn es zu einem extremen Starkregenereignis kommt.

Strengerer Hochwasserschutz und damit der Ausschluss mancher Grundstücke nähme Städten und Gemeinden aber Möglichkeiten, Geld zu verdienen.

Ich verstehe, dass zum Beispiel die Gewerbesteuer für die Bürgermeister eine wichtige Einnahmequelle ist. Aber in Sachen Hochwasserschutz wäre es besser, nicht kommunal zu denken, sondern in Einzugsgebieten von Flüssen. Wir müssen gebietsübergreifende Lösungen schaffen!

Was würde noch helfen?

Entlang der Sieg, aber sicher nicht nur dort, finden sich alte Industriegelände, die zum Teil sogar brach liegen. Diese Flächen sollten der Natur zurückgegeben werden, sie müssten sozusagen recycelt werden. All das müsste besser von Behörden reguliert werden.

Welche Besonderheiten weist Südwestfalen in Sachen Hochwasserrisiko noch auf?

Das Tempo der Aufforstung ist erstaunlich, aber im Grunde ist der Borkenkäfer ein Risikofaktor. Er hat dazu geführt, dass in den Wäldern Bäume abgestorben sind, die bei Regen die Abfließgeschwindigkeit verlangsamen. Jetzt trifft das Wasser direkt auf dem Boden auf – und der wurde teilweise verdichtet von den schweren Geräten, die die toten Bäume aus dem Wald geholt haben. Das kann einen Einfluss haben, denn der Boden ist wie ein Schwamm: Wenn er zusammengedrückt wird, kann er weniger Wasser aufnehmen.

Neben Starkregenereignissen gibt es auch die Klimafolge Wasserknappheit. Inwieweit wird das in der Region zum Problem?

Man muss das System beobachten. Es ist davon auszugehen, dass wir durch steigende Temperaturen höhere Verdunstungseffekte haben werden. Das wird die Wasserressourcen unter Druck setzen. Allerdings: In Südwestfalen ist es in dieser Hinsicht weniger schlimm als zum Beispiel in Ostdeutschland, wo der sandige Boden kaum Wasser speichern kann. Zudem gibt es hier relativ viele Niederschläge, so dass der Grundwasserspiegel nicht akut in Gefahr ist.