Berlin. Schwer, mächtig, unverrückbar: Marmor ist ein massiver Werkstoff. Und doch fasziniert er seit jeher Designer. Eine Zeitlang war er zwar aus der Mode gekommen - wegen seiner Masse. Das ändert sich nun wieder, immer mehr Designer entdecken den Naturstein für sich und verarbeiten ihn zu Tischen, Lampen und Accessoires.
Marmor brachte man lange Zeit ausschließlich mit Grabsteinen und teuren Edelaschenbechern in Verbindung. Nun erleben Natursteine im Möbeldesign eine Renaissance - häufig in eindrucksvoller Gestalt. Der "Tobi Ishi" für B&B Italia ist so ein Möbelstück, wie man es nur selten zu Gesicht bekommt. In der Ausführung aus weißem Carrara-Marmor wiegt der kreisrunde Esstisch 460 Kilogramm. Auch den Preis des Designobjekts gilt es zu schultern. Der im vergangenen Jahr zum ersten Mal der Öffentlichkeit vorgestellte Tisch soll für rund 23.000 Euro in diesem Jahr in den Handel gehen.
Edward Barber und Jay Osgerby haben das spektakuläre Luxusmöbel gestaltet. Die beiden Designer aus London wollten mit ihrem Entwurf etwas Unverrückbares schaffen, sich gleichzeitig aber auch mit dem Thema freischwebende Konstruktionen befassen. "Tobi Ishi" sind in Japan die "fliegenden Steine", mit denen die Landschaftsarchitekten Wege in Gärten oder im Wasser anlegen. Mit seinen zwei asymmetrischen Fußelementen ist der gleichnamige Tisch tatsächlich sehr luftig konstruiert. Die Leichtfüßigkeit steht in starkem Kontrast zum Material. "Uns war wichtig, dass der Tisch massiv und wuchtig wirkt", sagt Edward Barber.
Material mit unkontrollierbarem Eigenleben
Schwere, opulente Materialien waren im Design lange Zeit verpönt. Leicht sollten die Werkstoffe sein, ebenso neu und innovativ. Barber und Osgerby halten sich nicht mehr an dieses Diktat des Modernismus und verwenden mit dem Marmor ein Material, das bis zu 600 Millionen Jahre alt ist. Architekten und Kunsthandwerker verarbeiten den edlen Stein bereits seit der Antike. Im Gegensatz zu vielen modernen Werkstoffen ist der Marmor ein Material mit einem unkontrollierbaren Eigenleben. Der Stein kann aufgrund seiner kristallinen Struktur wild und unruhig wirken, ebenso fein und sanft.
Wegen seiner Massigkeit war Marmor eine Zeitlang im zeitgenössischen Interior-Design nicht sonderlich gefragt. Protzig geflieste Bankfoyers und angeschmuddelte, steinerne Edel-Aschenbecher haben dessen Image ebenfalls nicht gerade befördert. Nun kommen aber wieder verstärkt Marmormöbel auf den Markt. e15 aus Deutschland, De Padova aus Italien oder Ox Design aus Dänemark haben Tische mit Marmorplatten aktuell neu aufgelegt.
Naturstein bietet spannende Perspektiven
Der Designer Bjoern Berger vom Unternehmen Supergrau beschäftigt sich ebenfalls intensiv mit hochwertigen Natursteinen. Er arbeitet bei seinen Entwürfen mit Marmor, ebenso mit der deutlich jüngeren Gesteinsart Travertin. "Bei uns liegt der Fokus darauf, mit Werkstoffen zu arbeiten, die an sich schon Wert mitbringen", erläutert Berger. In einer Zeit, wo abstrakte, kaum zu fassende Krisen an der Tagesordnung sind, setzen die Designer auf echte Werte.
Am Naturstein interessiert Berger nicht nur dessen Wertigkeit. Auch gestalterisch biete das Material spannende Perspektiven. "Vielleicht ist einer unserer Hauptansätze, in der schnelllebigen Zeit statische, alte und romantische Materialien verarbeiten zu wollen", sagt der Supergrau-Designer. "Auf der formalen Ebene setzen wir das Material allerdings sehr sachlich ein. Die Opulenz beim Material steht in Kontrast zum Minimalismus bei der Gestaltung. So entstehen sehr interessante Dinge."
Feinheiten macht der Fachmann per Hand
Die edle Optik des unter Druck und Hitze im Erdinnern gewachsenen Kalksteins hat die Kunsthandwerker gestalterisch zu allen Zeiten fasziniert. Während die Verarbeitung früher recht mühsam war, profitieren die modernen Gestalter von der Technologie. "Man versucht mit allem Möglichen dem Stein zu Leibe zu rücken", sagt Wolfgang Thust, Inhaber eines 190 Jahre alten Steinmetzbetriebs. "Es gibt kaum eine Technik, die nicht auch beim Marmor versucht worden ist."
Naturstein wird nicht mehr nur in Handarbeit bearbeitet, sondern im hohen Maße auch maschinell. Computergesteuerte CNC-Fräsen bringen das Material in jede nur erdenkliche dreidimensionale Form. Gleichzeitig bleibt aber bei einem so vielschichtigen Werkstoff immer auch der Faktor Mensch gefragt. "Heute kann man zwar viele Dinge automatisieren, die Feinheiten macht der Fachmann aber oft lieber per Hand", sagt Wolfgang Thust. "Er spürt die Stärke des Drucks und verhindert so Zerstörungen."
Sehnsucht nach Ewigkeit
Auf der Grundlage zeitgenössischer Verarbeitungsmethoden lässt sich jede Art von Designobjekt aus Marmor fertigen. Benjamin Hubert aus London hat Lampenschirme aus Marmor entworfen. Er macht sich dabei den Effekt zunutze, dass das Material bis zu einer Dicke von sieben Millimetern lichtdurchlässig ist. Studio Vit aus Schweden gestalten Lampenfassungen - sie setzen so den Kontrast von zerbrechlichem Glas und unzerstörbarem Stein in Szene.
Der britische Designer James Irvine hat eine faszinierende Serie von Design-Editionen kuratiert, die der italienische Hersteller Marsotto komplett aus weißem Carrara-Marmor fertigt. Unter den Objekten befinden sich Sitzmöbel, Tische, Leuchten und Accessoires, gestaltet von Branchengrößen wie Konstantin Grcic, Jasper Morrison oder Naoto Fukasawa.
Alle diese Designprodukte zelebrieren das Besondere. Schon alleine wegen der Unverwechselbarkeit des Materials bleiben die Arbeiten immer Einzelstücke. Die Objekte bilden wegen ihrer Schwere, der Langlebigkeit und Robustheit einen starken Kontrast zu den Produkten einer Möbelindustrie, die jedes Jahr unzählige Neuheiten auf den Markt bringt. Gerade deswegen bedient der Marmor auch die Sehnsucht der Menschen nach der Ewigkeit und dem festem Stand im Leben. Den Tisch "Tobi Ishi" verrückt so leicht niemand. (dpa)