Hannover. Jedes Jahr werden in Deutschland mehr als 300.000 Stromanschlüsse gesperrt, weil Mieter ihre Stromrechnungen nicht zahlen können. Den Betroffenen ist das oft peinlich. Sie sitzen lieber im Dunkeln, als sich rechtzeitig Hilfe zu suchen. Dabei gibt es durchaus Möglichkeiten, die Stromsperre abzuwenden.
Durch die Dachfenster des Wohnzimmers fällt nur das spärliche Licht der Straßenlaterne, wenn Tanja H. die Lampen in ihrer Wohnung ausschaltet. Es ist Abend, und draußen ist es kalt so kurz vor Weihnachten. "Es gab kein heißes Wasser, kein Licht, keinen Kühlschrank, keinen Herd", erzählt Tanja H. Im November wurde der alleinerziehenden Mutter aus Hannover für zweieinhalb Wochen der Strom gesperrt.
"Ich habe einen Job, zwei Kinder und es gibt immer irgendwas, was liegen bleibt", sagt die 35-Jährige. "Und dann ist die Zeit weg, und plötzlich ist der Strom aus." 2000 Euro Schulden hatte Tanja H. angehäuft, nachdem sie ein Jahr ihre Rechnungen bei den Stadtwerken nicht beglichen hatte. Trotz Stromsperre schlief sie die ersten Nächte noch in ihrer Wohnung, dann wurde es zu kalt. Ihr 6 Jahre alter Sohn und sein 17-jähriger Bruder waren bereits zuvor bei ihrem Ex-Mann untergekommen, wo auch Tanja H. schließlich Zuflucht suchte.
Ist das Sperren von Strom unmenschlich?
Im vergangenen Jahr wurden nach Angaben der Bundesnetzagentur 312.000 Stromanschlüsse in Deutschland gesperrt. Sperrandrohungen gab es sechs Millionen. "Die Zahlen bestätigen, dass Stromsperren ein bisher ignoriertes Massenphänomen sind", sagt Aribert Peters, Vorsitzender vom Bund der Energieverbraucher. "Aber Stromsperren sind kein legitimes Mittel, weil sie unmenschlich sind und das Leben der Menschen gefährden."
Peters fordert deshalb, dass die Ursache für Stromsperren untersucht werden. "Nur so können Strategien dagegen ergriffen werden." Denn gerade vor dem Hintergrund steigender Energiekosten sei ein Anstieg der Sperren zu befürchten.
Betroffene bitten oft zu spät um Hilfe
Natürlich habe sie Mahnungen bekommen, sagt Tanja H.. Wo sie finanzielle Hilfe beantragen konnte, habe sie aber nicht gewusst. "Als Schutzschild habe ich immer gedacht: Ich habe ja ein kleines Kind. Und es war ja auch kein Sommer oder so." Nachdem die Stadtwerke eine Ratenzahlung abgelehnt hatten, habe sie sich nicht mehr gekümmert. "Wer kann das schon auf ein Mal bezahlen? Also ich nicht."
In ihrer Verzweiflung sei die Mutter schließlich zum Jobcenter gegangen - allerdings erst am Tag vor der Abstellung, so dass auch das Jobcenter die Sperre nicht mehr aufschieben konnte. "Ganz viele Menschen schämen oder fürchten sich aber, es ist ihnen peinlich, uns anzusprechen", sagt Christian Wenig, Pressesprecher vom Jobcenter Hannover. "Oftmals kommen sie dann erst kurz vor Ablauf aller Fristen und haben die Hoffnung, das Jobcenter könne es richten."
Spezielle Härtefonds für Bedürftige
Im vergangenen Jahr konnten die vom Jobcenter und vom Sozialamt gewährten Darlehen allein in Hannover rund 1200 Sperrungen verhindern. Der Darlehensantrag von Tanja H. wurde jedoch abgelehnt. Sie konnte aber in den "Enercity Härtefonds" aufgenommen werden. Mit Hilfe dieses von Stadt und Stadtwerken gegründeten Sozialfonds seien von April bis Dezember 2011 rund 50 Sperrungen von Strom, Gas oder Wasser vermieden worden, berichtet Carlo Kallen, Pressesprecher von Enercity. "Voraussetzung ist, dass es sich um einen sozialen Härtefall handelt und Energieschulden bei uns bestehen."
Von dem Fonds seien 1000 Euro aufgefangen worden, die restlichen 1000 Euro hat sich Tanja H. von ihrer Mutter geliehen. "Ich habe keine Schulden mehr", sagt sie erleichtert. Jetzt will die 35-Jährige eine Schuldnerberatung aufsuchen. "Damit mal Ordnung reinkommt." Zurück in ihrer warmen Wohnung könne sie mittlerweile sogar ein wenig über die Geschichte lachen. "Aber in der Situation war es einfach ätzend." (dpa)