Essen. Der Berliner Architekt Van Bo Le-Mentzel konstruiert “Hartz IV Möbel“ - für Menschen mit wenig Geld und viel Geschmack. Und für diejenigen, die lieber “konstruieren statt konsumieren“: etwa den 24-Euro-Sessel oder das 1-Quadratmeter-Haus.
Eigentlich wollte Van Bo Le-Mentzel nur seine Verlobte beeindrucken. Der Berliner Architekt, der sich selbst für handwerklich komplett unbegabt hielt, belegte einen Tischlerkurs. Konstruierte einen schönen, aber günstigen Sessel – und startete „aus Versehen“ eine weltweite Bewegung. Die von ihm entworfenen Konstruktionen, die den sehr deutschen Namen „Hartz IV Möbel“ tragen, werden inzwischen in aller Welt nachgebaut. „Konstruieren statt konsumieren“ schreibt sich der 35-Jährige auf die Fahnen und verbreitet sein Motto mit seinem Blog und dem Buch, das daraus entstanden ist.
Was, bitte, ist ein „Hartz IV Möbel“? Zum Beispiel der 24-Euro-Sessel, den Van Bo Le-Mentzel entworfen hat: Das Material kostet 24 Euro, die Fertigung 24 Stunden Arbeitszeit, und wenn man alles richtig eingesetzt hat, hat man einen schicken, schlanken Sessel, der gar nicht versucht, seine Bewunderung für Sitzmöbel-Klassiker von Design-Legenden wie Marcel Breuer, Ludwig Mies van der Rohe und Gerrit Rietveld zu verbergen.
Möbel für Menschen mit wenig Geld und viel Geschmack
Oder der „Kreuzberg 36 Stuhl“: Wer 36 Euro und 36 Arbeitsstunden investiert – und nicht ganz ungeschickt ist – kann sich einen wunderschönen Stuhl zimmern. Und der „Berliner Hocker“: Zehn Euro, zehn Schrauben, zehn Minuten Arbeitszeit: Man kann drauf sitzen, drauf stehen, Dinge drauflegen. Wer mehrere macht, kann sie zum Regal stapeln, und wer Fantasie hat, findet bestimmt noch andere Verwendungszwecke.
Der nicht besonders elegante Name für die schönen und besonderen Möbelstücke rührt aus Van Bo Le-Mentzels Vergangenheit – und aus seiner Philosophie. Der 35-Jährige erzählt, dass er mit seiner Familie selbst mal von Sozialleistungen abhängig war. Und er möchte, dass Menschen mit wenig Geld und viel Geschmack sich mit schönen Dingen umgeben können. Damit keine Missverständnisse aufkommen: Der Designer weiß, dass man massengefertigte Möbel zum Teil billiger kaufen kann. Und rund zwei Drittel der Menschen, die seine Möbel nachbauen, könnten sich auch welche kaufen, schätzt Van Bo. „Die wollen das aber nicht“, sie wollten eben lieber „konstruieren statt konsumieren“.
Die Baupläne gibt's kostenlos, aber nicht umsonst
Die Baupläne fürs Konstruieren bekommen sie kostenlos, aber nicht umsonst: Wer die Anleitungen nicht im liebevoll gestalteten Hatje-Cantz-Taschbuch vorliegen hat, kann sie bei Van Bo anfordern. Der 35-Jährige schätzt, dass er rund 15.000 Mal Pläne verschickt hat – „bei 10.000 habe ich aufgehört zu zählen“. Die Gegenleistung, die der gebürtige Laote dafür fordert, ist Teil seiner „Karma-Wirtschaft“: „Was ich möchte ist möglichst viel Anerkennung, sind möglichst viele Freunde, eine schöne Geschichte, ein schönes Foto.“ Geschichten und Bilder von Menschen, die „Hartz IV Möbel“ gebaut haben, gibt es im Blog und im Buch zu lesen und zu sehen, und hin und wieder auch auf Facebook.
Etwa ein Drittel der Möbel-Bauer seien arbeitslos, viele schon lange krank, schätzt Van Bo. Und die, sagt er, könnten beim Selbermachen etwas bekommen, was Hartz-IV-Leistungen nicht bringen: eine Aufgabe und Anerkennung. Beides sei lebenswichtig, findet Van Bo. Seine „Hartz IV Möbel“ sieht er in der Rubrik „Soziales Design“ gut eingeordnet, nicht nur, weil die Baupläne für alle verfügbar sind, sondern auch, weil jeder sie weiterentwickeln darf.
Sogar soll: Das sei, sagt Van Bo, ausdrücklich erwünscht. Schließlich gehe es nicht mehr nur um „Do it yourself“, sondern um „do it together“. „All das hab ich mir nicht selbst ausgedacht“, betont Van Bo, der in dem Buch, das durch Crowdsourcing beim Inhalt und Crowdfunding bei der Finanzierung entstanden ist, seine Philosophie ausführlich erklärt.
Karma-Wirtschaft und das 1-Quadratmeter-Haus
Die Karma-Wirtschaft funktioniert: Dass er durch seine „Hartz IV Möbel“ in fast jeder Stadt Deutschlands einem Freund oder eine Bekannte hat, bei der er übernachten kann, ist für Van Bo wie eine Währung; „dass sich jemand richtig freut, wenn ich komme, kann man sich für Euro nicht kaufen.“ Ausschließlich von Freundschaft und Anerkennung lebt der Architekt aber selbstverständlich auch nicht. Er arbeitet in einer Design-Agentur: „Mit einem Bein stehe ich im System und lebe davon, dass Leute konsumieren. Und davon, dass sie konstruieren.“
Er selber konstruiert auch weiter. Das SiWo Sofa, zum Beispiel, ein Möbelstück, das ein Bett, ein Sofa und eine Sitzbank kombiniert und in einem VHS-Tischlerkurs zu bauen sein soll. Oder das Haus für 250 Euro: Ein Quadratmeter Grundfläche, und trotzdem kann man drin schlafen. Und in seinem Kopf schwirrt der „Buchrahmen“ herum: „Eine Mischung aus einem Kunstobjekt und einem Bücherarchiv – das soll so sexy sein, dass die Leute lieber Bücher reinstellen wollen als sie sich auf den Kindle zu laden.“