Essen. . Kunden sind längst nicht mehr nur Kunden, sondern werden zu wertvollen Mitarbeitern: Immer mehr Firmen entdecken das so genannte Crowdsourcing für sich. Und die Internet-Gemeinde arbeitet gerne mit.

Steve Krömer ist ein besonders verdienter Mitarbeiter bei McDonalds. Krömer hat für den Burgerbrater die neueste Spezialität, den Burger „Just Stevinho“, kreiert. Dabei arbeitet der Lehrer aus Niedersachsen eigentlich gar nicht für McDonalds - eigentlich.

Die Burgerkette hatte die Internetgemeinde aufgerufen, ihren ersten Social-Media-Burger zu entwickeln. Die Nutzer bissen reihenweise an. Über 115.000 Burger erstellten sie im Netz und Hunderttausende stimmten schließlich über den besten im Web ab. Steve Krömers Kreation gewann und zog für eine Woche in die Burger-Bratstuben von McDonalds ein.

Kunde ist König war gestern

Das Beispiel McDonalds zeigt: Das Motto „Der Kunde ist König“ war gestern, der arbeitende Kunde ist der König von heute. Immer häufiger versuchen Unternehmen, ihre Kunden in den Produktionsprozess einzubinden. Das Internet und vor allem soziale Netzwerke geben ihnen bislang ungeahnte Möglichkeiten, „neue Mitarbeiter“ zu rekrutieren.

Crowdsourcing-Wettbewerbe, Ideen-Schmieden für Nutzer, schießen daher wie Pilze aus dem Boden. Mehr und mehr Unternehmen entdecken diese Zusammenarbeit für sich, weiß Catharina van Delden, Mitgründerin der Münchner Firma Innosabi, die Unternehmen entsprechende Software- und Projektlösungen zur Verfügung stellt. Was zudem bislang vor allem Spielwiese für große Unternehmen war, entdecken auch zunehmend kleine Unternehmen für sich.

Ob im Ideen-Forum von Tchibo, dem Facebook-Duschgel-Wettbewerb vom dm-Drogeriemarkt, oder dem Etiketten-Design-Aufruf von Henkel: Die Kunden entwickeln an Produkten mit, testen Artikel, stimmen darüber ab. Für die Unternehmen ist das eine „hochwertvolle Leistung“, betont Professor Günter Voß. Der Soziologieprofessor an der TU-Chemnitz erforscht dieses Phänomen seit Jahren, hat zum Thema „Der arbeitende Kunde“ auch ein Buch geschrieben.

Großer Nutzen für die Unternehmen

Der Gewinn für die Unternehmen liegt auf der Hand, so Voß: Sie sammeln Ideen, sparen Entwicklungskosten und betreiben auf diese Weise Marktforschung. Van Delden von Innosabi ergänzt: „Unternehmen möchten mehr Transparenz zeigen und mit ihren Kunden einen offenen Dialog über zukünftige Produkte führen. So können sie die Bedürfnisse der Verbraucher viel besser herausfinden und am Ende gemeinsam mit dem Kunden bessere und bedarfsorientierte Produkte schaffen.“

Auch der Marketingeffekt ist riesig. Mit der Einbindung der Kunden wächst die Bindung an die Marke selbst. „Ein unschätzbarer Gewinn“, meint Voß.

Dass die Nutzer ihre Leistung den Unternehmen nahezu unentgeltlich liefern, stört viele nicht. Meist sind die Gewinnmöglichkeiten ohnehin wenig attraktiv. Es überwiegt der Mitbestimmungswille. Bei Henkel lockte für den Siegerentwurf ein iPad, bei McDonalds gab's für den Gewinner immerhin eine Reise nach Chicago und einen Werbespot mit dem eigenen Burger.

Für die Teilnehmer sind oft andere Motive entscheidend. „Das Wichtigste ist der Spaß an der Sache“, sagt Voß. Zum anderen etablieren sie sich in der Internetgemeinde als Lead-Users. Sie steigen also im Status.

Dass Unternehmen ihre Produktionsprozesse an den Kunden auslagern, ist ein Phänomen, dass es auch schon vor den Web-2.0-Zeiten gab. Der Möbelriese Ikea ist dafür ein Beispiel par excellence. Mit Freude schleppen Ikea-Kunden ihre Möbelpakete nach Hause und zimmern Billy & Co. selbst zusammen. Sie planen auch ihre neue Küche in Eigenleistung oder scannen an der Kasse ihren Einkauf selbst.

Der arbeitende Kunde - ein altes Modell

Der gleiche Trend ist auch bei der Deutschen Post auszumachen. Immer mehr von ihren Paketstationen baut der Gelbe Riese in Deutschland auf, wo sich Kunden ihre Pakete selbst abholen. Die Selbstbedienung hat eine lange Geschichte und nimmt immer neue Formen an.

Doch nicht immer sind die Erfahrungen der Unternehmen mit ihren arbeitenden Kunden positiv, wie das Beispiel Henkel zuletzt zeigte. Henkel hatte seine Facebook-Nutzer aufgerufen, ein neues Etikett für seine Pril Flasche zu entwerfen. Als bei der Abstimmung der Entwürfe Ungereimtheiten auftraten und Henkel das Abstimmungsergebnis bereinigte, geriet das Unternehmen unter Manipulationsverdacht. Der Zorn der Nutzer war programmiert. Sie vermuteten, dass Henkel unliebsame Entwürfe aus dem Rennen nehmen wollte.

Genau darin liegt die Tücke für Unternehmen: Die Masse lässt sich kaum steuern. Oder wie Voß sagt: „Die Crowd ist ein unberechenbares Wesen“. Catharina van Delden rät Unternehmen daher, die Nutzer und deren Wünsche ernst zu nehmen und Vertrauen aufzubauen. „Nutzer merken sehr genau, wenn es den Unternehmen nur darum geht, Aufmerksamkeit zu erhaschen, sie aber nicht ernsthaft in den Produktentwicklungsprozess eingebunden werden.“