Ruhrgebiet. . Lallend und laut, so meinen viele Menschen, sei ein Alkoholiker. Doris Meyers Mann war anders: Er ging pünktlich zur Arbeit und benahm sich auf Feiern nie daneben. Dass der Alkohol trotzdem der Grund war, warum ihre Beziehung in die Brüche ging, verstand sie erst, als es zu spät war.
Sie hatten sich mit Anfang 20 kennengelernt in ihrer Stammkneipe. Doris Meyer (Name von der Redaktion geändert) wusste, dass er trank. Wie sich eben jeder mal am Wochenende einen genehmigt. Dass sie sich das erste Mal trennten, lag auch nicht am Trinken. „Wir waren so jung, wollten uns noch nicht binden.“
Als sie sich nach ihrem Studium wieder trafen, verliebten sie sich erneut. Sie heirateten, bekamen ein Kind. „Da war ich schon 42.“ Und auf einmal wurde es kompliziert. Sie sprach ihn auf den Alkohol an. Er entschuldigte sich: „Andere sind über 80 geworden und haben auch täglich getrunken.“
Er war ein "Spiegeltrinker"
Ein „Spiegeltrinker“ sei er, so sagt die heute 65-Jährige. Einer, der nur so viel trinkt – und trinken muss –, um seinen Pegel zu halten. Und das bereits morgens früh. Aber das wurde ihr erst viel später klar.
Eines Abends kam sie von einer Verabredung nach Hause. Ihr Mann hatte den Babysitter rausgeschmissen. „Er saß immer noch mit seiner Lederjacke im Sessel schlafend und das Kind im Strampler unterm Tisch auf dem Boden.“ Von da an ließ sie ihren Jungen nicht mehr mit dem Vater alleine. „Er war nicht mehr zuverlässig.“ Fortan fühlte sie sich in ihrer Freiheit eingeschränkt.
Auch interessant
Die Gespräche gingen ins Leere
Aber das war nicht das, was sie am meisten gestört hat: „Dieser Geruch! Mir wurde übel davon.“ Sie mochte nicht nachts neben ihrem Mann liegen, mit diesem Alkoholgeruch in der Nase. Und sie mochte nicht mit ihm bis drei Uhr morgens über Weltprobleme diskutieren, die keiner lösen kann. „Ich habe mich damit ernsthaft auseinandergesetzt und am nächsten Morgen wusste er nichts mehr davon. Dann hätten wir auch gar nicht sprechen müssen. Das war so eine sinnlose Kommunikation ins Leere.“ Sie ging auf Abstand. „Ich bin ein fröhlicher Mensch, aber über die Jahre mit ihm habe ich das verloren.“ Er habe ihre zunehmende Ablehnung gespürt. Ihr Mann nahm sich eine Freundin.
Doris Meyer trennte sich. In der Untreue sah sie den Grund dafür. Zunächst. Bis ein Kollege sie darauf ansprach, was mit ihr los sei. „Er sah meine hängenden Schultern, ich bin wie ein geprügelter Hund rumgelaufen.“ Der Kollege empfahl ihr eine Psychologin. „Im Gespräch mit ihr gingen mir die Augen auf.“
In der Gruppe fühlte sie sich getragen
Auch interessant
Sie besuchte eine Al-Anon-Selbsthilfegruppe für Angehörige von Alkoholkranken. „Ich fühlte mich von der Gruppe sofort getragen und aufgehoben.“ Sie hörte zu, arbeitete an sich. Nach und nach kam ihre Fröhlichkeit wieder zurück. Doris Meyer hat akzeptiert, dass Alkoholismus eine Krankheit ist, dass sie nicht verantwortlich ist für das Trinken ihres Mannes und ihn auch nicht davon abhalten kann. Und dass sie auf sich achten muss, denn nicht nur der Alkoholkranke ist betroffen.
Ihren Mann sieht sie heute noch: „Ich habe meinen Respekt vor ihm bewahrt. Und ich wollte meinem Kind seinen Vater erhalten.“ Da ihr Sohn erst vier war, als sie sich trennten, hofft sie, dass er von der Alkoholkrankheit seines Vaters nicht allzu viel mitbekommen hat. Sie weiß von Menschen, „die noch Schlimmeres erlebt haben.“ Die mit den Kindern beim alkoholkranken Partner blieben. „Ich hätte das nicht gekonnt. Trotz christlicher Nächstenliebe ist man ja nicht dazu verpflichtet, auf einem sinkenden Boot mit unterzugehen. Damit ist ja keinem geholfen.“
Sie hat gelernt, im Heute zu leben
Für Kinder sei das besonders schlimm, wie sie auch in den Selbsthilfegruppen erfahren hat. Sie passen sich an. Wenn sie nach Hause kommen, wissen sie nicht, wie sie etwa die alkoholkranke Mutter vorfinden: „Ist sie nüchtern, lieb und entschuldigt sich für ihren betrunkenen Zustand? Ist sie betrunken, braucht sie vielleicht die Hilfe des Kindes oder ist sie aggressiv?“
„Alkoholismus ist eine Familienkrankheit“, sagt Doris Meyer. Sie hat in der Gruppe gelernt, im Heute zu leben. „Gestern ist vorbei, was morgen kommt, weiß ich nicht.“