München. . Der Hamburger Nasalsänger Jan Delay ist mittlerweile Vater geworden und hat mit Rockmusik angefangen. Für den linken Sänger sind Linkssein und Luxusleben kein Widerspruch. Er wundert sich allerdings, warum seine Feindbilder wie Horst Seehofer plötzlich seiner Meinung sind.
So lässt es sich leben. Bei sonnigem Frühlingswetter bittet der frischgebackene Vater einer Tochter zum ausführlichen Gespräch auf die Terrasse seiner Suite im Luxushotel „Bayerischer Hof“. Von hier oben hat man halb München im Blick, auf dem Tisch steht ein Schälchen mit feinen Macarons in vier Farbrichtungen. Und es gibt viel zu besprechen.
Mit Unterbrechungen hat der Hamburger, der bürgerlich Jan Phillip Eißfeldt heißt, drei Jahre lang an seinem neuen Album „Hammer & Michel“ geschraubt, und tatsächlich erkennt man ihn zwar an der nasalen Stimme sofort wieder, der Musikstil jedoch hat sich ganz schön verändert. Delay, 38, macht jetzt keinen Soul mehr und auch kaum noch Funk. Sondern Rock. Hört sich nach einer verrückten Idee an? Vielleicht ein bisschen. Hat man sich erstmal daran gewöhnt, klingt die Platte aber trotzdem ziemlich cool.
Wann ist Ihnen der Albumtitel eingefallen?
Jan Delay: Ganz spät. Das Album war komplett fertig, jede Textzeile geschrieben, alles aufgenommen, nur der Titel fehlte noch. In jeder freien Minute habe ich über einen Titel nachgedacht. Schließlich habe ich alle gezwungen, so lange Alkohol zu trinken, bis wir den Titel haben. Urplötzlich hat unser Manager Matthias Arfmann „Hammer und Michel“ rausgehauen. Der Michel ist halt das Uncoolste, was es in ganz Hamburg gibt, aber egal, dafür kennt ihn jeder in Deutschland.
Wie sehr ist auch Ihre Single „St. Pauli“ ein Ausdruck von Heimatverbundenheit?
Jan Delay: In dem Stück steckt viel Nostalgie. Ich bin zum Glück noch mit dem alten St. Pauli aufgewachsen, ich kenne das, deshalb kann ich so einen Text schreiben, und du kannst die Geschichte, die ich da erzähle, heute immer noch so erleben. Aber vieles, was ich da abklopfe, gibt es nicht mehr.
Wo gibt es heute noch das ursprüngliche St. Pauli?
Jan Delay: Ich müsste auf jeden Fall werktags ab 3 Uhr morgens auf den Hamburger Berg gehen. Da findest du noch das alte St. Pauli. Da sind noch komische Gestalten, da kann jeder machen, was er will, da kackt auch mal jemand auf die Straße. Das ist noch St. Pauli. Alles andere ist mit dem eisernen Besen gentrifiziert worden.
Jetzt sitzen wir seit zehn Minuten draußen, und Sie haben sich noch keine Kippe gedreht. Haben Sie sich etwa das Rauchen abgewöhnt?
Jan Delay: Ja, das habe ich. Also ich kiffe natürlich noch, aber ich rauche keine Zigaretten mehr.
Haben Sie das Rauchen wegen Ihrer Tochter aufgegeben?
Jan Delay: Nee, vorher schon, vor zwei Jahren. Und ich bin froh, dass ich das gemacht habe.
Wie war der Moment, als Sie wussten, mit dem Rauchen ist Schluss?
Jan Delay: Ich kam total verkatert von der Echo-Verleihung 2012 nach Hause, fand nur noch angebrochene Marlboro-Packungen, die ich nicht rauche, weil das nicht meine Marke ist, und dachte so „Bäh, ich mag den Geschmack gar nicht mehr.“ Ich gebe aber gerne zu, dass ich den einen oder anderen Joint auch deshalb rauche, um mir ein bisschen Nikotin zu geben.
Zur Musik: Was ist eigentlich die ursprüngliche Idee für „Hammer & Michel“ gewesen? Sagen Sie „Mensch, das muss Rock werden“ oder „Egal was, es muss was anderes werden als vorher“?
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Jan Delay: Ich sage vor allem „Das muss geil werden.“ (lacht) Ich war mit der „Bahnhof Soul“-Platte ein Jahr lang auf Tour. Irgendwann wurde ich total nervös und wollte unbedingt und dringend Musik machen. Die erste Session war im Oktober 2010, da habe ich alles ausprobiert, worauf ich Bock hatte, zum Beispiel karibischen Soca. Ach, und dann haben wir Rock ausprobiert. Nach einer oder zwei Minuten war klar: Das wird das Ding. Natürlich war klar, dass wir alle noch sehr viel lernen mussten. Aber der Funke sprang über.
Wird die komplette Band weiterhin Anzug tragen?
Jan Delay: Ja. Der Anzug auf der Bühne bleibt. Aber alles neu. Wieder von „Herr von Eden“, super eng geschnitten, mit Hochwasserhosen, dazu Boots, Leder-Revers und kleine Nieten dran und Leopardenhemden. Wir haben aus Anzügen und guter Kleidung das Rockigste und Gefährlichste rausgeholt, was man rausholen kann.
Das Aussehen ist Ihnen also wichtig?
Jan Delay: Na klar. Wir wollen gut aussehen, und wir wollen ja auch für was stehen. Mal abgesehen davon: Ein paar von meiner Band kann ich nicht im „Suicidal Tendencies“-Shirt auf die Bühne stellen, die sehen in solchen schwarzen Rockerklamotten lächerlich aus. Man muss das auch verkörpern können (lacht). Anzüge sehen halt einfach nun mal besser aus.
Sie müssen es wissen. Das „Deutsche-Mode-Institut“ hat Sie 2012 zum „Krawattenmann des Jahres“ gekürt.
Jan Delay: (lacht) Jaaaa! Geil, oder?
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Sie thematisieren Ihre eigene politische Haltung unter anderem in der „Scorpions Ballade“. Einerseits kommen Sie aus der antikapitalistischen, linken Ecke und haben auch schon mal erklärt, Gewalt nicht in jedem Fall abzulehnen. Andererseits empfangen Sie jetzt hier in einem der edelsten Hotels Deutschlands. Wie passt das zusammen?
Jan Delay: Ich liebe den Widerspruch. Natürlich bin ich links, aber ich bin nicht per se antikapitalistisch. Ich mache das mit dem Politischen so, wie es mir der HipHop als Lebensentwurf beigebracht hat: Ich nehme mir überall das, was ich gut finde, vermische das, gebe meine Persönlichkeit hinzu – und heraus kommt mein eigener Style. Das gilt für Musik, und auch für meine politischen Ansichten.
Dass jetzt sogar die CSU gegen Kernkraft ist . . .
Jan Delay: …das nimmt mir natürlich den Wind aus den Segeln (lacht). Deshalb mache ich ja ein Lied darüber. „Scorpions Ballade“ dreht sich auch darum, dass meine Feindbilder auf einmal meiner Meinung sind. Oder, noch verrückter: Warum sage ich auf einmal Sätze, die so auch aus
dem Mund von Horst Seehofer kommen könnten? Wie bei allen Entwicklungen und Evolutionen muss man lernen, damit klarzukommen.
Sie singen in „St. Pauli“: „Im Großen und im Ganzen ham’ wir allen Grund zum Tanzen“. Sie sind schon eher Optimist, oder?
Jan Delay: Ja, bin ich. Ich mache schließlich Entertainment, und ich will, dass meine Musik den Leuten Spaß macht. Ich weiß, dass in jedem einzelnen Leben viel Scheiße passiert. Aber ich sehe mich und uns aus der Entertainment-Kaste dafür zuständig, dass es den Leuten ein bisschen besser geht, wenn auch nur für vier Minuten. Ich will nichts darüber hören, wie schlecht alles ist, dass Krieg ist, wir alle sterben werden und sich die Kinder die Arme wegritzen. Das ist nicht meine Welt. Meine Welt ist positive Musik.
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Sie sind im Februar Vater geworden. Machen Sie sich Gedanken darüber, wie sich Ihr Leben nun verändern wird?
Jan Delay: Nein, sonst rattert mein Kopfkino los. Als meine Freundin schwanger war, saß ich die ganze Zeit an dieser Platte, ich glaube, das war gut so, um mich abzulenken.
Das Lied „Dicke Kinder“ ist einerseits lustig, hat aber einen ernsten Hintergrund nach dem Motto „Kinder, esst Gemüse statt Chips“. Sehen Sie Ihre Musik als Erziehungsauftrag?
Jan Delay: Ja, in dem Fall schon. Das ist ein Lied für die Eltern wie für die Kinder. Die Geschichte ist lustig und unterhaltend und hat einen guten Reim.
Warum ist gute Ernährung so wichtig?
Jan Delay: Weil Essen unser Benzin ist. Sonst gehen die Motoren aus. Ich habe als Jugendlicher schon gemerkt, dass du schlapp machst, wenn du dich scheiße ernährst. Und heute erst recht. Wenn 10 000 Leute wegen mir in die Halle kommen und Geld bezahlt haben, muss ich am Start sein. Da kann ich nicht vorher saufen, rauchen und nur Scheiße essen. Solche Dinge lernt man eben. Wenn man sieht, wenn andere Leute stumpf zumachen und sich wundern, warum sie so müde und so fett sind, will man einen Song darüber schreiben.
Sind Sie Vegetarier oder sogar Veganer?
Jan Delay: Nein, ich esse durchaus Fleisch. Aber bewusst. Ich bin der Meinung, dass jemand, der kontrolliert Fleisch isst, für sich selbst und die ganze Welt mehr Wert ist, als ein Vegetarier, der unbewusst konsumiert. Vor allem für das Gemeinwohl und für die Nachhaltigkeit und Umweltschonung bringt es mehr, wenn du Fleisch von pfleglich behandelten Tieren isst, als wenn du unbewusst die pestizidverseuchten Pflanzen isst, literweise Cola trinkst und eine Ernährungsindustrie unterstützt, die uns irgendwann in den Abgrund reißen wird.
- Jan Delay: „Hammer & Michel“, Live: 15.10. Dortmund, 16.10. Düsseldorf. Karten in den Leserläden dieser Zeitung
( derwesten.de/vvk), unter 0201/804-6060 und unter www.ruhrticket.de