Essen. . Der US-Autor T.C. Boyle hat das Schreiben selbst an der Universität von Iowa gelernt. Neben anderen war John Irving sein Lehrer. Seit 35 Jahren unterrichtet Boyle nun selbst angehende Autoren. Doch wie viel kann man dabei eigentlich lernen?

Kann man das Schreiben lernen? Und wenn ja – wie? US-Autor T.C. Boyle steht vielleicht wie kein zweiter für die ur-amerikanische Erfindung der Schreibschule, der „Creative Writing Class“. T.C. Boyles Karriere begann mit einem Autorenworkshop an der Universität von Iowa. Seit 1978 lehrt er selbst an der University of Southern California. Mit Britta Heidemann sprach er über die richtige Mischung aus Talent, Disziplin und Glück, die eine Schriftstellerkarriere braucht.

Herr Boyle, wie lehren Sie das Schreiben?

T.C. Boyle: Wie lernt man, Rock’n’Roll zu singen?

Keine Ahnung, wirklich.

Boyle: Sie hören zu. Sie finden die Musik, die Sie lieben, und Sie singen mit, singen nach. Und dann, wenn Sie Talent haben, komponieren Sie etwas Eigenes. Das Gleiche gilt für das Schreiben. Meine Aufgabe als Lehrer ist es, Sie dabei zu führen. In meinen Klassen sind jeweils 15 Studentinnen und Studenten, die Talent haben. Sie schreiben, und wir lesen gemeinsam ihre Texte und interpretieren sie. Was kann ein Autor dabei lernen? Vielleicht nichts. Vielleicht denkt er: Hier sitzen 15 Leser, kluge Leute, die verstehen das Ende meiner Geschichte nicht – das sollte ich besser ändern. Oder er denkt: diese Idioten, sie haben keine Ahnung, das Ende ist perfekt.

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Sie sprechen über Talent, also braucht es das schon noch?

Boyle: Kann man einen beliebigen Menschen von der Straße holen und ihn lehren, wie man schreibt? Die Antwort ist: nein. Niemand kann Ihnen beibringen, ein Künstler zu sein. Aber neben Talent braucht es noch andere Dinge. Die völlige Hingabe des Lebens an das Schreiben, zum Beispiel. Und Glück: Stellen Sie sich einen Menschen vor, der leidenschaftlich gerne schreibt, aber niemals Bestätigung findet, dessen Bücher nicht gedruckt werden, der kein Geld verdient – da nützt auch das Talent nichts. Die Hälfte der Studenten in der Autorenwerkstatt, die ich selbst damals in Iowa besuchte, gehört heute zu Amerikas größten Schriftstellern. Von der anderen Hälfte habe ich nie wieder gehört. Ich weiß nicht, ob sie gestorben sind, oder Busfahrer wurden, oder als Jäger durch die Wälder streifen.

Hätten Sie das voraussagen können, welche Ihrer Kommilitonen es als Schriftsteller schaffen würden?

Boyle: Nein, überhaupt nicht.

Wie erkennen Sie bei Ihren Studenten, ob sie Talent haben?

Boyle: Ich würde niemals einem meiner Studenten sagen, dass er kein Talent hat; manchmal durchlaufen Menschen ja auch erstaunliche Reifungsprozesse. Sagen wir es so: Ich bin Ihr Fan, für immer, wenn Sie mich ein einziges Mal, mit irgendetwas – einer Kurzgeschichte, einer Szene – vollkommen aus den Schuhen hauen.

Und könnten Sie uns nicht ein, zwei Regeln verraten, wie man das macht?

Boyle: Es gibt keine Regeln. Wenn Sie mir mit einer Regel kommen würden – dann würde ich Ihnen auf der Stelle eine ganz besonders großartige Geschichte schreiben, die diese Regel widerlegt.

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Was meinen Sie: Ist es heute eigentlich leichter, einen ersten Roman zu veröffentlichen, als in den 80er-Jahren?

Boyle: Mein Gefühl ist, dass man heute leichter einen Verlag auf sich aufmerksam machen kann. Damals, zu meiner Zeit, war es eher so, dass die Verlage sich langfristig an ihre Autoren gebunden haben, sie aufgebaut und begleitet haben. Heute ist die Literaturwelt fast ein bisschen wie die Musikindustrie, es werden eine ganze Reihe junger Autoren auf den Markt geworfen und man schaut mal, wie sie sich so schlagen. Das tut mir manchmal ein wenig leid.

Sie selbst hatten ja mit „Wassermusik“ einen sehr, sehr frühen Erfolg.

Boyle: Schon, aber es war zunächst ein eher bescheidener Erfolg, der erst im Laufe der Zeit immer größer wurde. „Wassermusik“ war nicht von Anfang an ein Bestseller. Das ist eigentlich besser, denn auch ein sehr früher Erfolg kann für einen jungen Autor schlecht sein, weil er einschüchternd wirkt.

Sie unterrichten seit 35 Jahren an der University of Southern California – wie hat sich Ihre Studentenschaft verändert?

Boyle: Gar nicht, obwohl die Universität sich verändert hat. Als ich damals dort anfing, war es eine eher mittelmäßige Hochschule, jetzt ist es eine der Top-Unis des Landes. Das bedeutet, dass die Studenten klüger sind, weil es schwerer geworden ist, aufgenommen zu werden. Nur unterrichte ich kein akademisches Fach. Die Studenten, die ich ganz zu Beginn hatte, hatten ebenfalls ein großes künstlerisches Talent. Genauso wie die Studenten jetzt. Für mich sind sie sich immer noch ziemlich ähnlich.

Ich wundere mich, dass die Generation Internet immer noch so fasziniert vom Romanschreiben zu sein scheint.

Boyle: Die Schönheit von Literatur besteht darin, dass jemand einem anderen Menschen eine Geschichte erzählt, ganz direkt. Und ob das nun eine gute Geschichte ist oder nicht: Nur Sie, nur einer von Milliarden Menschen, kann diese Geschichte so erzählen. Denn nur Sie haben Ihre Erfahrungen gemacht und können mit Ihrer eigenen Stimme sprechen. Genau das ist es, was meine Studenten so fasziniert.

  • T. C. (Thomas Coraghessan) Boyle, 1948 in New York geboren, ist einer der bekanntesten Autoren der USA. Er lebt in Kalifornien. Zuletzt erschien sein Roman „San Miguel“ (Hanser, 448 S., 22,90 €).