Essen. . Da immer mehr Menschen einen ersten Roman schreiben, wird es auch für die Leser immer schwerer, in dem riesigen Angebot das für sie spannende Buch herauszufischen. Wir haben die Erstlingswerke unter die Lupe genommen. Eine Auswahl.

„So wie der Mond vom Licht der Sonne erst zum Mond gemacht wird, so wird der Geliebte vom Liebenden gemacht“: Solche Sätze muss man sich mal trauen. Monika Zeiner aber tänzelt leichtfüßig auf der rosafarbenen Mauer, die die Poesie vom Kitsch trennt – und stürzt nur ganz, ganz selten mal ab.

Die melancholischen Seiten der Liebe, im Mittelalter noch besungen (darüber hat Zeiner promoviert), sind uns heute eher Grund zu Scham. Warum nur? Zeiner schwelgt im Setting einer vergangenen Musiker-Boheme, in der die Dreiecksbeziehung zwischen Tom, Betty und Marc begann. In der erzählten Gegenwart lebt Betty in Neapel als Anästhesistin, und Jazzpianist Tom betäubt das Leid einer unglücklichen Ehe im Alkohol. Ihre Wiederbegegnung lüftet manchen Schleier – und das Geheimnis um Marcs Tod. Die Tag- und Nachtseiten der Liebe, souverän ausgeleuchtet.

  • Monika Zeiner: Die Ordnung der Sterne über Como. Blumenbar, 607 S., 19,99 €

Als andere Kinder auf dem Klettergerüst spielten, kaute sie bereits auf einem Bleistift und dachte sich Geschichten aus. Heute gibt Margarita Kinstner Jungen und Mädchen Schreibtipps in „Margas Magazin“. Schreiben ist ihr Leben, wobei sie noch als Arzthelferin ihre Semmeln verdient. Noch. „Mittelstadtrauschen“ dürfte das bald ändern.

Margarita Kinstner schreibt über ihre Heimat Wien.
Margarita Kinstner schreibt über ihre Heimat Wien. © Thomas Wollinger / Deuticke Verlag

Der Roman spielt in der Heimat der Mittdreißigerin, in Wien mit seinen melancholischen Menschen im Prater oder Kaffeehaus. Marie ist eine von ihnen, die ihre Fröhlichkeit nur auf den Lippen trägt.

Verloren rauscht sie durch eine Stadt, die keine Kleinstadt ist, aber auch keine Metropole, und in der Zufallsbekanntschaften gar nicht so zufällig sind. Kinstner entwirrt das Knäuel der ineinander verwobenen Liebes- und Lebensgeschichten, ohne sich zu verheddern. Mit wenigen Worten malt sie Bilder, lässt Wien sehen, hören, schmecken. Selten ist ein Roman so überraschend.

  • Margarita Kinstner: Mittelstadtrauschen. Deuticke, 286 S., 19,90 €

Wie klein dies globale Dorf ist, in dem wir leben! Hannah Dübgen, die in Düsseldorf aufwuchs und in Oxford, Paris und Berlin studierte, lässt Entfernungen zusammenschnurren und bringt gleich vier Protagonisten in vier Ländern in einen Erzähl-„Strom“.

Hannah Dübgen begann ihr Schriftstellerdasein als Theaterautorin.
Hannah Dübgen begann ihr Schriftstellerdasein als Theaterautorin. © Susanne Schleyer

Der Amerikaner Jason stößt in Tokio auf Traditionen. Der brasilianische Zoologe Luiz hadert in Tel Aviv mit dem strenggläubigen Teil seiner jüdischen Familie – und trifft heimlich die Geliebte Joana. Die japanische Pianistin Makiko lebt in Paris und liebt Gerard und erst ganz am Schluss auch das Kind, das in ihrem Bauch wächst. Und Dokumentarfilmerin Ada, die im Gazastreifen drehte, sitzt in Berlin am Sterbebett ihrer Freundin Judith. Die geschickt geknüpften Erzählfäden laufen zusammen bei einem Konzert Makikos in Jerusalem. Hannah Dübgen spielt die Dissonanzen heutiger Lebensläufe aus, ohne klischeehafte Lösungen anzubieten: ein erstaunlich reifes Früh-Werk.

  • Hannah Dübgen: Strom. dtv, 272 S., 14,90 €

Sein Stil ist eine Entdeckung, seine Geschichte ein Rätsel: Roman Ehrlich wählt in seinem Erstling, mit dem er zum Wettlesen um den Klagenfurter Bachmann-Preis antrat, eine seltsam unkonkrete Sprache. Der Erzähler, dessen Namen wir nie erfahren, macht sich aus unbekanntem Grund auf ans Meer, zum Haus seiner Eltern.

Roman Ehrlich hat einen guten Stil, doch seine Geschichte gibt auch Rätsel auf.
Roman Ehrlich hat einen guten Stil, doch seine Geschichte gibt auch Rätsel auf. © Aylin Karadeniz

Der Fußmarsch führt durch eine verschneite Landschaft, die eine Welt nach der Klimakatastrophe sein könnte. Im Elternhaus angekommen trifft er nur den ihm unbekannten Jungen Richard. Ihm erzählt er, das ist der interessante Teil, Geschichten; von einem Vulkanausbruch in Indonesien oder vom großen Feuer von Chicago. Wieso der Erzähler und der Junge nie die Frage klären, was etwa aus den Eltern geworden ist? Erfahren wir nicht. Stattdessen funkeln oft kraftvolle Sätze: „Unter denen, die draußen auf dem Feld sitzen, erkennt man die Toten daran, dass der Schnee auf ihnen liegen bleibt.“

  • Roman Ehrlich: Das kalte Jahr. Dumont, 248 S., 19,99 €

Tigermilch, das ist „ein bisschen Schulmilch, viel Maracujasaft und ordentlich Mariacron“. Diese Mischung verrühren Nini und Jameelah in einem Müllermilchbecher, dessen Inhalt sie vorher „ins Klo“ gekippt haben, denn „Müllermilch ist für Kinder“. Nini und Jameelah sind erwachsen! Sie tragen jetzt Ringelstrümpfe und gehen „auf die Kurfürsten“. Reihen sich „ganz pomade“ ein zwischen den echten Nutten und gehen zum Spaß mit einem „Typen“ mit: „Man kann etwas lernen von diesen Männern, Jameelah meint, es ist, wie wenn man Medizin studiert. ... Wir müssen wissen, wie alles geht, damit uns keiner was kann.“

Stefanie de Velasco hat es mit Disziplin geschafft.
Stefanie de Velasco hat es mit Disziplin geschafft. © Joachim Gern

So furios beginnt Stefanie de Velasco, im gleichen Tempo geht es weiter. Nini und Jameelah sind befreundet mit Amir aus ihrer Siedlung. Sein großer Bruder Tarik aber flippt aus, weil die Schwester einen Serben heiraten will. Brutal und schonungslos, zart und liebevoll erzählt De Velasco vom Erwachsenwerden.

  • Stefanie de Velasco: Tigermilch. Kiepenh. & Witsch, 288 S., 16,99

Was Philipp Schönthaler umtreibt, ist die Zentrifuge, in die unsere Gesellschaft unversehens hineingeraten zu sein scheint – und in der das Leben eines jeden, der da herumgeschleudert wird, jederzeit aus den Fugen zu geraten droht. Schönthalers erster Roman „Das Schiff das singend zieht auf seiner Bahn“ ist keine durcherzählte Geschichte, sondern eine oft ironisch zusammenmontierte Collage von Szenen aus der Alltagswelt einer Kosmetik-Firma, Karrieristen und Verlierer inklusive. Hinter all der Arbeit an der Selbst-Optimierung und dem Aberglauben an das Happy End im Kapitalismus schimmert durch, dass es am Ende immer um Profit-Optimierung geht.

Philipp Schönthaler liefert eine ironisch montiere Collage.
Philipp Schönthaler liefert eine ironisch montiere Collage. © Milena Schlösser

Schönthalers Ton ist beinahe klinisch kalt. Seine literarische Ahnengalerie beginnt bei Alfred Döblin und hört bei Wolfgang Hildesheimer nicht auf. Literarische Artistik also, hohe Kunst und doch – vollkommen realistisch.

  • Philipp Schönthaler: Das Schiff das singend zieht auf seiner Bahn. Matthes & Seitz, 280 S., 19,90 €