Essen. . Damit unsere Region schöner wird, dürfen gute Gedanken nicht in Schubladen verstauben. Wir haben sie zusammen mit dem Regionalverband Ruhr (RVR) ans Licht gebracht. Hier nun eine Auswahl der kleinen und großen, gewagten und vernünftigen Vorschläge.

Menschen, denen ihre Region am Herzen liegt, haben 428 Ideen fürs Ruhrgebiet gesammelt – große und kleine, gewagte und vernünftige. Der Regionalverband Ruhr (RVR) hatte um Gedanken, Visionen und Zukunftspläne gebeten. Heraus kamen „Liebeserklärungen an unsere Region“, wie RVR-Chefplaner Martin Tönnes bei der Präsentation der Ruhrideen im Bochumer RuhrCongress schwärmte. Diese einzigartige Ideensammlung fließt ein in den neuen Regionalplan für die Metropole Ruhr.

Auf dieser Seite präsentieren wir Visionen und Ideengeber. Natürlich können wir nur eine kleine Auswahl der Ideen vorstellen. Es gibt noch so viel mehr: Petra Kaliebe aus Bochum hat zum Beispiel vorgeschlagen, Gewerbegebiete in Parkanlagen zu verwandeln. Sascha Nowak aus Dortmund träumt von Orten, an denen Menschen ihre Hilfe anbieten, ihr Wissen teilen – unentgeltlich. Und Susan Findorff aus Mülheim fragt, warum wir in der Stadt Stiefmütterchen pflanzen statt Wildpflanzen wachsen zu lassen. Eine Übersicht über alle Einsendungen finden Sie hier.

Mit der Seilbahn von Halde zu Halde

Die mit Abstand größte Ruhridee stammt von Ralf Bayerlein (59) aus Mülheim. Er findet, das Revier hat einen monumentalen Hingucker verdient. Zollverein, Florian, Duisburger Hafen seien ja ganz nett. Aber da wäre noch etwas mehr drin: Eine Riesenseilbahn schwebt ihm vor, zwischen den Halden Tetraeder und Haniel. Die wäre, so viel steht fest, einzigartig in NRW, sogar in Deutschland.

Ralf Bayerlein wünscht sich eine Seilbahn, mit der man von Halde zu Halde fahren kann.
Ralf Bayerlein wünscht sich eine Seilbahn, mit der man von Halde zu Halde fahren kann. © Ingo Otto / WAZ FotoPool

Bevor nun jemand das Wort „unmöglich“ auch nur denkt: Bayerlein ist Bauingenieur. Er weiß also, wovon er spricht. „Bautechnisch wäre eine solche Seilbahn auf jeden Fall machbar. Der Abstand zwischen Hanielhalde und Tetraeder beträgt 6200 Meter“, sagt der Ideengeber. 6,2 km – wahrlich ein Riese unter den Seilbahnen, aber kein Anwärter für den Titel „längste Seilbahn der Welt“. Die steht in Schweden und misst 13 000 Meter.

Bayerlein sagt: „Ich komme als Bauingenieur, der sich mit Bergschäden beschäftigt, viel im Ruhrgebiet herum. Die Haldenlandschaft fasziniert mich sehr. Schon oft bin ich mit dem Fahrrad diese Strecken abgefahren. Man muss auch mal querdenken, um Neues zu erreichen. Ich glaube, das Ruhrgebiet braucht solche Vorzeigeprojekte. Lasst uns zwei dieser Landmarken mit einer Seilbahn verbinden, auf die Halden eine vernünftige Infrastruktur bringen und diese zu einer weltweiten Attraktion machen. Die Idee kam mir bei einer Fahrt mit der Seilbahn über den Hafen von Barcelona.“ Ein teures Unterfangen wäre das. Ohne potente Geldgeber bestimmt nicht zu stemmen. Aber Bayerlein will mit dieser Ruhridee Mut machen. „Man sollte gedanklich erst einmal alles zulassen. Wenn wir uns im Ruhrgebiet weiterentwickeln wollen, müssen Gedanken ohne Grenzen gesammelt und zugelassen werden.“ Und überhaupt: Was hatten die echten und vermeintlichen Experten seinerzeit über die Eiffelturm-Pläne geschimpft! Unbezahlbar, schwer zu bauen, eigentlich total überflüssig. Und was war es tatsächlich? Eine der besten Ideen der Welt.

Mehr Gärten für alle 

Das Siepental im Essener Stadtteil Bergerhausen ist schon idyllisch: Kinder spielen auf dem Klettergerüst, die Mütter haben es sich ein Stückchen weiter auf der gepflegten Rasenfläche gemütlich gemacht. Jogger, Hundefreunde und Radfahrer teilen sich die Wege. Immer wieder blickt einer neugierig auf eine Frau mit Brille, in Pluderhosen und Sandalen, die von dem Treiben nichts mitzubekommen scheint.

Marie-Rose Joos arbeitet gelassen im Gemeinschaftsgarten vor sich hin, rupft Unkraut zwischen den Kartoffelpflanzen, guckt nach den Radieschen und bedauert die Bohnenranken, die den Kaninchen offenbar geschmeckt haben. Die Diplom-Biologin gehört seit zwölf Jahren zu der lokalen Gruppe des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND), die das 300 qm große Grundstück am Rande des städtischen Parks bewirtschaftet. Ökologisch und vor allem mit Nutzpflanzen. Sie hätte gerne mehr solcher Gärten im Ruhrgebiet.

„Ich habe gerade die geschossene Melde abgemacht“, sagt die 58-Jährige zur Begrüßung. Das in Vergessenheit geratene, heimische Salatpflänzchen blüht gerade, viele Blätter sind erntereif. Die erfahrene Gärtnerin erklärt, dass man das an der dunkleren Färbung sehen kann. Mit dem Gemeinschaftsgarten will sie genau solches Wissen an Gartenneulinge weitergeben. Deshalb hat sie das Projekt auch beim Ideenwettbewerb eingebracht. „Wir sollten wieder mehr selbst anbauen und vor allem mehr über heimische Pflanzen wissen.“ Das gelte auch für Heilpflanzen, wie die Ringelblume, die nun im Siepental ein Zuhause hat.

„In den Städten gibt es viele ungenutzte Flächen, die sich für Gärten eignen würden und so eine neue Struktur bekämen“, sagt Joos. Das Projekt stärke das Gemeinschaftsgefühl, weil sich die Gruppe selbst organisiere. Etwa 60 Mitglieder gehören in Essen offiziell dazu, rund 20 machen aktiv bei der Gartenarbeit mit. Immer samstags treffen sich die Hobbygärtner zwischen den Beeten hinter dem niedrigen Totholzwall – säen, jäten und ernten. „Es tut gut, so mit der Natur in Kontakt zu kommen.“

Den Gemeinschaftsgarten in Bergerhausen gibt es seit diesem Frühjahr. Die Stadt hat die Fläche zur Verfügung gestellt, Samen, Geräte oder den Kaninchenzaun schafft die Gemeinschaft selbst und über Spenden an.

Eine kleine Oase

An diesem Morgen hat Marie-Rose Joos die Beete mal ganz für sich alleine. Gleich will sie noch gucken, ob die Zucchini männliche Blüten tragen. Denn aus denen werden keine Früchte und man kann sie hervorragend braten. Vielleicht gibt es die auch bei dem Erntedankfest, das die Gruppe in ihrer kleinen Nutzpflanzen-Oase plant.

Spielplätze für Senioren 

Stangen für Klimmzüge, Beinschwinger und wackelige Brücken aus einzelnen Holzelementen. Seniorenspielplätze – auch Bewegungsparcours und Mehrgenerationenplätze genannt – gibt es bereits in vielen Großstädten. Stefanie Thomczyk fehlen sie auf den öffentlichen Flächen im Ruhrgebiet.

„Vor vielen Jahren habe ich so eine Anlage im Urlaub gesehen und vor kurzem in Istanbul wieder“, sagt Stefanie Thomczyk. Die Istanbuler Senioren hatten das Angebot begeistert angenommen. Die 49-jährige Chefin einer Marketingagentur wohnt in Herne direkt neben einer Parkanlage. Viele Senioren aus den umliegenden Altenheimen und Seniorenzentren besuchen die Grünfläche regelmäßig – oft gehen sie nur spazieren. „Es gibt da zwar auch Fitnessgeräte, aber die sind eher was für Durchtrainierte. Man braucht Kraft“, sagt Stefanie Thomczyk. Leichte Übungen, die vor allem Spaß machen, gehen daran nicht.

Das Konzept der Seniorenspielplätze gibt es seit etwa 20 Jahren. In China entstanden die ersten. Man wollte damals alte Menschen im Sinne der traditionellen chinesischen Medizin dazu animieren, etwas für ihren Körper zu tun. Und das mit Erfolg. Die Fitnessgeräte und das gemeinsame Training gehören fest zum Bild chinesischer Städte. Der erste Seniorenspielplatz in Deutschland entstand 1999 in Schöningen, etwa 50 Kilometer von Braunschweig entfernt. Der Seniorenbeirat betreibt ihn dort. Die Stadt stellte damals eine Gartenfläche zur Verfügung, bei einem Spendenaufruf konnten sich die Bürger, Firmen und Vereine an der Anschaffung der Geräte beteiligen. In Nürnberg sind seit 2006 fünf Anlagen entstanden, in Berlin gibt es mittlerweile über 20. Im Bottroper Ehrenpark wurde 2009 eine Generationsspielfläche gebaut, seit 2011 gibt es auch eine in Haltern. Aber sie sind noch die Ausnahme. Dabei bieten Hersteller üblicher Spielplatzgeräte die Fitness-Modelle für Erwachsene bereits an.

Sportgeräte für ältere Leute

Der Freizeitspaß für die neue, aktive Seniorengeneration boomt also. Und das nicht nur wegen der Sportgeräte. Viele Bewegungsparcours sind mit Kinderspielplätzen verbunden und können so von Oma und Enkel gleichzeitig genutzt werden. Außer den Fitnessgeräten gibt es dort auch die Freizeitklassiker Großfigurenschachfelder, Tische für Kartenspiele und Bocciafelder – in Schöningen sogar eine Freiluftkegelbahn. Deshalb fragt sich Stefanie Thomczyk: „Warum also nicht auch hier?“

Noch mehr Ideen - Das fehlt dem Ruhrgebiet 

Eine Plattform für Möglichkeiten: Hendrik Leuckefeld aus Essen möchte das Potenzial des Ruhrgebiets auf einer Onlineplattform bündeln. Der Informatiker schlägt einen Möglichkeitsmelder vor, auf dem Bürger angeben können, was ihnen im Stadtteil fehlt – etwa ein Eltern-Kind-Café. Jemand, der so ein Café eröffnen möchte, kann dort nachsehen, wo es gebraucht wird. „Nicht jeder Macher weiß, was wo gerade fehlt“, sagt Leuckefeld. Der Regionalverband Ruhr findet seine Idee so gut, dass er sie bald umsetzen möchte.

Bäume pflanzen und Prämie erhalten: Für ein grüneres Ruhrgebiet und mehr Umweltbewusstsein setzt sich Sebastian Link mit seiner Idee ein. Der 24-jährige Student aus Bochum schlägt eine Baumpflanz-Prämie vor, bei der Bürger auf städtischen Flächen pflanzen und dafür von der Stadt ein Dankeschön erhalten. „Es gibt immer mehr Brachflächen, gleichzeitig werden woanders Bäume gefällt. So würden die Flächen genutzt, das Stadtgrün bliebe erhalten und Bürger bekämen einen Schubs in Richtung umweltbewusstes Handeln.“

Auf Entdeckungsreise durch das Revier: „Ich finde es schade, dass Viele oftmals mit dem Ruhrgebiet die alten Klischees Stahl, Kohle, graue Städte assoziieren“, sagt Hendrik Hunschede. Deshalb hat der 31-Jährige im Rahmen seines Tourismusstudiums die Pottsafari entwickelt. Das ist ein Onlinespiel, bei dem man zu Fuß eine Stadt erkundet und gleichzeitig online Fragen zu den einzelnen Stationen der Safari beantwortet. Unter www.pottsafari.de gibt es die ersten zwei Routen durch Dortmund. Weitere sollen folgen.

Die Tiefe der Schächte erfahrbar machen: In die Tiefe will Wolfgang Raitz (Essen) die Besucher der stillgelegten Zechen schauen lassen. Der Vorschlag des 64-jährigen Prokuristen im Ruhestand: ein Schacht des Schreckens ähnlich dem Skywalk über dem Grand Canyon. „Zollverein ist eine Art Disneyland über Tage, die Realität war aber bis zu 1000 Meter unter Tage. Das muss den Besuchern des Weltkulturerbes nahegebracht werden.“ Eine Plexiglasplatte könnte einen Schachtmund begehbar machen. Der Schacht darunter sollte ausgeleuchtet sein.

Alle Städte unter einem Wappen: „Das Ruhrgebiet braucht ein einheitliches Alleinstellungsmerkmal“, sagt Thomas Röthig aus Hattingen. Der 59-Jährige ist Sozialsponsor. Er organisiert Versteigerungen, bei denen die Erlöse einem guten Zweck zukommen. Ihm schwebt ein Wappen vor, bei dem die Farben NRWs rot und grün durch eine blaue Ruhr verbunden werden. Gemeinsam mit einem Heraldiker, einem Wappen-Experten, hat er bereits ein Wappen für die „Region Ruhrgebiet“ entworfen, das alle Ortseingangsschilder zieren könnte.

Gemeinsamer Tag der Kulturhauptstadt: „Ich denke an einen Ruhrgebietstag“, erzählt Norbert Labatzki von seiner Idee. Das große Fest könnte jedes Jahr in einer anderen Stadt stattfinden – die Finanzierung würden sich alle Städte teilen. Die Städte könnten auch untereinander Wettbewerbe austragen. Der 50-jährige Musiker aus Gelsenkirchen findet, dass das Ruhrgebiet aufhören sollte, sich nach außen hin kleinzureden. Es sollte sich endlich als Kulturmetropole darstellen. „Durch den ,Tag der Kulturhauptstadt’ könnte uns allen vielleicht das eigene Kultur-Potenzial klarwerden.“

Einheitliche Einzeltickets und günstigere Tarife: Niels Funkeist einer von vielen Ideengebern, die sich mit dem ÖPNV beschäftigt haben. Der 37-jährige Programmbereichsleiter bei der VHS Gelsenkirchen wünscht sich ein günstigeres, einheitliches Ticket für Busse und Bahnen. Er vergleicht mit Berlin, wo eine Einzelfahrt von Potsdam nach Bernau 3,10 Euro koste. Eine ähnliche Strecke in der „Metropole Ruhr“ von Duisburg Hbf nach Dortmund Hbf koste 12,50 Euro. „Im Moment fahre ich nur ab und zu und merke, wie teuer das im Vergleich zum vorher genutzten Monatsticket ist.“

Verlassene Ladenlokale zu Seniorenwohnungen umbauen: Angelika Krämersind die vielen leerstehenden Ladenlokale in den Städten aufgefallen. „Die könnten gut zu altengerechten Wohnungen umgebaut werden. Die Senioren wollen nicht mehr am Waldesrand wohnen, sondern dort, wo Ärzte, Läden und das Leben ist“, sagt die 55-jährige Dortmunderin. Als selbstständige Logopädin macht sie viele Hausbesuche und bekommt dabei oft mit, wie sehr sich die Mobilität der Menschen einschränkt, wenn sie nicht nach draußen kommen. Die Ladenlokale haben oft breite Eingänge, die ebenerdig sind.

Ausgeschilderte Mountainbike-Strecken: „Als leidenschaftlicher Mountainbiker wünsche ich mir ein Strecken- und Routennetz für das ganze Ruhrgebiet“, sagt Gerd Bongers aus Essen. Für Wanderer gebe es flächendeckend ausgeschilderte Pfade und Wege im Revier. „Im Ruhrgebiet auf attraktiven und legalen Strecken unterwegs sein zu können – so ließen sich insbesondere auch Konflikte mit Waldbesitzern und anderen Waldbesuchern vermeiden“, begründet der 49 Jahre alte Projektmitarbeiter beim Regionalverband Ruhr. In anderen Regionen, wie dem Sauerland, gebe es solche Strecken bereits.

Mobilitätsbedarf ermitteln und aus einem Guss planen:Wenn Jan Wingens von seiner Idee für das Ruhrgebiet erzählen soll, fragt er zunächst: „Von welcher jetzt?“ Fast täglich hat der Oberhausener einen neuen Eintrag auf der Homepage zum Wettbewerb gemacht. Er wünscht sich etwa schnelle S-Bahn-Verbindungen mit weniger Haltestellen. Die Planung für den Nahverkehr sollte aus einem Guss sein, also von einem Unternehmen für das ganze Ruhrgebiet organisiert werden. Für eine bessere Verkehrsstruktur sollte zunächst der Mobilitätsbedarf unabhängig von politischen Wünschen ermittelt werden.

www.ideenwettbewerb.metropoleruhr.de

Lesen Sie dazu auch den Kommentar von Wilhelm Klümper: Eine Bahntour für die Stadtspitzen