Essen. . Ist es eigentlich noch erlaubt, Eskimo zu sagen? Oder Negerkuss? Oder muss man auf die korrekteren Begriffe Inuk und Schaumkuss ausweichen? Ein paar Gedanken zur Frage, ob sprachliche Rücksichtnahme den diskriminierten Menschen wirklich weiterhilft - oder ob wir es mit der politischen Korrektheit übertreiben.

Eigentlich wollen wir ja alles richtig machen. Deshalb haben wir den Kindern beigebracht, über Minderheiten und Menschen aus anderen Kulturen nicht abschätzig zu reden. Wir erklären ihnen, dass es „Sinti und Roma“ heißt, und dass man „Schokokuss“ sagen soll, weil die früheren Ausdrücke beleidigend sind. Nur manchmal ertappen wir uns plötzlich dabei, dass wir selbst manche der alten Wörter noch im Kopf haben. Und fast alle, die man darauf anspricht, wollen zwar nicht mehr „Mohrenkopf“ sagen, um niemanden zu verletzen. Was daran rassistisch sein soll, verstehen sie aber auch nicht.

Muss man wirklich schon solche Ausdrücke wie Negerkuss und Eskimos auf die Goldwaage legen? Schließlich sind uns die „neuen“ Wörter – Schaumkuss und Inuit – immer noch nicht in Fleisch und Blut übergegangen. Bringt den diskriminierten Menschen unsere sprachliche Rücksichtnahme wirklich mehr Respekt ein? Denn eines steht fest: Wie viele heute anders denken und wie viele nur freundlicher reden, ist der Sprache nicht mehr so leicht anzusehen.

Auch interessant

„Politically correct“ war seit den 60er-Jahren ein Szeneausdruck der amerikanischen Linken. Bekannt wurde er aber erst 1991, als Journalisten in kritischen Zeitungsartikeln damit die Auswüchse verschiedener radikaler Entwicklungen an den Universitäten brandmarkten. Dort war etwa die Liste der Pflichtlektüre für Studienanfänger in Frage gestellt worden-- ausschließlich mit Werken „weißer, heterosexueller, europäischer Männer“. Minderheiten, wie Indianer oder Schwarze, sollten bei der Vergabe von Studienplätzen und Stellen mehr berücksichtigt werden. Außerdem wurden an vielen Hochschulen verbindliche Regeln für nicht-verletzenden Sprachgebrauch erlassen. Diese stuften bestimmte Wörter als beleidigend ein und wurden immer wieder rigoros durchgesetzt: So wurde im Herbst 2007 an der privaten Brandeis University in Massachusetts der Politikprofessor Donald Hindley wegen eines Verstoßes gegen die Richtlinien zu Diskriminierung und Belästigung gerügt. Ohne weitere Erklärung legte man ihm die Teilnahme an einem Anti-Diskriminierungs-Training auf. Zudem beobachtete fortan ein Vertreter der Unileitung seine Veranstaltungen. Das Vergehen des Professors: Er hatte ein Schimpfwort für illegale mexikanische Einwanderer erklärt – und es dadurch selbst verwendet.

Wohlmeinende Sprachverhunzer

Als der Autor Dieter E. Zimmer 1993 in einem Zeit-Beitrag auch in Deutschland eine, wenn auch weniger radikale, PC-Kultur ausmachte, wurde ihm, wie er später schrieb, entgegengehalten, „erstens gebe es das hier gar nicht, zweitens bestehe es völlig zu Recht“. Bis heute haftet dem Ausdruck „politische Korrektheit“, ein negativer Beigeschmack des Extremen und Lächerlichen an, so dass er immer wieder nur erwähnt wird, um sich davon abzugrenzen. Von konservativen Politikern bis zu respektlosen Comedians legen alle Wert auf das Gütesiegel „politisch nicht korrekt“. Eine Kultur des rücksichtsvollen Umgangs mit Minderheiten gibt es, zum Glück, natürlich trotzdem.

schlimmewörterXXX--300x224.jpg

Nur darüber, wie gelungen und zielführend deren Errungenschaften sind, gehen die Meinungen auseinander. Das auffälligste Problem unserer Beschwichtigungskultur ist die Tendenz, Sprache wie eine Einweg-Knetmasse zu behandeln. Der Ausdruck „Behinderte“, mit dem man einst die Behinderung durch die Umgebung betonen wollte, könnte die Gemeinten auf ihre körperlichen Einschränkungen reduzieren? Also weg damit und her mit den „Menschen mit Handicap“, auf dass uns wieder klar wird, dass es sich hier um Menschen handelt! Dass man damit erst einen abfälligen Ausdruck erzeugt, solange es keine „Menschen mit Krankheit“, „Menschen, die Auto fahren“, oder „Menschen mit katholischem Glauben“ gibt, erschließt sich den wohlmeinenden Sprachverhunzern nicht.

Manche Ausdrücke laden dazu ein, sie zu parodieren 

Unfreiwillig ironische Euphemismen wie der amerikanische Ausdruck „mental herausgefordert“ laden geradezu ein, sie zu parodieren – sofern man sie von den Persiflagen unterscheiden kann. Nach der Logik der Sprachbereinigung gibt es böse Wörter, die entfernt werden müssen und gute, die als Ersatz verwendet werden können und wie ein Ansteck-Button wirken.

Ist „Schwarzfahrer“ rassistisch?

Jahrelang dachten wir, wenn es etwas gibt, worauf wir vorbereitet sind, dann darauf, spontan einem in der Straßenbahn als „Eskimo“ diskriminierten Inuk beizustehen, weil wir einmal gelernt hatten, wie wir in dieser Situation Zivilcourage beweisen können. Irgendwann stellte sich dann heraus, dass der bisherige Begriff mehrere Sprachgruppen umfasst, von denen manche gerne weiter als „Eskimos“ firmieren möchten; außerdem gilt die früher vermutete Bedeutung des Wortes („Rohfleischesser“), die in Grönland und Kanada zu seiner weitgehenden Ablehnung geführt hat, inzwischen als widerlegt. Korrekterweise müsste man den Besucher aus dem Norden also zunächst daraufhin befragen, ob er sich gerade diffamiert fühlt.

Dem Gefühl, verletzt zu werden, wird in der PC-Kultur eine zentrale Bedeutung beigemessen, die im Zweifel den Vorrang vor der Bedeutungsgeschichte eines Wortes und dem Satzzusammenhang hat. So forderte ein Linken-Stadtrat die Münchner Verkehrsgesellschaft auf, den Begriff „Schwarzfahrer“, der mit Menschen dunkler Hautfarbe so viel zu tun hat wie der Schwarzwald, durch ein „nicht-rassistisches“ Wort zu ersetzen. Die emeritierte Bremer Psychologieprofessorin Ellen Reinke hat diese Fixierung auf bestimmte Ausdrücke einmal als „fetischisierte“ Sprache bezeichnet und eine „Sprachobsession“ diagnostiziert.

Immer wieder wurde mit einer achtsamen Sprache die Hoffnung verbunden, dass sie auch ohne innere Überzeugung die persönliche Einstellung und letztlich auch die soziale Wirklichkeit verändern werde. Sicher ist bis jetzt nur, dass das Gegenteil passieren kann, weil auch der netteste Ausdruck kurzfristig weder die Realität, noch deren Wahrnehmung wegzaubert. Viele neue Wörter klangen bald wie die alten und mussten wieder ersetzt werden. So wurden „schwer erziehbare“ Kinder zu „verhaltensgestörten“, dann zu „verhaltensauffälligen“ Kindern – momentan gelten sie als „verhaltensoriginell“. Der in Harvard lehrende Psychologe Steven Pinker erklärt diese „Euphemismus-Tretmühle“ damit, dass Wörter stets nur Bezeichnungen sind, die mit tiefer liegenden, langlebigeren Vorstellungen verknüpft – und von ihnen geprägt – werden.

Auch die als rücksichtsvoll geltenden Bezeichnungen dunkelhäutiger Menschen wechselten, in den USA wie in Deutschland, mehrfach. Afrodeutscher oder Schwarzer wäre heute korrekt, „Farbiger“ war es mal eine Zeit lang und „Neger“ geht eigentlich gar nicht mehr. Zugunsten des Wortes wurde lange angeführt, dass es an sich dieselbe Bedeutung hat wie „Schwarzer“.

Nicht die Wörter sind diskriminierend, sondern die Menschen 

Der Duden verweist deshalb wie in ähnlichen Fällen darauf, dass das Wort von vielen „als diskriminierend empfunden“ wird und rät von der Verwendung ab, ohne sich diese Position voll zu eigen zu machen. „Wir sind der Meinung, es sind eigentlich die Menschen, die rassistisch sind und nicht so sehr die Wörter!“, bestätigt der Leiter der Dudenredaktion Dr. Werner Scholze-Stubenrecht und verweist auf die Spuren des Wortes in der Literatur. Für die meisten ist das Wort durch seine diffamierende Verwendung inzwischen diskreditiert; auf manche übt es wohl gerade deshalb eine Anziehungskraft aus wie Fäkalausdrücke auf Kindergartenkinder. Wer wollte es schwarzen Menschen verdenken, dass sie es satt haben, das zu ertragen? Sie müssen nicht mitlachen, wenn solche Scherzchen von linken Satiremagazinen kommen und angeblich um zwei Ecken eine antirassistische Aussage haben. Und bei älteren Kinderbüchern geht der literarische Wert nicht verloren, wenn hier und da die „Negerlein“ - Sätze behutsam und pfiffig durch andere Wendungen ersetzt werden.

Sind das noch Dick & Doof (Stan Laurel (l.) und Oliver Hardy)? Oder müsste man die beiden politisch korrekt „Vollschlank & mental herausgefordert
Sind das noch Dick & Doof (Stan Laurel (l.) und Oliver Hardy)? Oder müsste man die beiden politisch korrekt „Vollschlank & mental herausgefordert" nennen? © Getty

Die zunehmende Orientierung an einem diffusen Korrektheitsideal birgt aber auch Gefahren. Dabei sind leichtfertige Sprachverhunzungen infolge der Vorstellung, dass es nur auf ein paar richtige Wörter ankäme, noch das geringste Problem; abgehobene und umständliche Ausdrücke werden sich auf Dauer nicht durchsetzen. Schon etwas kniffliger ist, dass das schwammige Kriterium, sich verletzt zu fühlen, auch für höchst unkorrekte Intrigen benutzt werden kann, wie es Philip Roth im Roman „Der menschliche Makel“ beschrieben hat. Schwierig wird es, wenn vor lauter Korrektheit nicht nur Worte, sondern heikle, aber drängende Themen vermieden werden, weil man keine Vorurteile schüren will. „Multikulti ist gescheitert“, wiederholt der Bürgermeister des „Problembezirks“ Berlin-Neukölln, Heinz Buschkowsky, bei jeder Gelegenheit und verweist darauf, dass es auch deshalb versäumt worden sei, negative Entwicklungen innerhalb einzelner Migrantengruppen zu verhindern, weil sich das Gewährenlassen aus sicherer Entfernung so schön politisch korrekt als Entstehen multikultureller Vielfalt verdrängen ließ. Mitunter verkehrt sich das Bemühen um einen gerechten Umgang mit Benachteiligten so zur ungerechten Behandlung anderer, deren nicht ins Konzept passende Erfahrungen zu unbedeutenden Einzelfällen herabgewürdigt werden.

Farbiger im Hemd

Hat das Bemühen um mehr Korrektheit also vor allem Verkomplizierungen und vielleicht sogar neue Tabus gebracht? Sicher nicht. Im Januar 1986 sagte der Bürgermeister von Korschenbroich, Graf von Spee (CDU), zur Sanierung des Gemeindehaushalts müssten schon ein paar reiche Juden erschlagen werden. Erst Wochen später trat er unter Druck seiner Partei zurück und wurde dabei von viertausend Unterstützern wie ein Märtyrer gefeiert.

Mit echtem Antisemitismus habe das nichts zu tun, glaubten viele. Er habe halt aus Versehen eine verbreitete Redensart verwendet, die ihm böswillig ausgelegt worden sei. Dass diese Art Sprichwortpflege heute nicht mehr so verbreitet sein dürfte, liegt auch daran, dass wir in diesem Bereich sensibler geworden sind. Einen Wermutstropfen gibt es dabei allerdings auch: Wie viele heute anders denken und wie viele nur freundlicher reden, ist der Sprache nicht mehr so leicht anzusehen.

Auch interessant

Und der „Mohrenkopf“? Im Duden zählt er – nicht aber das veraltete „Mohr“ selbst! – zu den als diskriminierend empfundenen Wörtern. Auch wenn dabei das griechische „moros“ (töricht, gottlos) mitschwingen soll, war das Wort für dunkelhäutige Mauretanier immer noch respektvoller als „Neger“, das erst mit dem Sklavenhandel aufkam. Ist es also ein bisschen weit hergeholt, hier eine mögliche Beleidigung zu sehen? Essen wir nicht auch Thüringer, Berliner, Amerikaner und manche andere? Stimmt schon, nur ist das Verhältnis zu den Berlinern – trotz Flughafen – auch nicht derart von Vorurteilen, Unsicherheiten, Ängsten und Diskriminierungserfahrungen belastet.

Wie man es garantiert nicht besser macht, zeigt der, von Paul Maar in einem Interview erwähnte, unbeholfene Versuch auf einer Speisekarte, den österreichischen „Mohr im Hemd“ rücksichtsvoll umzutaufen: der neue Name des Schokopuddings mit Vanillesoße – „Farbiger im Hemd“ – illustriert die ganze Tragikomik der Korrektheit. Obwohl: Vielleicht sollten wir uns ja wünschen, dass eines Tages schwarze Konditoren selbstironisch neue Süßigkeiten mit harmlosen Bezeichnungen dieser Art erfinden, weil das ein Zeichen dafür wäre, dass die äußerlichen Unterschiede wirklich keine Rolle mehr spielen? Eine immer rigider auftretende Sprachkontrolle allein wird uns diesem Ziel allerdings kaum näherbringen.