Essen. . Klare Worte von Kommunikationswissenschaflter Norbert Bolz über politische Korrektheit, über ihre Verirrungen und die Wirksamkeit derartiger Denkverbote.
Norbert Bolz, Kommunikationswissenschaftler der TU Berlin, spricht klare Worte. Doch wie klar dürfen wir mit unseren Begriffen sein? Führen Tabuwörter zu neuen Tabus? Und wie wirkt sich politische Korrektheit auf das Zusammenleben aus?
Können Sie die Ursprungsidee der „Political Correctness“, rücksichtsvoller mit Minderheiten umzugehen, nachvollziehen?
Der historische Hintergrund an amerikanischen Universitäten, Sprachregelungen zu finden, die nicht mehr diskriminierend gegenüber Schwarzen sind, ist ja jedem denkenden und halbwegs sensiblen Menschen einsichtig. Es ist wie so oft, dass ein gut gemeintes Projekt sich verselbständigt und in die Hände der falschen Leute gerät.
Also Sie kritisieren nicht so sehr die sprachlichen Verirrungen?
Das würde ich nicht so ohne Weiteres trennen wollen, weil Moralismus und Sprachhygiene da wirklich ganz eng ineinander greifen. Das ist schon ein extremes Ausmaß an Moralismus, wenn es eine Art Sprachpolizei und Sprachkontrolle gibt und wenn Menschen im Grunde schon dadurch moralisch degradiert sind, dass sie bestimmte Sprachcodes nicht kennen, nicht respektieren, oder sich „verraten“, indem sie bestimmte Ausdrucksweisen benutzen, die vor zehn oder fünfzehn Jahren noch selbstverständlich waren. Ein einzelnes Wort kann schon als Signal gelten, um einen Menschen vollständig zu kategorisieren.
Was stört Sie denn am meisten an der „Political Correctness“?
Dass überhaupt zwischen akzeptablen und inakzeptablen Sätzen unterschieden wird, halte ich schon für ziemlich gravierend. Das hat nichts mehr mit dem gesunden Menschenverstand und auch nichts mehr mit der Tradition zu tun. Was mich im Grunde an der „Political Correctness“ und der damit verbundenen Kultur am meisten stört, ist die Suggestion, wir hätten in den letzten zwanzig Jahren die Weisheit mit Löffeln gefressen und alle Menschen vorher, gewissermaßen alle, die vor Simone de Beauvoir gelebt und gedacht haben, waren Idioten. Diese Suggestion halte ich für wirklich gefährlich.
Würden Sie auch sagen, dass es eine Tabuisierung von Themen gibt?
Ja selbstverständlich, das gilt schon für den Ursprung der „Political Correctness“ auf dem amerikanischen Campus, da war das große Tabu die Messung des IQ und das ist auch heute noch eines der ganz großen Tabus. Das hat sich ausgeweitet zu einer Art Universaltabu über alle menschlichen Differenzen. Allein daran zu erinnern, dass es Differenzen geben könnte in der Intelligenz, in der Schönheit, in der Attraktivität, in der Leistungsfähigkeit – das ist heute doch so scharf inkriminiert, dass es eigentlich schon den Effekt hat, dass die meisten Menschen sich gar nicht mehr trauen, bestimmte Themen anzusprechen.
Würden Sie so weit gehen, von „Denkverboten“ zu sprechen?
Ja, auf jeden Fall! Es ist eine Illusion, zu glauben, man könnte seine Gedankenfreiheit bewahren, wenn man nicht mehr seine Meinung äußern darf und nicht mehr seine eigene Sprache sprechen darf. Sobald man sich gewisse Ausdrücke, bestimmte Sätze verbietet, verbietet man sich letztlich auch das freie Denken. Insofern zielt das Ganze auch auf ein Denkverbot. Das ist im Grunde ein Programm der Umerziehung, und Umerziehung läuft letztlich über kognitive Mechanismen, also die Menschen sollen auch anders denken.
Und wo wirkt sich das aus, diese „Denkverbote“ oder die Tabuisierung von Themen?
Ich bin ja Universitätsangehöriger und bei uns hat das natürlich ganz massive Folgen. Da ist es so, dass man gut beraten ist, bestimmte Themen erst gar nicht anzuschneiden und sich, auch was Forschungsprojekte und ähnliches betrifft, dreimal zu überlegen, was man macht, ob das in die Landschaft passt.
Herr Bolz, Sie lieben ja klare Worte. Hat man Ihnen denn auch schon mal vorgeworfen, dass Sie sich unangemessen geäußert hätten?
Bei mir ist das so, dass man von mir schon gar nichts anderes mehr erwartet und ich bin jetzt mittlerweile so alt, dass man mir nicht mehr drohen kann. Aber ich glaube, Jüngere, und vielleicht Leute, die nicht so sehr im Schutz der Öffentlichkeit sind, die haben sehr damit zu kämpfen.
Nicht jeder kann sich erlauben, alles zu sagen?
Absolut. Das ist hundertprozentig so, ja.
Also sind Sie nicht besonders optimistisch, dass man bald wieder mehr auf ganze Sätze hört?
(lacht) Ich bin auch nicht pessimistisch, weil ich eher das Gefühl habe: Die Leute, die sich darauf spezialisieren, das sind nicht die Genies unseres Landes! Die brillanten Köpfe, die es – Gott sei Dank! – auch noch gibt, für die ist „Political Correctness“ eine Lästigkeit.