Berlin/Siegen. . Junge Frauen nennen sich Femen, schreiben politische Parolen auf ihren blanken Busen, provozieren so öffentlichkeitswirksam auf Veranstaltungen und setzen sich für die Medien in Szene. Sieht so der neue Feminismus aus? Wir fragten die Aktivistinnen nach ihren Motiven.
Die Scheinwerfer flackern im Rhythmus, tausende Mädchen schreien bis zur Besinnungslosigkeit. Ihre Begeisterung gilt Lovelyn, 16, deren mit High Heels verlängerte Beine aus einem knappen Body ragen. Lovelyn hat gewonnen bei Germany’s Next Topmodel. Vollgepumpt mit Emotionen umarmt sie ihre Konkurrentinnen, die mit gleichen Körpermaßen, Make-up und Nichts an Kleidung Lovelyns Klone sein könnten – wenn sie nicht eine andere Haar- und Hautfarbe hätten. Auf dem Höhepunkt der Umarmungs-Tränen-Jubel-Orgie springen zwei junge Frauen mit nacktem Oberkörper und knappen Jeans aus dem Publikum auf die Bühne. In schwarzen Lettern prangt „Heidi Horror Picture Show“ und „Sadistic Show“ auf ihren Brüsten. Es sind Zana Ramadani und Hellen Langhorst, Mitglieder der radikalen Feministinnen namens Femen.
Protest mit vollem Körpereinsatz: Die nackten „Femen“-Aktivistinnen führen den Kampf für die Frauenrechte mit den Mitteln der Spaßguerilla. In der feministischen Szene sind ihre medienwirksamen Auftritte heftig umstritten. Doch wer steht heute eigentlich für den jungen deutschen Feminismus? Es ist eine neue Generation von Feministinnen – zwischen Gender-Studies und Oben-Ohne-Protest.
"Heidi, ich habe heute kein Foto für dich!"
Zana Ramadani schafft es tatsächlich, bis zu Heidi Klum vorzudringen und ihr den Leitspruch der Show ins Gesicht zu brüllen, mit dem die Mädchen bis zum Finale Woche für Woche nach Hause geschickt werden: „Heidi, ich habe heute kein Foto für dich!“ Es dauert nur wenige Sekunden, bis kräftige Bodyguards – formvollendet gekleidet mit schwarzem Anzug und weißem Hemd – von hinten die Arme um die nackten Oberkörper werfen, die Beine greifen und sie mit vollem Körpereinsatz von der Bühne zerren.
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„Ich bin immer noch grün und blau von diesem Einsatz“, sagt einige Tage später Zana Ramadani. Sie ist zufrieden, weil Heidi Klum erschrocken rief, „ich habe gerade Busen vor mir gesehen“. Sie und Hellen Langhorst konnten tatsächlich ein wenig die Show stören - auch wenn das Fernsehpublikum kaum etwas mitbekommen hat. Auf Youtube aber läuft die kurze Szene rauf und runter.
Nackte Brüste als Waffe gegen Sexismus und Ausbeutung von Frauen: „Das ist eine Befreiung für uns Frauen“, erklärt Ramadani ihre Motivation. Sie bietet mit ihrem starken Körper und der einstudierten Femen-Pose sozusagen das Kontrastprogramm zum zur Schau gestellten Frauenkörper in der Werbung oder auch bei der Topmodel-Show, „der immer sexy und unterwürfig, aber niemals selbstbewusst dargestellt wird“.
Das Markenzeichen: oben ohne
Die Oben-ohne-Aktionen samt den mit Parolen bemalten Oberkörpern sind das Markenzeichen von Femen. Die Gruppe gründete sich 2008 in der Ukraine. Seit 2011 sind auch in anderen europäischen Ländern Aktionsgruppen entstanden. Die Frauen kämpfen gegen Prostitution und Sexismus, gegen Ausbeutung und Korruption. Ihre Aktionen richten sich auch direkt gegen Männer wie Wladimir Putin, Silvio Berlusconi oder Dominique Strauss-Kahn. Egal, wo und warum sie nackt protestieren: Ihre Scham müssen die Frauen überwinden, denn die Auftritte sind immer laut und entschlossen. Meist werden die Aktivistinnen rüde von Bodyguards entfernt, auch damit müssen sie fertig werden. Allein zu diesem Zweck hat Femen für alle internationalen Gruppen in Paris eine Art Ausbildungslager eröffnet.
„Ich weiß, dass viele Femen total ätzend finden“, sagt Susanne Klingner. Die 34-Jährige gehört zu den Pionieren eines neuen, jungen Feminismus in Deutschland. Den Startschuss gab 2008 ihr Buch „Wir Alphamädchen“. Zusammen mit den beiden Co-Autorinnen gründete Klingner gleichzeitig auch die Internetplattform „Mädchenmannschaft“ – bis heute einer der wichtigsten Treffpunkte für junge Feministinnen.
Die Femen-Aktionen sind unter den jungen Feministinnen heftig umstritten. „Femen gibt ein klares Rollenbild vor. Die Aktivistinnen sind jung und schlank“, schreibt die Bloggerin Merle Stöver. „Mit ihren Aktionen reproduziert Femen den Sexismus, unter dem Frauen überall täglich leiden.“ Susanne Klingner dagegen ist eher gespalten: „Ich würde da nicht mitmachen. Aber ich kann nachvollziehen, wenn die Femen-Frauen sagen: Da kann ich endlich was tun. Mir sind diese ganzen akademischen Debatten auch oft zu verkopft und zu weit weg von den Alltagsfragen.“
„Wer pummelig ist, zieht sich nicht so einfach aus“
Dem kann Zana Ramadani nur beipflichten. Sie hat es in der Politik versucht. Seit Jahren ist sie CDU-Mitglied und aktiv in der Jungen Union. „Doch als Feministin bin ich in der Partei nicht weitergekommen“, sagt sie. „Man bewegt die Leute nicht“. Seit sie mit nackten Brüsten kämpft, ist ihr hingegen die mediale Aufmerksamkeit gewiss. „Das ist gut, das ist das, was wir wollen“, sagt sie, wenngleich sie anfangs erschrocken war über die Oberflächlichkeit gerade in den sozialen Netzwerken. Tatsächlich wird die Größe ihrer Brüste diskutiert, mal unterstellen die Nutzer, sie seien mit Silikon gefüllt, mal heißt es, es wäre besser gewesen, sie vor den Auftritten richten zu lassen. Und immer wieder wird gelästert, sie sei zu fett.
„Ich trage Größe 38. Das ist doch völlig normal“, wundert sich Ramadani. Überhaupt hätten viele Femen-Aktivistinnen ein Bäuchlein. Damit will sie dem Vorurteil entgegentreten, die Frauen müssten erst ein Casting durchlaufen, bevor sie sich barbusig zeigen dürften. Dass auffallend häufig hübsche, schlanke und junge Frauen aktiv werden – das hänge wohl mit dem Schamgefühl zusammen. „Wer pummelig ist, zieht sich nicht so einfach aus“.
Ursula von der Leyen - eine wahre Feministin
Zana Ramadani ist sorgfältig, aber dezent geschminkt. Mit ihren langen braunen Haaren, der randlosen Brille und dem dunklen Blazer könnte man eher eine junge Rechtsanwältin oder Unternehmensberaterin vermuten als eine feministische Aktivistin. So falsch ist der erste Eindruck nicht: Die 29-Jährige arbeitet seit Jahren bei einem Rechtsanwalt. Außerdem ist sie mit einem Banker verheiratet, lebt in einem Dorf bei Siegen und kommt aus einem konservativ-islamischen Elternhaus; Zana Ramadani hat albanische Wurzeln.
Landleben, CDU-Milieu, Migrationshintergrund – wie passt das zum nackten Protest, zum spektakulären Widerstand, der gerade das Umfeld, aus dem sie stammt, so erschreckt? Zana Ramadani lacht. Zu oft ist ihr die Frage gestellt worden, also antwortet sie routiniert und unerschrocken: Die Eltern, „die immer noch Frauen für minderwertig halten“ – sie müssen sich daran gewöhnen. Die Kollegen aus der Jungen Union, die traditionelle Familienwerte unterstützen – sie werden ignoriert. Politikerinnen wie Kristina Schröder verachtet sie („sie ist ein Weibchen, das von Männern gefördert wird“); Ursula von der Leyen hält sie hingegen für eine wahre Feministin. Das Gerede der Leute auf dem Dorf – „es ist mir egal“.
Heute kann man sich wieder Feministin nennen
Ob ihre Aktionen nicht rücksichtslos seien gegenüber ihrer muslimischen Mutter? „Sie mag es so empfinden“, sagt die Aktivistin und fügt hinzu: „Sie betet für mich“. Doch ihre Wut über Sexismus, über die alltägliche Ausbeutung, über Castings, die kleinen Mädchen bereits eintrichterten, den richtigen Hüftschwung üben zu müssen und Schokolade zu meiden, um sexy und attraktiv für das große Geschäft mit dem weiblichen Körper zu sein – diese Wut wischt all die Bedenken, die aus ihrem Umfeld kommen mögen, beiseite.
Der Feminismus ist Ramadanis Antrieb. Dass sich junge Frauen wie selbstverständlich dazu bekennen, war noch vor fünf Jahren undenkbar. „2008 war Feminismus ein Wort, das man auf keinen Fall benutzten durfte“, sagt Susanne Klingner. Damals trat sie mit Gleichgesinnten an, den Feminismus zu verjüngen – und wurde heftig angefeindet: „Feministinnen stellte man sich als verbiesterte alte Weiber vor – plus Alice Schwarzer. Heute kann man ganz selbstverständlich sagen: Ich bin Feministin.“
Susanne Klingner arbeitet als freie Journalistin in München. „Ich glaube, wenn man in Berlin lebt und in dieser Netzgemeinschaft unterwegs ist, hat man das Gefühl, neunzig Prozent der Bloggerinnen sind Feministinnen.“
In Deutschland gibt es gesetzlich keine Diskriminierung mehr. „Warum braucht es denn überhaupt noch eine feministische Bewegung, Frau Klingner?“ Sie kennt die Frage und stellt am liebsten eine Gegenfrage: „Warum lässt du deine 14-jährige Tochter nicht so gerne allein in die Disco, deinen Sohn aber schon? Warum hast du noch immer mehr Angst um deine Tochter? Weil wir in einer Gesellschaft leben, in der Frauen immer noch Angst vor Gewalt haben müssen.“ Pause. „Ich höre übrigens auch immer noch das Gleiche wie die Feministinnen vor 30 Jahren: Dass ich nur mal wieder Sex haben müsste, dann sei ich keine so frustrierte Emanze.“
Fünf Jahre nach der „Alphamädchen“-Debatte gibt es heute etliche junge Frauen, die sich selbstverständlich als Feministin bezeichnen. „Die meisten Frauen“, glaubt Klingner, „haben ihr Erweckungserlebnis, wenn sie um die 30 Jahre alt sind. Vorher denkt man noch: Hey, wir sind doch so gleichberechtigt erzogen worden, wir dürfen alles und wir schaffen das auch ohne Feminismus. Doch mit dem Eintritt ins Berufsleben oder spätestens, wenn die Kinder da sind, fällt einem doch sehr auf, wie unterschiedlich mit Männern und Frauen umgegangen wird.“
Femen und die Slut-Walks erfinden den Protest gerade neu
Susanne Klingner und die anderen Gründerinnen der „Mädchenmannschaft“ haben die Plattform vor zwei Jahren verlassen und stattdessen „Frau Lila“ gegründet (www.fraulila.de). „Wir stehen eher für einen pragmatischen Feminismus. Der muss alltagsnah sein, der muss die Frauen da abholen, wo sie stehen.“ In der Mädchenmannschaft tummeln sich heute vor allem junge Akademikerinnen, die sich mit „Gender Studies“ und „Critical Whiteness“ befassen und Diskriminierung bis ins letzte Detail analysieren können. Klingner & Co. dagegen haben inzwischen Kinder, beraten auch schon mal die SPD und müssen sich deshalb vorwerfen lassen, mit dem Establishment unter einer Decke zu stecken.
Der neue Feminismus findet vor allem im Netz statt
Eins ist jedoch allen gemeinsam: Wer heute dem neuen Feminismus begegnen will, muss ins Internet gehen. Zum Beispiel auf die Seite „Netzfeminismus.org“ oder die Plattform „kleinerdrei.org“ von Anne Wizorek, der Initiatorin der #Aufschrei-Bewegung nach Rainer Brüderles Fauxpas an der Hotelbar. Doch der junge Feminismus ist mehr als eine Internetgemeinde. Bloggen, Bücher schreiben, auf die Straße gehen – die dritte Generation der deutschen Feministinnen nutzt sämtliche Formen der Öffentlichkeit. „In den 90ern und den Nullerjahren war es doch vollkommen uncool, für sein Anliegen auf die Straße zu gehen. Femen und die Slut-Walks erfinden das gerade wieder neu“, sagt Klingner. Bei den Slut-Walks kleiden sich die Frauen mit provokanten, offenherzigen Outfits als Schlampe und ziehen durch die Städte, um gegen Sexismus zu demonstrieren.
Die Femen-Aktivistinnen dagegen ziehen gleich blank. Doch ist es nun feministischer Protest oder Spaßguerilla? Bei manchen Femen-Aktionen verwischen die Grenzen. Mitte Mai war das begehbare „Barbie-Dreamhouse“ am Berliner Alexanderplatz Ziel einer Femen-Attacke: Eine blond gelockte Aktivistin steht mit nacktem Oberkörper vor dem Barbiehaus, in der Hand ein brennendes Kreuz, an dem eine Barbiepuppe gebunden ist. „Life in plastic is not fantastic“ steht auf ihrer nackten Haut. Die Botschaft? Unklar. Stevie Schmiedel, die mit ihrer Initiative „pinkstinks“ sehr konkret gegen Geschlechterklischees in der Spielewelt kämpft, schüttelt den Kopf: „Es geht nicht darum, die Kinder zu schockieren, es geht darum, die Eltern zu sensibilisieren.“ Susanne Klingner zuckt die Achseln. „Es wäre schön, wenn die Botschaft etwas klarer gewesen wäre.“ Aber was soll’s. „Wenn sich jemand dumm benimmt, ist das eben ein Kollateralschaden.“
Nackt-Protest vorm Kanzleramt
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Barbie Dreamhouse in Berlin