Essen. Die Esoterik ist mehr als ein Hobby: Sie ist zu einer Branche gewachsen, die in Deutschland schätzungsweise 25 Milliarden Euro pro Jahr umsetzt. Dabei bringen viele der Heilsversprechen nicht nur Gutes mit sich, wie der gestiegene Beratungsbedarf zeigt.
Als der Gitarrist Carlos Santana mir vor einigen Jahren in einem Interview offenbarte, dass ihm beim Meditieren in seiner Gartenlaube regelmäßig ein Erzengel namens Metatron erscheine, fühlte ich mich, gelinde gesagt, schwer veräppelt. Aber damals kannte ich ja den Metatron noch nicht. Ich wusste nicht, dass Metatron quasi die Lichtgestalt unter den esoterischen Leitfiguren der letzten Jahre ist. Und dass er quasi bereit ist, zu jedem zu sprechen, der ihm Glauben schenkt. Metatron spricht, verbreitet Botschaften von Licht und bedingungsloser Liebe. Und fast möchte man frohlocken: Hallelu… Nö.
Engel sind die geflügelten Renner auf dem großen Markt der Esoterik. Und wenn es dort nur sie gäbe, wäre alles so viel einfacher. Doch jenseits von Schwitzhütten-Ritualen und Energie-Pyramiden, Wasserbelebern und geistiger Wirbelsäulenaufrichtung ist das Angebot schier grenzenlos. Und das aus gutem Grund.
Esoterik ist ein Milliardengeschäft. Nach Schätzungen des Heidelberger Zukunftsforschers Eike Wenzel beziffert sich der Umsatz, der mit Esoterik in Deutschland gemacht wird, auf 25 Milliarden Euro im Jahr. Er sieht voraus, dass diese Zahl in den kommenden zehn Jahren auf 35 Milliarden steigen wird. Dabei handelt es sich nicht immer um harmlose Freizeitbeschäftigung: Manche Esoterikgläubige flüchten sich von Heilsversprechen zu Heilsversprechen, stürzen sich in Schulden oder geraten in Panik vor bösen Flüchen. Oder meinen gar, dass ihr neu gefundener Glaube den Arztbesuch ersetzt.
25 Milliarden Euro allein in Deutschland, das ist ein dicker Batzen. Im Jahr 2004 soll der Umsatz bei schlanken 10 Milliarden gelegen haben. Zum Vergleich: Den, wohlgemerkt weltweiten, Umsatz mit Pornografie schätzt man auf 60 Milliarden Euro.
57 Prozent der Deutschen glauben an Hellseherei
Dabei ist die Esoterik als Feld so weit, dass es schwierig ist, Grenzen zu ziehen. Wo enden Wellness und Entspannungsangebote, wo beginnt der Trip ins Übersinnliche? „Die Esoterik präsentiert sich ja sehr uneinheitlich und reicht vom Tarot-Grundkurs an der Volkshochschule über Ufo-Kontaktler bis hin zu Quantenmedizin. Entsprechend vielfältig sind die Motive dahinter. Sicherlich sind unter den Esoterikjünger auch ehrliche Sinnsucher, denen Wissenschaft und Rationalität zu kalt und Religion als zu dogmatisch erscheinen“, sagt Bernd Harder von der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP).
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Laut einer repräsentativen Emnid-Umfrage glauben immerhin 57 Prozent der Deutschen an Hellseherei, 42 Prozent an magische Kräfte und ein Drittel an die Wirksamkeit von Flüchen. Zu den so genannten spirituellen Sinnsuchern alleine zählt man in Deutschland 10 bis 15 Prozent der Bevölkerung, wie eine Studie der Universität Hohenheim ergeben hat. Was aber nicht unbedingt heißt, dass es ihnen nur um Erleuchtung geht. Harder: „Es ist bei weitem nicht nur das Einkuscheln in eine watteweiche Fantasy-Welt oder die Sehnsucht nach einer Art Wiederverzauberung der Welt, die Esoteriker umtreibt. Dahinter stehen oft knallharte egozentrische Bedürfnisse, wie etwa der Wunsch, etwas Besonderes im Universum zu sein oder zu den ,Wissenden’ zu gehören – und das drückt sich nicht selten in Show und Selbstinszenierung aus. Nicht zuletzt geht es auch um Machtfantasien, die aus der Vorstellung kommen, ,verborgene Geheimnisse’ anwenden zu können, natürlich zum persönlichen Vorteil und zum individuellen Wohlergehen.“
Schutz gegen Erdstrahlen und Elektrosmog
All dies spielt dem Hang zur Selbstoptimierung entgegen, denn jeder glaubt heute, alles erreichen zu können. „Hier trifft sich die Esoterik mit dem allgemeinen Boom der Ratgeberliteratur und der Coaching-Industrie“, so Harder.
Umgekehrt funktioniert auch der Faktor Angst exzellent als Verkaufsargument. „Auf einer Esoterikmesse bekommen Sie überall ,Schutz’ angeboten – vor Unbill aller Art, vor Erdstrahlen, Elektrosmog, Beziehungsproblemen, Krankheiten, schwarzer Magie, ,PSI-Attacken’ und so weiter, und so fort. Natürlich muss man die entsprechenden Produkte dafür erwerben, Amulette, Steine und Gerätschaften, die nach unserer Erfahrung interessant aussehen, aber nichts als ein paar Drähte und Füllstoff enthalten. Nicht umsonst gilt Esoterik als ,warenförmige Religion’“.
Und diese Warenform findet immer mehr Interessenten, das zeigt der dicht gedrängte Plan der Esoterikmessen der kommenden Monate. Seien es die „Esoterik-Tage“ in Köln, die „Spirit und Life“ in Duisburg und Essen, die „Para Vital“ in Bonn oder die „Eso-Natura“ in Friedrichshafen. Einige dieser Supermärkte der Heilsversprechen ziehen bis zu 10 000 Besucher an. Und für die finden sich immer wieder neue, verheißende Produkte.
„Es gibt in der Esoterik keinen Unsinn, den es nicht gibt – zum Beispiel das ,Energie-Lamm Berta’, das bei Astro-TV verkauft wird und das eine ominöse ,Naturenergie’ auf den Besitzer des Kuscheltiers übertragen soll“, berichtet Harder.
Mehr Beratungsbedarf als aus jedem anderen Bereich
Apropos Astro-TV: Die Zukunftsprognose per Fernsehen und Internet ist ein Bombenbusiness, der jährliche Umsatz der Questico AG, die den Sender betreibt, wird mit über 60 Millionen Euro veranschlagt. Mehr als 2500 Berater sollen sich dort um die Ratsuchenden kümmern.
Tatsächlich kann das Geschäft mit den Ängsten der Esoterik-Gläubigen sich als gefährlich erweisen. So verzeichnete die Sekteninfo Nordrhein-Westfalen in Essen im Jahr 2011 insgesamt 138 Beratungsfälle aus der Ecke der Esoterik, mehr als aus jedem anderen Bereich. Und die Tendenz steigt. Das ist weit mehr als aus dem Bereich der fundamentalistischen Sekten (50) oder Scientology (39). Oft hatten sich die Ratsuchenden verschuldet, um ihren esoterischen Bedürfnissen nachgehen zu können. Es waren aber auch Menschen darunter, die glaubten, unter einem Fluch zu stehen – oder sich wegen esoterischer Praktiken den Besuch beim Arzt ersparen zu können. Spätestens, wenn es so weit kommt, wird aus der Sehnsucht nach Erleuchtung ein Spiel mit dem Feuer.