Beit Jala. . Ein Israeli und ein Palästinenser sprechen über den 100-jährigen Konflikt im Heiligen Land. „Die Juden sind schuld“, sagt der Palästinenser. „Die Palästinenser sind schuld“, sagt der Israeli. Dabei liegen beide mit ihren Idealvorstellungen vom Frieden nicht weit auseinander.
In einem Punkt sind sich der Israeli Abraham Roset und der Palästinenser Maher Matar einig: Es wird keinen Frieden zwischen ihren Völkern geben. Nur über die Gründe für den 100-jährigen Konflikt, der noch immer kein Ende nehmen will, gehen die Geister auseinander. „Die Juden sind schuld“, sagt Matar. „Die Palästinenser sind schuld“, findet Roset.
Beider Idealvorstellung vom Frieden wäre theoretisch realisierbar. Matar, 47 Jahre alt und Französischlehrer an einer katholischen Schule in Beit Jala, wünscht sich ein Leben in Würde, Freiheit und einen Staat. Auch Roset glaubt, dass zwei Staaten, Israel und Palästina, die einzige Möglichkeit sind, um die Region zu beruhigen. „Die Situation wird immer schwieriger“, sagt er, deshalb müsse rasch eine Regelung und „die Trennung der Völker“ vorangetrieben werden.
Sie trennt nur eine Viertelstunde Autofahrt
Der 33-jährige Israeli trägt eine Kippa, die Kopfbedeckung frommer Juden. Er lebt mit seiner Frau und drei kleinen Töchtern in der Siedlung Efrat, ganze zwölf Kilometer südlich von Beit Jala. Trotz der nur viertelstündigen Autofahrt, die die beiden Männer trennt, ist fast sicher, dass sie sich niemals begegnen werden. „Seit ich nicht mehr nach Jerusalem fahren darf, gibt es keine Berührungspunkte mit Israel für mich“, sagt Matar, der zum letzten Mal vor zehn Jahren in der heiligen Stadt war, die ähnlich weit von Beit Jala entfernt ist, wie die Siedlung Efrat. „Nach Paris zu reisen, ist für mich einfacher, als Jerusalem zu besuchen.“
Beit Jala gehört mit seiner überwiegend christlichen Bevölkerung zu den reicheren Städten Palästinas, die Straßen sind gepflegt, neben geschmackvollen Villen gibt es sogar einen Park. Matar ist „aus Familientradition Kommunist“ und strikt weltlich. „Religion macht die Menschen blind“, improvisiert er frei nach Marx. „Ohne Religion gäbe es hier keine Kriege“. Er lebt zusammen mit Ehefrau Grace, zwei Mädchen und einem Jungen in dem Haus, das sein Urgroßvater vor rund einhundert Jahren gebaut hat.
„Die Siedler sind die ,Hardliner’ unter den Israelis“, sagt er und glaubt, dass es sich mit „den Juden aus Haifa oder Tel Aviv“ leichter in friedlicher Nachbarschaft leben ließe, „vor allem mit denen, die aus Europa gekommen sind“. Die weltlichen Ashkenasen (Juden aus Europa und Osteuropa) seien eher bereit, „uns zu respektieren“, als die Sefarden (aus Nordafrika immigrierte Juden).
Rosets Vorfahren stammen aus Polen
Die Vorfahren von Abraham Roset stammen aus Polen. Gerade noch rechtzeitig sei seine Familie vor Hitler geflohen und nach Uruguay gezogen. „Fast alle haben überlebt, nur die Familie meiner Frau ist im Holocaust nahezu komplett umgekommen.“ Der rothaarige Siedler teilt die Meinung von Matar über die israelischen Sefarden, die andere, „ungehobeltere“ Umgangsformen hätten, als die Ashkenasen. Bei den Palästinensern empfindet er die Mentalität der Levante indes noch viel deutlicher. „Mit Verhandlungen kommen wir bei den Arabern nicht weit“, sagt er. „Israel muss in der Position des Stärkeren bleiben und den Ton angeben.“
Rosets Eltern verbrachten die ersten Jahre nach der Immigration auf den Golanhöhen und zogen in den 70er-Jahren nach Efrat, wo damals „Bauland fast umsonst war“, sagt er, wobei die Familie auch national-religiöse Ideologien ins Westjordanland trieben.
„Sie fressen unser Land“
Efrat gehört zum Gush Etzion, einem „Block“ mehrerer Siedlungen zwischen Jerusalem und Hebron, der aller Wahrscheinlichkeit nach im Rahmen einer „End-Status-Lösung“ an Israel angegliedert wird.
Rings um Jerusalem und auch im nord-westlichen Judäa gibt es solche dicht besiedelten Siedlungsblöcke, in denen zigtausende Menschen leben und die aufzulösen zunehmend zur Utopie wird. Stattdessen strebt Israel einen Landaustausch an, dem die PLO (Palästinensische Befreiungsorganisation) grundsätzlich schon zustimmte. Nur über den Umfang des Gebietes, das getauscht werden soll, konnten sich die Seiten in der letzten Verhandlungsrunde vor über vier Jahren nicht einigen.
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„Sie fressen unser Land“, schimpft Matar, der sich nicht vorstellen kann, wie in einem Friedensabkommen das Problem der Siedlungen gelöst werden sollte. „Mein Vater hatte Ländereien, dort wo sie die Siedlung Gilo gebaut haben. Es ist alles weg.“ Von Wiedergutmachung will Matar nichts hören. „Beit Jala ist komplett eingeschlossen“, sagt er. Gebaut wird nur noch vertikal, wie in der Nachbarstadt Bethlehem. Horizontal geht nichts mehr. Der Palästinenser macht sich keine Illusionen. „Dies ist kein Besatzerstaat, der uns eines Tages unser Land zurückgeben wird.“
Wenn es der Frieden erforderlich mache, wäre Roset jedenfalls bereit zum Umzug. Auch wenn er nicht daran glaubt, dass die Palästinenser sich mit dem 1967 von Israel besetzten Gebiet zufriedengeben werden, will er sich jeder Entscheidung, die die Regierung in Jerusalem trifft, fügen. „Die Araber wollen nicht nur, dass die Siedler weggehen, sondern alle Juden.“ Warum hätten sie sonst nicht Ehud Olmerts Plan zugestimmt, fragt er.
Der frühere Regierungschef hatte kurz vor seinem Amtsrücktritt im Sommer 2008 einen Entwurf vorgelegt, der den Palästinensern 93 Prozent des Westjordanlandes zuschreibt. Die fehlenden sieben Prozent sollten im südlichen Negev von Israel abgeschnitten werden, um den dicht bevölkerten Gazastreifen zu vergrößern. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas lehnte damals ab.
„Wenn dann noch einer rüberkommt, wird scharf geschossen“
Niemand solle glauben, mahnt Roset, dass ein Palästinenser, der zum Beispiel aus Haifa kommt, nicht dorthin zurückkehren wolle. „Sie wollen alles“, das gesamte Land vom Jordan bis zum Mittelmeer, sagen beide über jeweils den anderen und haben damit vermutlich Recht. Der Kompromiss der Teilung in zwei Staaten ist für die Palästinenser so schmerzlich wie für Israel.
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Der einzige Ort auf der Welt, wo Juden international dafür geschmäht werden, dass sie neue Wohnungen bauen, ist das biblische Land Israel. „Das ist absurd“, findet Roset. Doch die Realität zwinge ihn dazu, einer Zwei-Staaten-Lösung zuzustimmen. Eine gut bewachte Grenze gehöre dazwischen, „und wenn dann noch einer rüberkommt, wird scharf geschossen.“ Nur sollte der Gebietsaustausch das dicht besiedelte „Dreieck“ in Galiläa umfassen, Heimat von hunderttausenden arabischen Staatsbürgern Israels, und auch Ostjerusalem. „Wenn sie schon einen Staat kriegen, dann sollen auch alle Palästinenser dort leben.“
Die Jugend wird weggehen
Lehrer Matar hält jede Lösung für pure Illusion. „Für uns geht es um Land, aber die Frommen reden von Gott und den heiligen Büchern.“ Diese zwei Komponenten seien nicht kompatibel. Die ,Hardliner’ „geben den Ton an“. Immer mehr Palästinenser würden weggehen. In Beit Jala gäbe es keine Zukunft für die Jugend, auch für seine Kinder nicht. „Sie werden weggehen, und ich ermutige sie dazu“, sagt er traurig. „Wir haben nur ein Leben, und sie sollen wie Menschen leben.“