Berlin. Die Baupläne des israelischen Präsidenten Netanjahu haben die Verbündeten aufgebracht. Auch Bundeskanzlerin Merkel missbilligt sie. Kritiker sehen in den Siedlungen das vielleicht größte Hindernis für einen Frieden zwischen Israelis und Palästinensern. Warum die Siedlungspolitik so heikel ist.
Wenn Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu an diesem Mittwoch im Berliner Kanzleramt eintrifft, könnte die Atmosphäre kühler sein als üblich. Kanzlerin Angela Merkel missbilligt die neuen Siedlungspläne Netanjahus und will, dass er sie aufgibt. Ihr Gast aber denkt nicht daran.
Wie steht es um die deutsch-israelischen Beziehungen?
Das deutsch-israelische Verhältnis ist einzigartig. Deutschland steht damit zu seiner Verantwortung für den systematischen Mord an etwa sechs Millionen Juden in der Zeit des Nationalsozialismus. Seit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen 1965 hat sich das Verhältnis kontinuierlich vertieft. Deutschland steht ein für das Existenzrecht des Staates Israel. Merkel hat es zur Staatsräson erklärt. Ausdruck dieser Nähe sind Regierungskonsultationen beider Staaten. Am Donnerstag kommen die Kabinette beider Länder zum vierten Mal zusammen. Echte Freunde also, die offen miteinander reden können.
Wie viele Siedlungen gibt es?
Die Vereinten Nationen und die EU betrachten etwa 120 Siedlungen als illegal, die nach der Eroberung des Westjordanlandes durch Israel 1967 entstanden sind. Die meisten sind bewachte Wohnanlagen inmitten der besetzten Palästinensergebiete, wo 2,6 Millionen Palästinenser leben. In Siedlungen wohnen etwa eine halbe Million Israelis (etwa 311.000 im Westjordanland, fast 190.000 in jüdischen Vierteln im arabischen Ost-Jerusalem). Die Siedlungen im Gazastreifen wurden 2005 geräumt. Nach Informationen der israelischen Organisation „Betselem“ sind heute etwa 42 Prozent des Westjordanlandes in israelischer Hand.
Wer lebt in den Siedlungen?
Es gibt ideologische und religiöse Siedler, aber auch viele andere. Die Siedlungen sind nicht als Provisorium gebaut. Es sind solide Häuser, meist mit Garten, es gibt Spielplätze, Schwimmbäder, Kulturzentren, Supermärkte, Schulen und relativ günstigen Wohnraum, der sonst selten ist. Deshalb leben auch viele junge Familien in Siedlungen, die nicht ideologisch oder religiös motiviert sind, sondern ein besseres Auskommen suchen.
Weshalb kritisieren viele Europäer die israelische Siedlungspolitik?
Kritiker sehen in den Siedlungen das vielleicht größte Hindernis für einen Frieden zwischen Israelis und Palästinensern. Sie warnen davor, dass für einen Palästinenserstaat kaum noch Platz bleibt, wenn die Siedlungen weiter wachsen.
Sind Siedlungen völkerrechtswidrig?
Israel sagt Nein. Das im Sechstage-Krieg 1967 eroberte Westjordanland sei kein Staat im Sinne des Völkerrechts gewesen. International ist die Auffassung eine andere: Danach dürfen Zivilisten des eigenen Landes nicht in besetzten Gebieten angesiedelt werden.
Was bezweckt Israel mit dem Siedlungsbau?
Siedlungen haben bisher alle Regierungen gebaut oder ausgebaut. Das geschah auch in den 90er-Jahren unter Ministerpräsident Rabin und dem damaligen Außenminister Peres. Beide waren von der Arbeiterpartei und verhandelten gleichzeitig mit den Palästinensern über einen Frieden. Für das „Oslo-Abkommen“ wurden sie gemeinsam mit Jassir Arafat mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.
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Für israelische Befürworter bedeuten die Siedlungen nur eine Rückkehr nach „Judäa und Samaria“, wo Juden schon vor mehr als 2000 Jahren lebten. Nach ihrer Ansicht haben sie deshalb das Recht, überall zwischen Mittelmeer und Jordan, wie auch in Städten wie Hebron zu leben, wo ihr Stammvater Abraham begraben ist. Es gibt aber auch israelische Militärs, die Siedlungen für nötig halten, um das Kernland von Israel vor Angriffen arabischer Staaten oder terroristischen Aktivitäten zu schützen. Sie wollen deshalb vor allem die Siedlungen an der langen jordanischen Grenze behalten.
Warum entzündet sich ausgerechnet an den neuen Siedlungsplänen Israels die Welle der Empörung?
Die Ankündigung, 3000 Wohnungen in dem sensiblen Gebiet im Osten Jerusalems („E1-Gebiet“) bauen zu wollen, folgte auf die Aufwertung der Palästinenser durch die UN-Vollversammlung. Das zwölf Quadratkilometer große „E1-Gebiet“ ist vorbereitet. Es gibt Straßen, Strom und eine Polizeistation. Israel hatte den USA als wichtigstem Verbündeten zugesichert, hier – in der Taille des Westjordanlandes – nicht zu bauen.
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„E1“ würde die Lücke schließen zwischen den jüdischen Vierteln in Ost-Jerusalem und der Siedlung Maale Adumin und damit das Westjordanland für die Palästinenser mit Ramallah im Norden und Bethlehem im Süden praktisch in zwei Teile teilen. Und es würde den Zugang nach Ost-Jerusalem weiter erheblich erschweren, wo die Palästinenser ihre künftige Hauptstadt errichten wollen. Nicht nur für UN-Generalsekretär Ban Ki Moon kommen die Baupläne fast dem „Todesstoß“ für eine Zwei-Staaten-Lösung gleich.
Was macht die Lage so heikel?
Die radikal-islamische Hamas hat durch die Gaza-Offensive Israels eine Aufwertung erfahren und war am Ende sogar Verhandlungspartner für eine Waffenruhe. Die Hamas hat demonstriert, was sich mit Gewalt erreichen lässt.
Palästina als Staat anerkannt
Der gemäßigte Palästinenserpräsident Abbas von der Fatah hat in New York einen diplomatischen Erfolg errungen und wird dafür mit neuem Siedlungsbau im Westjordanland bestraft. Was die Palästinenser mit dieser Erkenntnis machen, ist ungewiss. Gesichert aber ist, dass Merkel das zum Thema macht.