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Der Amerikaner Craig Thompson erzählt nach seinem Erfolg „Blankets“ im Comic-Meisterwerk „Habibi“ ein modernes Märchen aus 1001. Nacht. Dabei spannt er den Bogen zwischen Christentum, Islam und Judentum.

Als Craig Thompson vor sechs Jahren seinen autobiografischen Comic „Blankets“ veröffentlichte, war das eine Sensation: Eine authentische Liebesgeschichte, ebenso poetisch erzählt wie gezeichnet. Seitdem war es weitgehend still um ihn, weil er tief in den Arbeiten zu „Habibi“ versunken war. Nun endlich ist klar, warum: „Habibi“ ist ein monumentales Werk, über 600 Seiten dick, opulent illustriert, in vielerlei Hinsicht ganz anders als „Blankets“. Und doch trägt die Geschichte der Sklavenkinder Dodola und Zam, die angelegt ist wie ein modernes Märchen aus 1001. Nacht, unverkennbar Thompsons erzählerische Handschrift.

Auf dem Sklavenmarkt gerettet

Sie erzählt von einer Liebe, die im Kindesalter beginnt, als die Zwölfjährige den kleinen Jungen davor rettet, auf dem Sklavenmarkt getötet zu werden. Die beiden finden Unterschlupf in einem Boot, das inmitten der Wüste auf den Dünen zu schwimmen scheint – ein Ort des Glücks, zumindest scheinbar. Denn Dodola hält alle Widrigkeiten des Lebens von ihrem Schützling fern. Er darf das Boot nicht verlassen, wenn sie zu den vorbeiziehenden Karawanen geht und dort ihren Körper im Tausch gegen Lebensmittel anbietet.

Als dies beginnt, hat das Mädchen jedoch schon eine Geschichte des Missbrauchs hinter sich, denn im Alter von neun Jahren wurde sie zwangsverheiratet mit einem Schriftgelehrten, der sie lesen und schreiben lehrte und später ermordet wurde. Überhaupt steckt das Buch „Habibi“, wie Doldola ihren Zam zärtlich nennt, voller sexueller Grausamkeiten. Denn die beiden werden gewaltsam getrennt. Während die junge Frau in den Harem des Sultans verschleppt wird und dort das Schicksal vieler Konkubinen teilt, kann sich Zam nicht allein ernähren – und findet Unterschlupf bei den Eunuchen, wo er lebt, bis er sich sogar dazu entschließt, selbst einer von ihnen zu werden.

Die Magie der Worte: Dodola lernt von ihrem Mann, dem Schriftgelehrten. Illustration: Reprodukt
Die Magie der Worte: Dodola lernt von ihrem Mann, dem Schriftgelehrten. Illustration: Reprodukt © WAZ

Über all diese Zeit verbindet Zam und Dodola ein emotionales Band, das sie selbst in den ausweglosesten Momenten aneinander denken lässt.

Große, unglückliche Liebesgeschichte

Thompson gelingt es, diese große, unglückliche Liebesgeschichte mit Erzählungen aus dem Koran und der Bibel zu verknüpfen, die seine Figuren prägen. So gelingt es dem christlich aufgewachsenen Amerikaner, den Bogen zu schlagen zwischen Christentum, Islam und Judentum. Er bettet das Geschehen in eine ungewisse Zeit, die zwischen dem Mittelalter und heute liegen mag, jedenfalls enthält sie Elemente von beidem. Und er schöpft in einer selten dargebotenen Bildgewalt aus der Ornamentik und Kalligrafie des Nahen Ostens, was seinen Bildern ungeheuren Abwechslungsreichtum verleiht.

Ein moderner Wirtschaftskrimi

Wer nun noch liest, dass eben diese Geschichte auch noch ein moderner Wirtschaftskrimi ist, in dem es um die Verteilung von Wasser in der Dürreregion geht, um Umweltverschmutzung und das Elend in heutigen arabischen Metropolen, der mag das alles für ein wenig hochgegriffen halten. Doch beim Lesen fügt sich eins ganz selbstverständlich zum anderen, so dass die gewiss fesselndste Comicerzählung des Jahres vor unseren Augen ersteht.

  • Craig Thompson: Habibi. Übersetzt von Stefan Prehn. Reprodukt, 672 Seiten, 39 Euro