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Ursula Priess, die Tochter des Schriftstellers Max Frisch, hat einen Roman über Istanbul geschrieben. Deren melancholischer Blick macht jedoch nicht wirklich Lust auf die lebendige „Mitte der Welt“.

Bücher über Istanbul sind angesagt. So lebendig, so jung, so vibrierend. Kaum ein Autor, Journalist oder Fotograf kann sich der Atmosphäre dieser Stadt entziehen. Ursula Priess war vor dem Hype dort, hat in den 90ern einige Jahre am Goldenen Horn gelebt. Dass sie erst jetzt ein Buch darüber herausbringt, erweckt den Eindruck, dass sie auf einen Zug aufspringt. Dabei hat sie leider nichts Neues beizutragen.

Wer „Mitte der Welt. Erkundungen in Istanbul“ trotzdem liest, reist mit einer Schweizerin, Anfang Fünfzig, an den Bosporus, bestaunt mit ihr beinahe kindlich die Wunder dieser Stadt. Die Hagia Sofia, den ersten Schnee, die Menschen in den Straßen, das Tuten der Dampfer auf dem nächtlichen Bosporus.

Gesichter vor Augen

Hauptsächlich besteht das Buch jedoch aus Begegnungen. Verkin, die Armenierin. Anne, die Griechin. Magdalena aus der Schweiz. Die Kurdin Leyla. Monsieur Akbulut. All diese Menschen nutzt Priess, um wie nebenbei von der Türkei zu erzählen. Ein schöner Griff der Autorin, liest sich Istanbuls bewegte multikulturelle Geschichte doch noch ein bisschen spannender, wenn man Gesichter dazu vor Augen hat.

Auch das aufgesetzte Lachen der russischen Prostituierten am Nebentisch, die Ignoranz des Krämers um die Ecke, der Plausch mit der Putzfrau, verraten viel über Sitten und Gebräuche, über Traditionen im Umbruch, auch vor 15 Jahren schon.

Aber: Die Reise ins Innere dieser bewegten Welt gerät der Autorin zu einer Art Tagebuch, das an manchen Stellen persönlicher wird als man es sich wünscht. Wenn sie zum Beispiel versucht, eine echte Istanbulerin zu werden. Fast unangenehm ist es, wenn Priess von ihrem „Geliebten“ erzählt. „Ob ich über ihn, der mich Granatapfelblüte nannte, jemals schreiben würde?“, grübelt sie, und der Leser muss mitgrübeln. Das ist gestelzt, die blumigen Arabesken der türkischen Sprache imitierend. So richtig Lust auf diese ungewöhnliche Stadt macht ihr melacholischer Blick nicht.

  • Ursula Priess: Mitte der Welt. Erkundungen in Istanbul, btb Verlag, 224 S., 19,99 Euro