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Die Ostergeschichte ist eine Erzählung von Tod und Auferstehung, eine perfekte Parallele; auch der Glaubenskampf der Frisch-Jünger macht dies zu einem guten Datum für die Veröffentlichung: Heute legt uns der Suhrkamp-Verlag Max Frischs Entwürfe für ein drittes Tagebuch ins Nest.
1982: Max Frisch lebt mit seiner Lebensgefährtin Alice Locke-Carey in New York. In der Figur Lynn hatte Frisch der jungen Schauspielerin in „Montauk” bereits ein Denkmal gesetzt, nun will er ihr ein „Tagebuch 3” widmen, wie die ersten beiden Tagebücher von 1950 und 1972 ein literarisches Skizzen-Werk. Der Text wird Fragment bleiben, doch ist die Richtung unverkennbar – Frisch arbeitet auf das Ende hin, auf mehreren Ebenen:
Ein Freund, der Zürcher Strafrechtsprofessor Peter Noll, hat Krebs; Frisch wird die Trauerrede halten. Die Beziehung zu Alice droht zu scheitern: „Unsere Paarschaft ist ohne Zukunft.” Auch der Weltuntergang scheint nahe im Kalten Krieg – diese Vision ist heute so fern, dass die Betagtheit des Werkes überdeutlich wird.
Schließlich: ahnt Frisch das eigene Ende. „Immer größer wird mein Freundeskreis unter den Toten”, so der Chronist des eigenen Verfalls, im Zustand „gelassener Panik”. „Ich werde ein Greis”, notiert er etwa, oder auch: „Ich bin alt, ich bin alt.” Die Nebenwirkungen, körperliche und seelische, erspart er sich nicht: „Wann gibt man die geschlechtliche Impotenz zu?” Und: „Hänge ich am Leben? Ich hänge an einer Frau. Ist das genug?”
Der Schriftsteller ist seiner Rolle überdrüssig: „Muss ich etwas zu sagen haben?”, heißt es einmal. „Was geht mich Israel an?”- oder: „Ist es wichtig, was ich zur Falkland-Krise denke?” Sein aktuelles Werk, „Blaubart”, nennt er „eine Fratze, eine gekonnte Grimasse”, das soll sein letztes Buch sein? „Das vorletzte hätte verdient, das letzte zu sein.” (Also: die Erzählung „Der Mensch erscheint im Holozän” von 1979.) Ein neues scheint nicht in Betracht zu kommen, denn: „Offenbar verdränge ich, was ich durch das Alter erfahre, und deswegen habe ich nichts zu sagen.”
Die Mühsal des Schaffensprozesses beschreibt er aber, ein Paradox, derart schön, dass seine literarische Potenz schillert: „Was ist bloss mit den Wörtern los? Ich schüttle Sätze, wie man eine kaputte Uhr schüttelt, und nehme sie auseinander; darüber vergeht die Zeit, die sie nicht anzeigt.”
Max Frisch bricht die Arbeit an seinem Tagebuch ab, bevor er den Widerspruch der Schaffenskrisenbeschwörung in einem literarisch ambitionierten Werk auflösen kann. Er vernichtet Kopien, aber denkt nicht an alle, offenbar: Ein Typoskript findet seine Sekretärin Rosemarie Primault, der er seine Werke stets diktierte, im Jahr 2000 beim Umbau ihrer Wohnung. Sie übergibt es Walter Obschlager, der bis 2008 das Max-Frisch-Archiv in Zürich leitete; beide sprechen sich gegen eine Veröffentlichung aus.
Im Herbst 2009 aber beschloss der Stiftungsrat der Max-Frisch-Stiftung die Herausgabe des Fragments. Der Zürcher Literaturwissenschaftler Peter von Matt müht sich nun im Nachwort, den hohen Grad der literarischen Bearbeitung, den „Kunstwillen” dahinter, zu betonen. Auch der „Herausgeberbericht” im Anhang verteidigt sich. Die Schriftstellerkollegen Adolf Muschg und Peter Bichsel verurteilten die Veröffentlichung dennoch scharf.
Wer entscheidet über das nachgelassene Wort eines Wortkünstlers? Max Frisch selbst scheint der Gedanke an seine postume Existenz unangenehm. Einmal in diesem verschollenen, gefundenen, umstrittenen Buch beschreibt Frisch einen Besuch bei Peter Obschlager in „seinem” Zürcher Archiv, er fragt sich: „Wie fühlt man sich: wichtig? ausgeliefert? beschützt? bestattet? dankbar? historisch?”
Eine Antwort gibt er nicht. Nicht einmal sich selbst.