Joggen, nähen, Bananenbrot backen: Viele lieb gewonnene Corona-Hobbys sind längst wieder aus unserem Alltag verschwunden. Warum?
Mann, was war ich sportlich! Mehrmals in der Woche habe ich mir meine Laufschuhe angezogen, bin im Sommer auch noch bei 30 Grad und praller Sonne am Rhein entlang gejoggt. Ich gehörte zu den vielen Menschen, die sich während der Lockdown-Wochen in der Corona-Pandemie mit allem, was der Online-Sporthandel fürs perfekte Lauferlebnis zur Verfügung stellte, ausgestattet haben und von Lauf-Muffeln zu ambitionierten Hobby-Läufern wurden.
Und jetzt, im ersten coronafreien Sommer? Verbringen meine Schuhe ihr Dasein eher im Schrank als auf den Straßen, habe ich schon bei der fünf Kilometer-Runde zu kämpfen und werde permanent von meinem schlechten Gewissen geplagt.
Corona-Hobbys: Vom Sportmuffel zum Jogger – und zurück?
Zum Glück verschafft mir ein Blick auf meinen Familien- und Freundeskreis etwas Erleichterung. Die Jogginghose als neues Lieblingskleidungsstück ist geblieben, allerdings eher für den entspannten Fernseh-Abend als für einen Marathon. Meine einst so motivierte Schwester geht mittlerweile genauso selten laufen wie ich, meine andere Schwester hat ihren lockdown-kompatiblen Home-Workout-Plan längst verworfen, mein Vater schwingt sich nur noch alle paar Wochen aufs E-Bike.
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All die guten Vorsätze aus den Pandemie-Monaten, als Fitnessclub, Kneipen und Konzerthallen geschlossen waren und man sich neuen, möglichst sinnvollen, umweltbewussten und natürlich gesunden Beschäftigungen zuwandte – was ist aus ihnen geworden? Viele Gewohnheiten, aus der Pandemie geboren, von denen man glaubte, sie würden auch nach Corona überleben, sind wieder verschwunden oder in die Nische zurückgekehrt.
Pandemie sorgte für Bananenbrot-Hype auf Instagram
Um das zu erkennen, genügt ein Blick in mein eigenes Umfeld. Dort sitzen nicht nur die Hobby-Sportlerinnen wieder auf der Couch, auch die einst so unermüdlichen Bäckerinnen und Bäcker haben das Nudelholz wieder weggeräumt.
Zu Corona-Zeiten sprangen mir beim Scrollen durch den Instagram-Feed mindestens zwei, drei Bananenbrote entgegen, natürlich perfekt in Szene gesetzt auf schönen Servierplatten mit Beeren und Erdnuss-Creme. Dazu selbst gebackene Brote und Brötchen, Kuchen und Torten. Die Fotos haben mich nicht selten dazu gebracht, selbst die Küchenmaschine anzuschmeißen.
Hefe wurde zum Topseller der Supermärkte, Mehl war wochenlang ausverkauft. Und während sich bei einigen die Pizzakartons vom Lieferservice stapelten, wurden andere zu Spitzen-Köchinnen. Dazu wurden Hausfrauen-Tipps aus Omas-Zeiten von jungen Influencerinnen gekonnt vermarktet. Ob leckere Suppen, Apfelmus und Gemüse aller Art: Alles wurde plötzlich eingekocht. Aus Kampf gegen die Langeweile oder um die eigene Vorratskammer zu füllen, ohne dabei als einer der „Hamster“ die Supermarktregale leer zu kaufen.
Und heute? Mehl und Hefe stapeln sich längst wieder in den Supermarkt-Regalen. Die Back-Euphorie ist weitgehend verflogen, bei Instagram suche ich vergebens nach Bananenbroten. Die im Lockdown begehrten Einweck-Gläser dienen höchstens noch zur Aufbewahrung von Müsli, das wir mittlerweile wieder im Supermarkt kaufen, statt eigene, super-gesunde Kreationen zusammenzustellen. Und der Einmachglas-Hersteller Weck, der zu Coronazeiten das große Geschäft machte, meldete kürzlich Insolvenz an.
Bundesregierung verbrennt 755 Millionen Corona-Masken
Während einige in Pandemiezeiten – mehr oder weniger erfolgreich – ihre Koch-Künste verbesserten, entdeckten andere die eigene Kreativität, ebenfalls ganz nach Omas Vorbild, im Nähen, Stricken, Sticken. Stand da nicht noch Omas alte Nähmaschine auf dem Dachboden? Davon wollen die meisten in meinem Freundeskreis allerdings jetzt, da wir unsere freie Zeit wieder frei von Abstandsregeln und Masken-Pflicht gestalten können, nichts mehr wissen.
Apropos Maske: Hatten wir nicht damals gesagt, wie sinnvoll sie doch sein könne, und dass man sich auch in Zukunft damit schützen wolle, wenn die Pollen fliegen oder bei der nächsten Grippewelle? Ich bin jedenfalls lange keinen Masken-Trägern mehr in der U-Bahn begegnet. Was auch daran liegen mag, dass die Bundesregierung erst vor kurzem 755 Millionen abgelaufene Corona-Masken verbrennen ließ.
All unsere so lieb gewonnen Corona-Hobbys und -Angewohnheiten: Verschwinden sie genauso schnell wieder aus unserem Alltag, wie sie gekommen sind? Den Eindruck erwecken jedenfalls auch die Schlagzeilen in den Nachrichten. „E-Bikes: Erster Preisnachlass wegen weniger Nachfrage“, heißt es da beispielsweise.
Klar könnte man annehmen, dass sich nun einfach alle ausreichend mit Fahrrädern, Jogging-Klamotten und Einweckgläsern ausgestattet haben. Zur Wahrheit gehört aber auch: „Wenn man eine harte Zeit, wie die Corona-Pandemie und die damit verbundene Isolation hinter sich bringt, ist die Sehnsucht, eine gewohnte Normalität wiederzufinden, groß. Da ist es ganz normal, dass es einen Backlash gegen alles, das man sich eigentlich vorgenommen hatte, gibt“, sagt Peter Wippermann. Er ist einer der bekanntesten Trendforscher Deutschlands.
Sommerurlaub 2023: Mehr Reisen als vor der Pandemie
Dass die Corona-Schutzmaßnahmen dazu führten, dass die Deutschen zuerst begeistert ihre Heimat als Urlaubsland neu entdeckten, findet er daher genauso wenig überraschend wie die Tatsache, dass viele Urlauber ihre Pläne vom Urlaub vor der Haustür mit dem Ende der Pandemie-Beschränkungen schnell wieder verworfen haben.
Die Sehnsucht nach Sommer, Sonne, Strand und Meer ist nach mehr als drei Jahren Pandemie so groß, dass sich die Branche laut Deutschem Reiseverband in einem starken Aufwärtstrend befindet. Seit Dezember 2022 liegen die Neubuchungseingänge für Pauschal- und Bausteinreisen fast kontinuierlich über denen der Vor-Corona-Zeit, trotz Inflation. So reizvoll ist es auf Balkonien wohl doch nicht.
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Trotzdem, so Wippermann, hat die Pandemie die Art, wie wir Urlaub machen, nachhaltig verändert. „Umfragen zufolge sind den Menschen heute vor allem der Preis, die Sauberkeit und Ruhe bei der Urlaubsplanung wichtig. Das war vor der Pandemie noch anders.“
Zurückzuführen sei das auf die eigentlichen, die großen Trends der Pandemie. Wenn Wippermann von Corona-Trends spricht, dann nämlich nicht vom Einkochen, Bananenbrotbacken & Co., sondern von drei recht abstrakten Begriffen: Sicherheit, Preis und Flexibilität.
Trendforscher: „Wir haben ein Bedürfnis nach Sicherheit“
„Was in Pandemie-Zeiten mit Isolation und beim Ukraine-Krieg mit Waffenlieferungen beantwortet wurde, ist bei der Urlaubsplanung das All-inclusive-Angebot: „Wir haben ein Bedürfnis nach Sicherheit“, so der Experte. Gleichzeitig haben die gestiegenen Preise während der Pandemie dazu geführt, dass die Frage „Was kosten die Dinge eigentlich?“ für viele an Bedeutung gewonnen hat.
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„Und der dritte Trend, der bleiben wird, ist, dass wir in der Pandemie gelernt haben, flexibler zu sein. Wir haben es geschafft, uns schnell auf eine neue Situation einzustellen. Und das werden wir auch in Zukunft brauchen, wenn man nur mal an den Krieg in der Ukraine oder an Klimawandel denkt.“
Dass diese drei großen Corona-Trends unser Leben nachhaltig beeinflussen, machen laut Wippermann viele weitere Beispiele aus dem Alltag deutlich: Das Homeoffice wurde während der Pandemie geboren, noch heute arbeitet ein Viertel aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von zu Hause aus.
Stichwort Zuhause: Auch wenn die meisten ihren Urlaub nicht mehr in den eigenen Vier-Wänden verbringen wollen und die Hobby-Heimwerker-Quote, zumindest in meinem Bekanntenkreis, deutlich zurückgegangen ist, hat sich unsere Einstellung zu Wohnung oder Haus langfristig verändert. Wir arbeiten von zu Hause aus, wir machen dank digitaler Kurse Sport im Wohnzimmer, wir shoppen von der Couch aus.
Seit Corona-Pandemie: Das eigene Zuhause als „Bastion“
„Das Zuhause ist eine Bastion, die Sicherheit bietet. Das ist unglaublich wichtig geworden“, so Wippermann. Sein Fazit: „Trotz der Euphorie, nach der Pandemie in eine gewohnte Normalität zurückzukehren, hat sich eben doch ganz viel verändert.“
Was also bleibt von den Corona-Trends? Bei mir persönlich ist es wohl vor allem die Tatsache, dass ich zwar nicht mehr so oft, aber doch ab und an joggen gehe. Und dass in meinem Wohnzimmer wieder ein Klavier steht. Ein Hobby, das ich mit dem Schulabschluss vor knapp zehn Jahren aufgegeben und dank der vielen Freizeit während der Pandemie wieder entdeckt hatte. Zumindest für eine kurze Zeit. Aber gleich morgen werde ich im Park joggen gehen und danach ein neues Stück lernen. Und zur Belohnung gibt’s Bananenbrot.
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