Essen. Wie tickt eigentlich die heutige Jugend? Drei junge Frauen aus NRW über TikTok, Gendern und Fridays for Future.
Wie tickt eigentlich die heutige Jugend? Was denkt sie, was macht sie anders als die vorangegangenen? Ein Gespräch über TikTok, Gendern und Fridays for Future.
Lynn: Meine Spanisch-Lehrerin hat letztens gefragt, was typisch für unsere Generation ist. Das Erste, was jemand gesagt hat, war: mentale Probleme.
Judith: Stimmt, da reden wir echt viel drüber. Und man will sich mehr von anderen abheben und trägt zum Beispiel verrücktere Klamotten.
Sophie: Aber ist das nicht immer so, wenn man jünger ist?
Judith: Keine Ahnung. Ich weiß ja nicht, wie das bei dir früher war. Wir beide sind ja schon anders, weil du neun Jahre älter bist. Und du und Lynn unterscheidet euch ja auch sehr.
Während unserer Familienfeiern werfen wir Drei – das sind meine Cousine Lynn (21), meine Schwester Judith (16) und ich (25) – uns manchmal ganz bestimmte Blicke zu. Und zwar immer dann, wenn einer der Älteren mal wieder etwas gesagt hat, das unserer Meinung nach überhaupt nicht mehr zeitgemäß ist. Wir sind uns einig, dass wir oft andere Ansichten vertreten als die Generation unserer Eltern, die sogenannten „Babyboomer“.
Generationenfrage: Gen Z oder Gen Y?
Dass aber auch unsere Generationen sich grundlegend unterscheiden könnten, darüber haben wir bisher wenig nachgedacht. Dabei ist genau das laut Wissenschaft der Fall. Ich gehöre mit meinen 25 Jahren noch zur „Generation Y“, meine Cousine und meine Schwester zur darauffolgenden „Gen Z“ – und diese beiden „Alterskohorten“ heben sich in wesentlichen Punkten voneinander ab, so der Bildungs- und Jugendforscher Klaus Hurrelmann.
Inwiefern war meine Jugend anders als ihre, obwohl uns nur einige Jahre trennen? Welche Einstellungen und Erfahrungen teilen wir, welche nicht? Wir ähneln uns wahrscheinlich mehr als andere Menschen in unserem Alter, weil wir als Familie nun mal ziemlich gleich aufgewachsen sind. Wie die jungen Menschen ticken, darum kann und soll es hier also nicht gehen. Aber was macht uns Drei aus?
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Generation Greta: „politisch wach und aktiv“
Die jüngere Generation ist „politisch wach und aktiv“, heißt es in der 2021 durchgeführten Studie „Jugend in Deutschland“ von Klaus Hurrelmann und Simon Schnetzer. Der Umfrage zufolge ist der Klimawandel das Thema, das den meisten jungen Menschen in Deutschland Sorge bereitet.
Wenn ich an die „Fridays for Future“-Bewegung denke, bekomme ich automatisch ein schlechtes Gewissen. Denn während viele Jugendliche heute für den Klimaschutz auf die Straßen gehen, wollte ich in ihrem Alter unbedingt zu Primark, um mir die Drei-Euro-Schuhe zu kaufen, die in meiner Schule fast jeder getragen hat.
Gen Z und Gen Y: Was die Generationen unterscheidet
„Die Menschen, die vor 2000 geboren wurden, haben eine ziemlich schwierige Situation vorgefunden: die Wirtschaftskrise von 2008, Terroranschläge und eine schwierige Arbeitsmarktsituation. Deshalb haben sie erstmal geguckt, wo sie selbst bleiben und sind politisch sehr zurückhaltend geworden“, sagt Hurrelmann.
Diese Probleme habe die heutige junge Generation nicht. „Es scheint so, als würde diese Sicherheit den Kopf frei machen für das, was eigentlich typisch ist für junge Leute: Über die Probleme der Gesellschaft nachzudenken.“ Vor allem die Klima-Frage habe zu einer Politisierung geführt, so der Soziologe. Er spricht daher von der „Generation Greta“.
Sophie: Lynn, als ich dich gefragt habe, ob du mit mir über deine Generation reden würdest, hast du gesagt, dass du nicht weißt, ob du die Richtige bist. Andere seien viel politischer. Setzt dich das unter Druck?
Lynn: Ich sehe bei einigen Freund:innen, dass sie super aktiv sind. Eine Freundin hat auch gesagt, dass wir mehr über Politik reden müssten.
Judith: Ich war noch nie auf einer „Fridays for Future“-Demo. Wir sprechen schon darüber und haben die Lehrer überredet, an einem Schultag Bäume zu pflanzen. Aber ich denke, dass wir in unserem kleinen Dorf eh nicht so viel bewirken könnten wie die Demos in Köln oder Berlin.
Lynn: Ja, bei mir ist es so ein Widerspruch. Ich sage, die Umwelt ist mir wichtig und ich esse vegetarisch. Aber ich will niemandem vorschreiben, dass er das auch muss. Wir sind ja auch sehr privilegiert.
Judith: Ich gehe wegen der Umwelt schon länger zu Fuß zur Bushaltestelle.
Sophie: Ich war immer froh, dass wir morgens mit dem Auto gebracht wurden.
Lynn: Wir könnten aber trotzdem viel mehr tun. Uns in einer Partei engagieren, zum Beispiel. Ein paar meiner Freund:innen machen das.
Judith: Aber da sind die Leute viel älter als wir.
Lynn: Stimmt. Und ich will zwar der Welt nichts Schlechtes tun, aber möchte trotzdem reisen.
Judith: Vor allem wenn man sieht, dass ältere Menschen mit AIDA unterwegs sind.
„Die große Mehrheit ist noch nicht bereit, die liebgewordenen Gewohnheiten in den Bereichen Konsum, Mobilität, Ernährung aufzugeben und wartet erst einmal auf Entscheidungshilfen durch die Politik“, schlussfolgert auch Hurrelmann in der „Jugend in Deutschland“-Studie.
Junge, starke Frauen? Über Gendern und Selbstbewusstsein
„Die jungen Frauen, egal ob sie vor oder nach 2000 geboren sind, sind sehr stark geworden“: Das ist ebenfalls ein Ergebnis vieler Studien, so der Bildungsforscher. Wir würden im Durchschnitt bessere schulische Leistungen erbringen, was insgesamt zu mehr „Selbstbewusstsein, Selbstdisziplin, Selbstwirksamkeit und Selbstkontrolle“ geführt habe. Ach ja?
Sophie: Ich musste bei dem Stichwort „starke Frauen“ daran denken, dass Mama vor Kurzem auf eine Karte „Familie Michael Sommer“ geschrieben hat und Judith und ich sie gefragt haben, warum sie nicht auch ihren Namen aufschreibt.
Lynn: Wenn ich mit meinen Eltern rede, merke ich, dass wir oft ähnliche Ansichten haben. Aber nicht immer, zum Beispiel was Gendern angeht.
Sophie: Mir ist schon bei unserem Weihnachts-Spaziergang aufgefallen, dass du beim Sprechen genderst.
Lynn: Ja, ich finde es wichtig, damit sich niemand ausgeschlossen fühlt.
Sophie: Sehe ich auch so. Ich spreche zwar auch bewusst von Studierenden oder Mitarbeitenden, aber die Lücke beim Sprechen lasse ich meistens nicht.
Judith: Ich rede zwar nicht so, aber beim Schreiben achte ich schon darauf.
Sophie: Warum?
Judith: Das weiß ich gar nicht genau. Es ist halt normal. Ich wüsste nicht, warum ich das nicht machen sollte.
Die junge Generation zwischen Digital Detox und Abhängigkeit
Als ich mich bei ICQ, einem WhatsApp-Vorgänger für den PC, anmelden wollte, brauchte es nicht nur viel Überzeugungskraft gegenüber meinen Eltern, sondern auch einen neuen Computer. Schließlich sei die Viren-Gefahr bei solchen Programmen viel zu hoch, waren die beiden überzeugt. Judith hatte diese Probleme nie, gegen Ende der vierten Klasse hat sie ihr erstes Handy bekommen.
„Der digitale Transfer der gesamten Lebenswelt hinterlässt Spuren. Die vor 2000 Geborenen sind nicht vom ersten Lebenstag an so aufgewachsen, aber für die Jüngeren ist ein Leben ohne Smartphone unvorstellbar“, hält Hurrelmann fest. Umso größer sei für sie allerdings die Gefahr, in der digitalen Welt „zu versinken und sich selbst zu verlieren.“
Sophie: Wie viel Zeit verbringt ihr pro Tag am Handy?
Judith: Oh Gott, das ist mir ein bisschen peinlich.
Lynn: Ich habe die Messung der Bildschirmzeit extra ausgestellt, weil ich mir nicht die Blöße geben wollte.
Judith: Diese Woche liegt mein Tagesdurchschnitt bei fünf Stunden. Die meiste Zeit davon war ich bei TikTok.
Lynn: Bei mir ist es am meisten Instagram. Ich habe aber auch Phasen, in denen ich mein Handy auf Flugmodus mache und es einfach weglege.
Medienkompetenz: Fake News auf TikTok und Instagram
Die sozialen Medien nehmen einen immer größeren Raum im Leben vieler junger Menschen ein. „Internet und Social Media haben den klassischen Medien im Bereich der gezielten politischen Informationssuche mittlerweile den Rang abgelaufen“, heißt es in der Shell-Jugendstudie von 2019.
Das finde ich wenig überraschend. Selbst auf der chinesischen Plattform TikTok, die für lustige Clips und Tanz-Trends bekannt ist, werden immer mehr politische Inhalte geteilt. Allerdings verbreiten sich auch falsche Informationen online besonders schnell. Die Jüngeren sind zwar mit sozialen Medien aufgewachsen, sagt Hurrelmann, „die große Frage ist nur: Bedeutet das schon Medienkompetenz?“
Judith: Ich habe bei TikTok ein Video gesehen, in dem es darum ging, dass es zwischen Russland und Schweden Krieg geben wird. Aber das hat dann jemand anderes aufgeklärt und gesagt, wie die Situation wirklich ist.
Sophie: Und dem hast du dann geglaubt?
Judith: Ja, der wirkte seriös.
Lynn: Das Problem ist, dass ich oft nicht weiß, wie legitim das ist, was ich da sehe. Manchmal versuche ich herauszufinden, wer dahintersteckt. Manchmal nehme ich es einfach so hin. Aber ich weiß, dass man vorsichtig sein muss.
Judith: In der Schule lernen wir dazu aber auch gar nichts.
Eine mangelnde Medienkompetenz ist laut Expertinnen und Experten ein generelles Problem. Hurrelmann fordert daher, dass diese in Schulen gezielt gelehrt wird.
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Jugend während Corona: Nichts zu feiern?
Ein einziges Mal war ich seit dem Ausbruch Corona-Pandemie feiern. Mein erster Gedanke beim Betreten des Clubs: Oh Mann, bin ich alt geworden. Ich lag weit über dem Altersdurchschnitt, Judith und Lynn hätten sich dort bestimmt wohler gefühlt. Oder nicht?
Judith: Wir haben mal darüber geredet, feiern zu gehen, aber dann hat eine Freundin gesagt, dass es eh nicht so cool ist. Wir machen lieber etwas Zuhause, auch wegen Corona.
Lynn: Geht mir ähnlich. Das hängt wahrscheinlich auch damit zusammen, dass wir auf dem Dorf wohnen. Wenn ich nicht zurück nach Hause gezogen wäre, sondern in meiner Unistadt Paderborn geblieben wäre, würde es vielleicht anders aussehen.
Judith: Ich kenne es ja auch gar nicht anders.
Damit sind sie nicht allein, wie die Sinus-Jugendstudie 2020 zeigt. „Die ehemals jugendtypische hedonistische Mentalität nimmt weiter ab: Feiern gehen, Fun und Action verlieren an Bedeutung“, halten die Forschenden fest. Gleichzeitige würde es Jugendlichen immer wichtiger werden, „Zeit für sich selbst“ zu haben.
Generation Y und Babyboomer haben viele Gemeinsamkeiten
Nach unserem Gespräch habe ich den Eindruck, dass Judith und Lynn sich vielen politischen und gesellschaftlichen Problemen bewusster sind, als ich es mir in ihrem Alter war. Sie hinterfragen sich und ihr Handeln, wollen aber auch nicht auf alles verzichten.
Klaus Hurrelmann ist übrigens davon überzeugt, dass ihre Generation mit den „Babyboomern“, also unseren Eltern, mehr gemeinsam hat als mit meiner „Generation Y“. Ein interessanter Punkt, den ich beim nächsten Familientreffen einbringen werde – und der mit Sicherheit wieder für viele Diskussionen sorgen wird.
Das ist ein Artikel aus der Digitalen Sonntagszeitung – jetzt gratis und unverbindlich testlesen. Hier geht’s zum Angebot: GENAU MEIN SONNTAG