Essen. Eine Woche lang verzichtet unsere Autorin auf jegliche Formen von Zucker in Lebensmitteln. Was der radikale Zuckerentzug mit dem Körper macht.

Frustriert starre ich den Schokoladenosterhasen an, der auf meiner Fensterbank steht und mit aufdringlichem Lächeln darauf wartet, endlich von mir beachtet zu werden. Ich nehme ihn in die Hand und lese mir die Nährwertangaben durch: 54 Gramm Zucker auf 100 g. Verdammt viel, aber auch verdammt lecker. Schweren Herzens stelle ich den Hasen zurück an seinen Platz, das muss an Beachtung für diese Woche reichen.

Für sieben Tage verzichte ich auf zugeführten Zucker in Lebensmitteln. Damit folge ich einem Trend, der zurzeit besonders im Internet sehr beliebt ist: Bei der „Zuckerfrei-Challenge“ wird Zucker in jeglicher Form für einen bestimmten Zeitraum von der Einkaufsliste verbannt. Dazu zählen neben dem klassischen „Haushaltszucker“ Saccharose auch Glucose und Dextrose (Traubenzucker), sowie alle Arten von Sirupen und Honig. Da Obst von Natur aus viel Zucker enthält, streiche ich dieses ebenfalls von meiner Einkaufsliste. Auch Süßstoffe sind aufgrund ihrer hohen Süßkraft tabu.

Ernährungsexpertin: Deutsche sollten rund 25 Prozent weniger Zucker essen

In Deutschland konsumieren wir deutlich mehr Zucker, als die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt. So sollten bei einem durchschnittlichen Energiebedarf von 2000 Kalorien am Tag nicht mehr als 50 Gramm Zucker konsumiert werden. Gesünder sei noch, weniger als 25 Gramm Zucker pro Tag zu konsumieren.

Die Realität sieht anders aus: Frauen konsumieren rund 60 Gramm Zucker am Tag, bei Männern sind es 80 Gramm. „Um die Zufuhrempfehlung nicht zu überschreiten, müssten die Menschen in Deutschland durchschnittlich 25 Prozent weniger Zucker konsumieren“, erklärt Diplom-Ökotrophologin Antje Gahl von der DGE.

Gesüßter Joghurt ist eine klassische Zuckerfalle: Ein großer Becher deckt im Durchschnitt schon rund die Hälfte der täglich empfohlenen Maximalmenge an Zucker.
Gesüßter Joghurt ist eine klassische Zuckerfalle: Ein großer Becher deckt im Durchschnitt schon rund die Hälfte der täglich empfohlenen Maximalmenge an Zucker. © dpa-tmn | Florian Schuh

Mein Selbstversuch startet schon einen Tag vor dem Zuckerverzicht im Supermarkt. Erst hier wird mir bewusst, wie viele Lebensmittel ich in der kommenden Woche nicht mehr essen darf. Besonders die Planung des Frühstücks treibt mich an den Rand des Wahnsinns: Müsli und Cornflakes enthalten rund 17 Gramm Zucker pro 100 Gramm und sind damit absolut tabu. Stattdessen ein Blaubeerjoghurt? Fehlanzeige. Dieser enthält 11 Gramm Zucker pro 100 Gramm – bei einem Becher von 250 g würde ich schon beim Frühstück die Hälfte der täglich empfohlenen Maximalmenge überschreiten.

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Beim Mittagessen sieht es nicht viel besser aus. Jegliche Fertigprodukte kann ich von meiner Einkaufsliste streichen. Ob Tiefkühlpizza, Pommes oder ein fertig gemischter Salat mit Dressing aus dem Kühlregal: Überall finde ich unten auf der Zutatenliste Zucker, Dextrose oder Glukose. Selbst beim Gemüse aus dem Glas ist Vorsicht geboten: Besonders viel Zucker enthalten Rote Beete (11 g Zucker pro 100 g), Rotkraut (8,1 g Zucker auf 100 g) und Sauerkraut (7,3 g Zucker auf 100 g).

Auch die Bäckerecke im Supermarkt hält einige Überraschungen bereit. Viele der frischen Brötchen wurden mit Dextrose verfeinert. Doch vereinzelt gibt es auch Backwaren, bei denen laut Nährwertangaben kein Zucker beigemischt wurde, beispielsweise eine Sorte Baguettebrötchen und Laugenbrötchen.

Das Frühstück als größte zuckerfreie Herausforderung

Montagmorgen beginnt für mich der erste zuckerfreie Tag. Beim Frühstück greife ich zu Naturjoghurt und Haferflocken, darüber streue ich Cashewnüsse. Sieht schön aus, schmeckt aber eher fad. Beim Lachs-Spinat-Auflauf zum Mittagessen und Käsebrötchen zum Abendessen fehlt mir der Zucker wiederum überhaupt nicht. In den folgenden Tagen bestätigt sich, dass das Frühstück eindeutig die schwierigste zuckerfreie Mahlzeit für mich ist. Lustlos knabbere ich an einer Möhre und schmachte das Schokocroissant eines Kollegen an.

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Dass wir Zucker so gut finden, liegt in der Natur des Menschen. Dr. Stefan Kabisch forscht an der Charité in Berlin zum Thema Diabetes. Er erklärt: „Es ist uns angeboren, dass wir Zucker sehr attraktiv finden und gerne mehr davon essen, als wir bräuchten“. Menschen seien darauf eingestellt, Energiereserven anzulegen – ursprünglich für Zeiten, in denen weniger Nahrung verfügbar war. „Heutzutage können wir allerdings jederzeit im Supermarkt Lebensmittel kaufen, sodass wir die Reserven nicht brauchen.“

Ein kompletter Verzicht auf Zucker sei laut Kabisch erstmal nicht problematisch. „Unser Gehirn benötigt zwar Traubenzucker, um zu funktionieren, diesen Zucker kann der Körper allerdings auch aus anderen Lebensmitteln, beispielsweise aus Stärke, umwandeln.“ Ein radikaler Zuckerentzug sei dennoch mit Vorsicht zu betrachten: „Wer auf Zucker verzichtet, ernährt sich deshalb nicht automatisch gesund“.

Selbstexperiment: Weniger Süßes, dafür mehr Salziges

Auch ich merke während meines Experimentes, dass ich mich nur bedingt gesünder ernähre. Zwar esse ich deutlich mehr Gemüse wie Möhren oder Gurke als Snack für Zwischendurch, allerdings erhöht sich auch mein Salzkonsum stark. So nasche ich im Laufe des Tages immer wieder Käsewürfel und greife beim Fernsehen am Abend auf stark gesalzene Erdnüsse zurück. Davon esse ich zudem größere Portionen als sonst – es stellt sich einfach kein Befriedigungsgefühl ein, sodass ich immer weiter und weiter esse.

Schon nach wenigen Tagen vermisst Autorin Andrea Zaschka die Belohnungsgefühle, die durch den Konsum von Zucker ausgelöst werden.
Schon nach wenigen Tagen vermisst Autorin Andrea Zaschka die Belohnungsgefühle, die durch den Konsum von Zucker ausgelöst werden. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Donnerstagnachmittag erreiche ich einen Tiefpunkt. Ich fühle mich nicht nur müde und ausgepowert, sondern bekomme auch die psychologischen Auswirkungen des radikalen Zuckerentzugs zu spüren: Weil ich weiß, dass ich keine Schokolade essen darf, sehne ich mich umso mehr danach und kann kaum an etwas anderes denken. Ich male mir aus, was ich als erstes wieder essen werde, wenn die Woche Zuckerentzug vorbei ist. Innerlich hinterfrage ich das Experiment – ist doch ganz schön blöd, eine Woche auf Zucker zu verzichten, um danach sofort die erste Gelegenheit zu nutzen, um „rückfällig“ zu werden.

Belohnungsgefühle verstärken suchtähnliche Effekte bei Zuckerkonsum

Ein wichtiger Grund dafür, warum ich Süßigkeiten bereits nach wenigen Tagen so stark vermisse, spielen die Belohnungsgefühle, die wir Menschen mit dem Konsum von Zucker assoziieren. Schon kleine Kinder bekommen oft ein Stück Schokolade oder ein Bonbon, wenn sie beim Arzt tapfer waren – mit der Zeit werden wir darauf konditioniert, Süßes mit Belohnung zu verknüpfen.

Zucker sei zwar im Gegensatz zu Drogen oder Nikotin kein klassisches Suchtmittel, das abhängig mache und zu Entzugserscheinungen führe, erklärt Kabisch. „Dennoch ist der Konsum von Zucker ein starker Reiz für unser Belohnungssystem und entfaltet suchtähnliche Effekte“.

Wie sehr mir der Zucker als Belohnung fehlt, bemerke ich bei einer langen Wanderung, die ich am Wochenende unternehme. Normalerweise freue ich mich nach einem anstrengenden Aufstieg besonders auf die kleine Keks-Pause oder den leckeren Müsliriegel – doch ich muss verzichten. Als ich 24 Kilometer hinter mich gebracht habe, blicke ich zwar auf eine schöne Wanderung in der Natur zurück, aber so richtig zufrieden bin ich dennoch nicht: Mir fehlt die Belohnung. Immerhin habe ich die Woche fast geschafft.

(Un)gesunde Zuckeralternativen?

  • Ein überdurchschnittlicher Zuckerkonsum macht nicht sofort krank. Auf Dauer kann zu viel Zucker allerdings zu Übergewicht führen, welches wiederum schwerwiegende Krankheiten wie Diabetes, Bluthochdruck oder Stoffwechselstörungen fördert.
  • Welche Art von Zucker dabei konsumiert wird, sei unserem Körper im Prinzip egal. Antje Gahl von der DGE erklärt: „Ob Sirup, Honig, Datteln oder Zuckerwürfel: Zucker bleibt Zucker, und die Kalorienanzahl ist überall ähnlich hoch. Oft werden Zuckeralternativen wie beispielsweise Agavendicksaft als gesünder angepriesen, aber das stimmt nicht“.
  • Anders sieht es bei Süßstoffen aus: „Diese haben im Vergleich zum Haushaltszucker eine 100- bis 20.000-fache Süßkraft, wodurch man nur mikroskopische Mengen braucht, um eine intensive Süßkraft zu erreichen“, so Dr. Stefan Kabisch.
  • Keine Kalorien, trotzdem schön süß: Was erstmal paradiesisch klingt, hat laut dem Stoffwechselmediziner auch negative Effekte. „Unser Gehirn nimmt die Süße wahr und erwartet, dass der Blutzuckerspiegel ansteigt – das tut er aber nicht, weil ich ja keinen Zucker konsumiert habe. Dadurch kann es dazu kommen, dass unsere Gier nach Süßem noch größer wird.“
  • Deshalb empfiehlt Kabisch, Süßstoffe ebenfalls nur in Maßen zu konsumieren.

Am Montagmorgen steht er endlich vor mir: Der heilige Gral in Form eines Schokodonuts. So muss sich ein Weltmeister fühlen, kurz bevor er den Pokal in die Luft hebt. Genüsslich beiße ich hinein – und bin dann doch etwas enttäuscht. Schmeckt ganz schön süß und klebrig. Das soll jetzt also der große Moment gewesen sein, auf den ich mich die ganze Zeit gefreut habe? Ich esse die Hälfte des Donuts und packe den Rest für später ein – das wäre mir vor der Zuckerentwöhnung nie passiert. Aber gerade ist der süße Geschmack einfach zu viel für mich.

Ganz auf Zucker zu verzichten, kann ich mir auf Dauer nicht vorstellen. Immerhin nehme ich mir vor, in Zukunft bewusster auf meinen Zuckerkonsum zu achten und im Supermarkt öfter einen Blick auf die Inhaltsstoffe – insbesondere bei Fertigprodukten – zu werfen. Doch jetzt gibt es erstmal eine erfrischende Cola zum Mittagessen.

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