Essen. Peer Martins neues Jugendbuch „Blut und Schokolade“ über Kinderarbeit beim Kakaoanbau. Eine spannende Geschichte, die wachrüttelt.

Das Buch erinnert an eine Schachtel Pralinen: kakaobraun mit weißen Verzierungen wie aus Zuckerguss. „Schokolade“ steht verführerisch auf dem Deckel. Schaut man jedoch genau hin, sieht man auf einmal rote Spritzer. Und dann erkennt man den ganzen Titel: „Blut und Schokolade“.

Schokolade ist Trost, Schokolade ist süß. Doch sie bekommt einen bitteren Beigeschmack, wenn man darüber nachdenkt, unter welchen Bedingungen Kakao angebaut wird. Der Jugendbuchautor Peer Martin hat darüber nachgedacht. Und ausführlich recherchiert. In seinem neuen packenden Roman prangert er Kinderarbeit an.

Ausgezeichnet mit dem Jugendliteraturpreis

Peer Martin möchte erneut wachrütteln. Er ist der Autor von „Sommer unter schwarzen Vögeln“. Das Buch über Rassismus in Deutschland, über einen Nazi-Jungen und ein Flüchtlings-Mädchen, die sich kennen und lieben lernen, hat die Jugendjury des Deutschen Jugendliteraturpreises 2016 zu Recht zum besten Roman des Jahres gekürt.

Aungen und Mädchen müssen nicht nur auf der Kakaoplantage der Eltern mithelfen. Es gibt in Westafrika Kinderhandel, sie werden verschleppt und zur Arbeit gezwungen.  
Aungen und Mädchen müssen nicht nur auf der Kakaoplantage der Eltern mithelfen. Es gibt in Westafrika Kinderhandel, sie werden verschleppt und zur Arbeit gezwungen.   © NDR/Henrik Ipsen, U. Roberto Rom | Handout

Auch dieses Mal beginnt Peer Martin mit Vorurteilen: Manal, Tochter einer schwarzen Mutter und eines weißen Vaters, ärgert sich, wenn man ihre Haut als „dunkle Vollmilch“ beschreibt. Auf der Suche nach ihren Wurzeln reist die 18-Jährige von Berlin nach Westafrika, wo ihr Onkel und ihre Tante leben. Aber auch dort spürt sie das Anderssein: „In Deutschland war sie aufgefallen, weil sie dunkler war als die anderen. Hier war sie heller.“

Auf der kleinen Farm in der Elfenbeinküste baut ihr Onkel neben Gemüse auch Kakao an, ohne den Urwald dafür zu roden. Er warnt sie, nicht zu nahe an eine benachbarte Plantage zu gehen, auf der unweit seiner Farm andere Regeln gelten: Dort arbeiten Kinder unter sklavenähnlichen Bedingungen, der Kakaobauer ist auf billige Arbeitskräfte angewiesen. Doch Manals Neugier ist größer. Und so lernt sie den gleichaltrigen Issa kennen. Er arbeitet freiwillig auf der Plantage, um seinen jüngeren Bruder zu befreien. Yaya wurde als kleiner Junge verschleppt.

Ein Mädchen aus Europa könnte helfen

Peer Martin erzählt abwechselnd aus Manals und aus Issas Perspektive. Der junge Mann wird zum Vorbild der Kinder auf der Plantage, er weckt bei ihnen Träume von einem Leben hinter dem Zaun. Aber wovon sollen sie leben, wenn sie flüchten? Werden sie verhungern? Und wie soll ihnen bei dem Zaun und den scharfen Hunden überhaupt eine Flucht gelingen? Aber der Wunsch nach Freiheit ist für viele größer als die Angst. Außerdem ist da ja auch noch das Mädchen Manal aus Europa, das ihnen helfen könnte. . .

Peer Martin, Autor von „Blut und Schokolade“.
Peer Martin, Autor von „Blut und Schokolade“. © Catherine Martin | Catherine Martin

Der studierte Sonderpädagoge Peer Martin, 1968 in Hannover geboren, lässt seine Erfahrungen aus der Jugendarbeit in Berlin und Vorpommern einfließen. Er weiß, wie junge Menschen ticken, was sie bewegt, in welchem Gefühlswirrwarr Teenager stecken. Das ist in allen Dialogen und inneren Monologen seiner Figuren spürbar. So begleitet er die Jugendlichen in seinem Roman sehr authentisch auf der Suche nach ihrer Identität.

Die Menschen in der Geschichte sind Peer Martins Fantasie entsprungen – und doch stehen sie für rund 1,5 Millionen Kinder, die in Westafrika im Kakaoanbau arbeiten, wie eine Untersuchung der Universität in Chicago im Jahr 2020 ergeben hat. Die Jungen und Mädchen müssen nicht nur beim Familien-Anbau helfen, sie werden verschleppt, an Plantagenbesitzer verkauft, zur Arbeit gezwungen.

Tiefgründig und spannend

Peer Martin gelingt es erneut, ein schweres Thema anzupacken, ohne dass sich seine Leserinnen und Leser schwer fühlen. Im Gegenteil. Die Geschichte übt einen starken Sog aus, man mag das spannende Buch kaum aus der Hand legen. Es ist eine politische Geschichte, in der er neben den unmenschlichen Arbeitsbedingungen auch die Umweltschäden durch den Urwald-Raubbau kritisiert.

Der Autor zeigt, dass es keine einfachen Lösungen für die vielen Probleme gibt. Er schildert auch in Rückblicken die Geschichte der Sklaverei. Und zudem ist das Buch schlichtweg ein fesselnder Abenteuer- und Liebesroman. Diese gelungene Mischung macht „Blut und Schokolade“ zu einem der besten Jugendbücher, die in letzter Zeit erschienen sind.

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Der Griff zum nächsten Stück Schokolade wird nach dieser Lektüre nicht mehr unbeschwert sein. Peer Martin lässt einen Plantagenbesitzer sagen: „Der Weltbedarf an Kakao steigt. Die Europäer fressen Schokolade wie die Wahnsinnigen, sie sind im Grunde wie die Jungs hier, sie fressen und fragen nicht.“ Der Autor macht sehr deutlich: Die Menschen in Europa beeinflussen mit ihrer Wahl am Süßigkeitenregal, wie die Zukunft des Anbaus und damit der Kinder aussehen wird: Schauen sie nur auf den Preis oder kaufen sie den süßen Trost hergestellt aus fair geerntetem Kakao?

Peer Martin: Blut und Schokolade, Dressler Verlag, 477 S., 20 €, ab 14

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