Vier Ermittler aus dem Seniorenheim sind die neuen Krimi-Lieblinge. Was Sie über den „Donnerstagsmordclub“ wissen sollten.
Neulich erst ist Richard Osman von Sue angesprochen worden, einer guten Freundin seiner Mutter Brenda. Also, habe Sue gesagt, in ihrem Dorf gebe es da diese Konzerthalle. Wunderschön, gern besucht. Ein Bauunternehmer wolle daraus aber nun Wohnungen machen. Really? Really. „Sie sagte mir, dass sie das für ein gutes Motiv für einen Mord halten würde“, erzählt der 52-Jährige Brite. Und Peggy, eine weitere Freundin seiner Mutter und offenbar auch mit Sue gut bekannt, hat auch schon eine Idee für den Modus Operandi. Da sei doch dieser hohe Balkon in der Konzerthalle. Wie schnell kann da jemand hinunterfallen. Ob er damit vielleicht etwas anfangen könne?
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Kann Osman noch nicht sagen. Grundsätzlich aber ist er von der Mordlust der alten Damen begeistert. „Ich finde es toll, dass die Freundinnen meiner Mutter jetzt alle zusammensitzen, plaudern, tratschen und Morde planen!“ Denn genau das macht Osman seit einigen Jahren auch. Literarisch versteht sich. Er schreibt nämlich die Krimi-Reihe „The Thursday Murder Club“, auf Deutsch „Der Donnerstagsmordclub“.
„Der kluge Mann mit der Brille“
Der erste Teil verkauft sich vor drei Jahren mehr als 100.000 Mal. Allein in der ersten Woche, wohlgemerkt. Mittlerweile hat er von seinen ersten drei Büchern rund sieben Millionen Exemplare verkauft, auch in Deutschland stürmten alle Bände die Verkaufscharts. Ja, das sei wohl „erfolgreich“, räumt Osman mit typisch britischem Understatement ein. Sein britischer Verlag ist da weniger zurückhaltend und zitiert gern die Euphorie eines nicht näher benannten Buchhändlers: „So etwas haben wir seit ,Harry Potter‘ nicht mehr erlebt.“ Und das mit Büchern, in denen die Helden Senioren jenseits der 70 sind.
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Anders als JK Rowling ist Osman bei Erscheinen des ersten Buches in seiner Heimat längst ein Star durch seine TV-Präsenz. Im stets freundlichen Plauderton führt er Promis und Nicht-Promis durch diverse Quiz-Shows. Ein wenig ist er wie der Günther Jauch der BBC – nur mit 2,03 Meter viel größer als der RTL-Moderator. „Der kluge Mann mit der Brille“ nennt ihn die Presse auf der Insel, auf der auch Richards Bruder Mat eine bekannte Größe ist. Er spielt den Bass in der Band Suede.
Was für die meisten Briten eine ganz neue Seite an Osman ist, ist für den Autor selbst eine Rückkehr zu seinen Wurzeln. „Ich war schon immer ein Schriftsteller: „Lange bevor ich auf der Leinwand zu sehen war, habe ich Comedy für das britische Fernsehen geschrieben.“ Und Krimis, sagt er, hat er schon immer geliebt. „Ich wusste, dass ich mich eines Tages auch darin versuchen wollte.“ Die Idee zum Donnerstagsmordclub entstand bei einem Besuch im Altersheim meiner Mutter in Sussex. „Da ist es so friedlich und wunderschön, dass man sich wie in einem Agatha-Christie-Roman vorkommt.“ Mithin: Der perfekte Ort für einen klassischen englischen Mord, denn: „Je friedlicher eine Gemeinschaft ist, desto gefährlicher wird es. Und die Menschen, die in der Senioren-Residenz leben, haben so unglaubliche Fähigkeiten, dass ich dachte, wenn es einen Mord gäbe, könnten sie alle zusammenarbeiten, um ihn zu lösen. So wurde der Club geboren.“
Humor und Spannung halten sich die Waage
Erste Leserin des Buches ist damals Mutter. Nicht dass der Sohn einen ihrer echten Nachbarn erwähnt oder – Gott bewahre – zum Täter oder Opfer gemacht hat! Hat er nicht. Seitdem ist Frau Mama begeistert. Und mit ihr Millionen Leser in 43 Ländern.
Schauplatz der Reihe ist die Seniorenresidenz „Coopers Chase“ in der Idylle von Kent. Dort lernen sich seine Protagonisten kennen. Zwei Männer und zwei Frauen. Mit wenigen Erwartungen aber ganz vielen Erfahrungen. Ein Bein im Grab, mit dem anderen stets bereit, das Böse in den Allerwertesten zu treten. Da ist Elizabeth, die früher für den Geheimdienst MI5 gearbeitet hat. Clever und immer noch mit zahlreichen Kontakten, von denen sie Gefallen einfordern kann. Joyce ist auf den ersten Blick genau das Gegenteil. Ehemalige Krankenschwester, manchmal ein bisschen verwirrt, etwas naiv, redet ohne Unterlass. Jemand, den man gerne unterschätzt. Was das Dümmste ist, das man machen kann.
Kluge Dialoge und Situationskomik
Und dann ist da Ibrahim, Psychiater und Geistesmensch mit immer noch enormem Gedächtnis und extrem großem Wissen. Der Letzte im Bunde ist Ron, der ehemalige Gewerkschafter. Einer, der handelt, statt lange zu reden. Früher ein Hallodri, heute immer noch ein Schlitzohr, dem Gerechtigkeit wichtiger ist als das Recht. Jeder ist auf seine Weise exzentrisch, wenn nicht gar schrullig, verliert sich dabei aber nicht in den üblichen Klischees. Und weil Osman es nicht auf Biegen und Brechen darauf anlegt, unterhaltsam zu sein, ist er es am Ende umso mehr. Kluge Dialoge wechseln immer wieder mit Situationskomik.
Und bei allem Humor wird es doch spannend. Trotzdem klingen vier Rentner auf Mörderjagd, natürlich erst einmal nach Cozy Crime, nach behäbigem, ziemlich harmlosem Kuschelkrimi. Doch der Donnerstagsmordclub ist mehr. Kein klassischer Thriller, bisher zumindest ohne Psychopathen als Mörder aber durchaus mit Action gewürzt. Denn ungeachtet aller Idylle sind die Fälle keine Landkrimis. In Band 2 „Der Mann, der zweimal starb“ (List, 448 Seiten, 16,99 Euro) etwa geht es gegen die Mafia ebenso wie gegen Verräter in den Reihen der eigenen Geheimdienste. Da fliegen Fäuste und Kugeln.
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Und meistens bleibt es nicht bei einem Toten. Dafür bleibt es weitgehend glaubwürdig, weil die Welt der Senioren-Ermittler keine heile ist und sie auch keine Superhelden sind. Hier schmerzt der Rücken, da schwindet die Erinnerung, und manch alter Weggefährte des Quartetts stirbt eines natürlichen Todes. Klar, sagt Osman, alles Fiktion, „aber man darf die Realität ja nicht völlig außen vor lassen.“
Die Romane werden gerade verfilmt
Während in Deutschland gerade erst Band 3 „Der Donnerstagsmordclub und die verirrte Kugel“ erschienen ist, sitzt Osman, der Fan des FC Fulham ist, längst an einem neuen Abenteuer: „Oben im Haus, in einem ruhigen Zimmer.“ Rund 1000 Wörter am Tag, nur in Gesellschaft von Katze Liesl und immer früh am Morgen. Denn beim Fernsehen ist Osman immer noch. „Der Terminkalender ist voll.“ Er könnte sogar noch voller werden. Denn wie nicht anders zu erwarten, werden die Abenteuer des Donnerstagsmordclubs verfilmt. Im Herbst sollen die Dreharbeiten beginnen. Aber da will der Schriftsteller sich heraushalten. Denn der Mann hinter der Kamera kennt sich aus. „Ich denke, Steven Spielberg weiß mehr darüber, wie man einen Film macht als ich.“
Wie viele Bücher der Reihe es noch geben wird, kann der Sohn einer Grundschullehrerin noch nicht sagen. „Ich habe viele Ideen, wie es mit der Gruppe weitergeht, und werde ihre Geschichte so lange weiterschreiben, wie es eine zu erzählen gibt“, verspricht er. Und falls ihm wirklich irgendwann nichts mehr einfällt – Sue und Peggy hätten wahrscheinlich noch ein paar Vorschläge.
Richard Osman: „Der Donnerstagsmordclub und die verirrte Kugel“ List, 432 Seiten, 17,99 Euro
Dies ist ein Artikel aus der Digitalen Sonntagszeitung.
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