Duisburg. Ein Duisburger Notar vermittelte einst zwischen den verfeindeten nordirischen Bürgerkriegsparteien – in zähen Verhandlungen und mit Erfolg.

Zu den erstaunlichsten Geschichten des Ruhrgebiets, die selten erzählt werden, gehört die Geheimdiplomatie des Duisburger Rechtsanwalts und Notars Eberhard Spiecker (1931-2017). Spiecker war ein gefragter Unterhändler, der in den 70er- und 80er-Jahren zwischen den bis aufs Blut verfeindeten nordirischen Bürgerkriegsparteien vermittelte und dabei eiserne Diskretion wahrte. Was lange Zeit niemand wusste: Am 14. und 15. Oktober 1988 trafen sich im Lokal „Angerhof“ im Süden Duisburgs politische Vertreter von nordirischen Protestanten und Katholiken zu streng geheimen Gesprächen. Von ihnen sagte der spätere nordirische First Minister und Friedensnobelpreisträger David Trimble, dass dadurch der Friedensprozess in der britischen Krisenprovinz erst begonnen habe.

Absolute Verschwiegenheit

Eberhard Spiecker
Eberhard Spiecker © WAZ | BLOSSEY, Hans

Dass Spiecker erst viele Jahre danach über die Vorgänge sprach, liegt an seiner absoluten Verschwiegenheit. Sie ließ ihn zu einem vertrauenswürdigen Gesprächspartner der Todfeinde werden – in einem blutigen Bürgerkrieg, der über 25 Jahre die Welt in Atem hielt und mehrere Tausend Menschenleben forderte. Doch wie schaffte es ein Duisburger Jurist, die politischen Führer aus Belfast und Londonderry an einen Tisch zu bekommen? Wer Spieckers Biographie liest, findet rasch die Antwort. Das Bemühen um Ökumene, um gemeinsames politisches Handeln verschiedener christlicher Konfessionen in bestimmten kirchlichen Situationen, zog sich wie ein roter Faden durch sein Leben. Der praktizierende Protestant, der viele hohe Ämter innerhalb der evangelischen Kirche bekleidete, gründete Anfang der 60er- Jahre den Ökumenischen Gesprächskreis Duisburg-Hamborn, aus dem später das erste Brüdermahl hervorging. Dieses Treffen war eine willkommene Gelegenheit zum Gedankenaustausch, die bald von hohen Kirchenführern genutzt wurde.

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Der damalige Ruhrbischof Dr. Franz Hengsbach war schon bei der Gründung dabei, weitere bekannte Namen waren Generalsekretär Willem Visser’t Hooft, Genf, und Augustin Kardinal Bea, Rom. 1973 nahmen erstmals zwei irische Kirchenführer teil. Den Anstoß dazu gab ein Kaplan von der Grünen Insel, der damals bei den Prämonstratensern in der Hamborner Abtei lebte. Als Spiecker 1975 den Irlandbesuch einer evangelisch-katholischen Kirchendelegation organisiert hatte, wurden die verfeindeten Lager auf ihn aufmerksam. Die Qualitäten des Duisburgers hatten sich herumgesprochen. 1978 bat ihn der Generalsekretär des Irischen Kirchenrates um politische Vermittlerdienste.

Was folgte, war Geheim- und Pendeldiplomatie in Reinkultur: Spiecker im Vatikan, in Belfast und beim damaligen EU-Präsidenten Gaston Thorn, für den er später Sondierungsgespräche in Irland führte. Auch die ranghöchsten irischen Kirchenführer fanden 1987 den Weg nach Duisburg, um die Lage zu sondieren.

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Spiecker vereinbarte eine Kampfpause

Dass die Geheimkonferenz im Oktober 1988 überhaupt stattfinden konnte, war umso erstaunlicher, als die IRA drei Monate zuvor einen Bombenanschlag auf die Glamorgan Barracks verübt hatte, eine Kaserne der Britischen Rheinarmee im Duisburger Süden. Neun Soldaten wurden dabei leicht verletzt.

Spiecker ließ sich dadurch nicht entmutigen, vereinbarte mit der IRA im Jahre 1990 Einstellungen der „Kampfhandlungen“ gegen britische Einrichtungen auf deutschem Boden und 1993 für den europäischen Kontinent. Es sollte aber noch fast zehn Jahre dauern, bis die seit Generationen verfeindeten Iren zu einer Art Vorfriedensschluss gelangten. Die IRA verkündete 1997 den Waffenstillstand, und im Sommer 2005 erklärte sie den bewaffneten Kampf für beendet. Dass der Frieden bis heute hält, ist auch Spieckers Verdienst.

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Ein Höhepunkt für Spiecker und Duisburg war sicher das Brüdermahl 1999, an dem auch einer der mächtigsten Männer der Katholischen Kirche teilnahm: Es war Joseph Kardinal Ratzinger, der damalige Präfekt der römischen Glaubenskongregation. Knapp sechs Jahre später wurde er als Papst Benedikt XVI. zum Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche gewählt. Er verzichtete am 28. Februar 2013 auf sein Amt und starb am Silvestertag 2022.

Dies ist ein Artikel aus der Digitalen Sonntagszeitung. Die Digitale Sonntagszeitung ist für alle Zeitungsabonnenten kostenfrei. Hier können Sie sich freischalten lassen.Sie sind noch kein Abonnent? Hier geht es zu unseren Angeboten.