Ruhrgebiet. Im Ruhrgebiet und in der Region gibt es viele Traditions-Cafés, die unsere Kaffeehauskultur geprägt haben. Ein Überblick.
Allein schon das Wort „Kaffeehaus“! Da schwelgt man gleich in Vorstellungen von Wien zu seinen glanzvollen Zeiten, zwischen Genuss und geistiger Ergötzung, zwischen Kaffeeduft, plüschiger Gemütlichkeit und stilvoller Erhabenheit, man denkt ans Sacher, ans Hawelka oder ans Residenz.
Eine Begeisterung, die sich mit gewissen Abstrichen auch auf nordrhein-westfälische Breiten übertragen lässt. Das können Sie nicht glauben? Dann sollten Sie vielleicht einen Blick riskieren ins Buch „Cafés in Nordrhein-Westfalen: Von 1700 bis heute“, das sich den oftmals stiefmütterlich vernachlässigten Herzstücken unserer Innenstädte widmet.
Überblick zu aktuellen und vergangenen Cafés im Ruhrgebiet
In dem gut 360 Seiten starken Band haben der Autor René Zey und der Fotograf Dieter Sawatzki den sicherlich detailreichsten und liebevollsten Überblick zu aktuellen, aber auch längst vergangenen Cafés in unserer Region geschaffen, den man finden kann.
Die Leidenschaft für das Thema treibt die beiden schon seit den 1980er-Jahren um, als sie zwischen Duisburg und Dortmund so ziemlich jede Stadt bereisten, dem Klimpern der Kaffeelöffel und dem Klirren der Kuchengabeln lauschten und letztlich das damals noch selbstverlegte Buch „Die schönsten Cafés im Ruhrgebiet“ herausbrachten.
Kaffeehäuser im Ruhrgebiet: Overbeck in Essen
Dabei entstand die Leidenschaft fürs Thema bei Sawatzki zunächst gar nicht im Ruhrgebiet oder in Wien. „Ich hatte eine französische Freundin, sie wohnte in Paris. Deshalb war ich jedes zweite Wochenende dort und habe immer diese unglaublich tollen Cafés gesehen. Vorher, als Student, bin ich eigentlich nicht ins Café gegangen. Aber dann habe ich angefangen, auch hier im Ruhrgebiet ins Café zu gehen. Da gab es ja noch diese schönen Kaffees von Overbeck in der Essener Hauptpost und auf der Kettwiger Straße. Die haben ein echt tolles Flair gehabt, große Klasse, mit Wandteppich und schönem Dekor“, erzählt Sawatzki, der damals die Illustrationen für die Gedichte von René Zey machte. „Und so haben wir angefangen, uns dafür zu interessieren und waren seitdem ein Gespann.“
Es war die Zeit, in der man eigentlich von jungen Menschen erwartet hätte, dass sie sich nicht so gern in angegilbten Oma-Cafés mit ihrem damals schon leicht staubigen Charme herumtreiben, sondern in den neonröhrenbeleuchteten Szene-Cafés der allzu coolen 80er. Aber die Autoren konnten diese scheinbare Widersprüchlichkeit wunderbar verbinden.
„Abends war man etwa im ,Panoptikum‘ in Essen oder wie es früher hieß, aber tagsüber haben wir uns als architekturbegeisterte Menschen auch aus optischen Gründen schon für die klassischen Cafés interessiert. Viele von ihnen waren ja auch sehr schön gestaltet, das sieht man ja auch auf den alten Fotos, die ich gemacht habe. Leider ist da nicht viel von übrig geblieben“, sagt Sawatzki.
Weiter über den Kuchentellerrand haben Zey und Sawatzki natürlich auch geschaut: „Was mich an den Wiener Cafés fasziniert hat, ist so ein Riesen-Saal mit 100 Stühlen, wo dann die Kellner durch so eine Schwingtür raus und rein rennen mit weißen langen Schürzen. Das fand ich einfach klasse.“
Klassische Cafés der Region: Overbeck, Bittner und Profittlich
Auch wenn viele klassische Cafés der Region wie Overbeck in Essen, Bittner in Düsseldorf, Profittlich in Wanne-Eickel längst Geschichte sind und bestenfalls nostalgische Erinnerungen wecken, gibt es noch viele Adressen, die einen trotz oftmals ordentlicher Modernisierungen sofort wieder eintauchen lassen in eine Zeit, die man eigentlich vergangen wähnte – und sei es wegen der sahnigen Cremigkeit der dort dargebotenen Torten.
Da wäre das Duisburger Caféhaus Dobbelstein, das an der Königstraße und am Sonnenwall die Kaffee- und Kuchenliebhaber entzückt und das auf eine Geschichte bis ins Jahr 1858 zurückblicken kann. Im Buch geht es sogar noch weiter zurück in die Tiefen der Konditorei-Geschichte des Ruhrgebiets, wenn man sich etwa das Mülheimer Stadtcafé Sander anschaut, das bis heute im Kohlenkamp beheimatet ist – eben dort, wo der Gründer Georg Sander am 22. Mai 1714 geboren wurde – und im Jahr 1760 endlich seine Bäckerei an ebendieser Stelle eröffnen konnte, freilich nur als Nebenerwerb.
Um die Familie zu ernähren, musste er „noch einige Jahre in den Pütt einfahren“, wie René Zey beschreibt. Anno dazumal war auch die Auswahl noch arg beschränkt. „Neben einer geringen Anzahl an Brotsorten gab es nur eine Handvoll trockener Mehlbackwaren. Zusammen mit seinem am 7. Juli 1760 geborenen Sohn Dietrich erweiterte Georg Sander jedoch die Produktion und stellte Pfefferkuchen und Zuckerwaren her.“
Ursprünge der Kaffeehaustradition in NRW
Die Ursprünge der Kaffeehaustradition in Nordrhein-Westfalen reichen ebenfalls zurück bis ins Jahr 1715, als in Köln die ersten Kaffeeschenken eröffnet wurden, die noch weit von Pracht und Gemütlichkeit der späteren Epochen entfernt waren.
Zey: „Ein von Rauch geschwärztes Zimmer bildete den Caféraum. Das Mobiliar wirkte dürftig und der Kaffee war kaum genießbar.“ Was für ein Skandal! Zumindest aus der Perspektive der von heutigen Gourmet-Sorten wie dem Jamaica Blue Mountain oder dem berühmt-berüchtigten Kopi Luwak verwöhnten Gaumen. Aber es waren halt andere Zeiten.
Den Wandel dieser Zeiten beleuchten Zey und Sawatzki kenntnis- und anekdotenreich. Sie führen zurück zu den Konzertcafés der 1910er-Jahre, als Tanzkapellen etwa im Dortmunder Café Wintergarten aufspielten und wo in den 1920er-Jahren im Café Corso auch Rundfunkübertragungen mit den musikalischen Größen dieser Zeit veranstaltet wurden – in eben jenem damals noch neuen und sensationellen Medium namens Radio.
Essener Hotel Handelshof: Café mit Filmkulisse
Auch die Zeit des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs mit seinen unrühmlichen Kapiteln klammern Zey und Sawatzki natürlich nicht aus. Sie entdecken dabei auch längst vergessene Prachtstücke wie das fast vergessene Café Blau im Essener Hotel Handelshof mit einem in den 1920er-Jahren gewiss futuristisch anmutenden Kuppelraum, in dem man sich auch die Hauptdarsteller aus dem Film „Metropolis“ hätte vorstellen können.
Dass viele der altehrwürdigen Adressen die Jahrzehnte nicht überstanden haben, liegt wohl in der Natur der Dinge, denn viele Traditionshäuser sind vom Zeitgeist und vom Publikumsgeschmack abhängig.
„Ich glaube, dass einfach vielen Cafés das Publikum ausgestorben ist. Beim Digitalisieren der ganzen alten Fotos, die ich in den 80er-Jahren gemacht habe, ist mir auch wieder aufgefallen: Da sind ja damals schon fast nur alte Leute drauf gewesen.“
Kaffee-Trends: Pottschwarz, Coffee Pirates und McCafé
Dass Kaffee dennoch ein Thema ist, das heute jünger und facettenreicher ist als noch vor einigen Jahrzehnten, belegen Zey und Sawatzki in ihrem Buch ebenfalls.
Sie gehen auf vergleichsweise junge Themen wie das Ketten-Café „Extrablatt“ und seine Ableger ein, auf die Eröffnung der ersten Starbucks-Filiale in Deutschland im Jahr 2002 und die Fastfoodisierung durch McCafé – sowie auf den Trend zu Spezialitäten-Kaffeeröstereien wie den „Coffee Pirates“ in Essen-Rüttenscheid oder „Pottschwarz“ in Mülheim-Saarn, die ihren ganz eigenen Charme entwickelt haben.
Nicht nur für Café- und Kaffee-Liebhaber ist aus der Leidenschaft von Zey und Sawatzki ein schwelgerischer Band entstanden, der bei beinahe jedem die zarte Erinnerung an seine ersten romantischen Begegnungen bei einem großen, heißen Milchkaffee wecken dürfte – auch wenn man ihn heute vielleicht eher mit Sojamilch bestellt.
Alle Infos zum Buch
René Zey / Dieter Sawatzki: Cafés in Nordrhein-Westfalen: Von 1700 bis heute, Aschendorff Verlag, 360 Seiten, 24,80 €