Essen. Niemand mag Menschen, die sich oft beschweren. Dabei lässt sich das Bekunden von Missmut auch kreativ nutzen – sagt eine Essener Expertin.
„Grüner wird’s nicht!“, „Das Gas ist rechts!“, „Schattenparker!“, „Parkhausblinker!“. Eine ganz gemütliche Autofahrt durch die Innenstadt kann im Falle mancher Zeitgenossen ein ganzes Schimpfwortlexikon füllen.
Und dann gibt es noch die spezielle Art von Nörglern, die brauchen noch nicht einmal ein Auto, um ganze Schwälle schlimmer Schimpfworte herabprasseln zu lassen. Ja schlimmer noch, die brauchen nicht einmal ein Publikum.
Essener Expertin erklärt die Welt der Nörgler, Miesepeter und Stinkstiefel
Willkommen in der Welt der Nörgler, Miesepeter, Griesgrame, Stinkstiefel und Grantler… Niemand mag sie gern, so denkt man zumindest, und niemand glaubt, dass sie sich wohlfühlen mit sich selbst und mit der Welt. Aber stimmt das so? Notorische Nörgelei kann durchaus positive Seiten haben, eine Art seelischer Hausputz sein – vorausgesetzt, man macht es auf die richtige Art.
Dabei ist es uns doch im wahrsten Sinne angeboren, unseren Unmut zu äußern: Der erste Schrei eines Neugeborenen ist ja keiner des Entzückens. Und in den ersten Lebensjahren ist genau dies die einzige Möglichkeit, unserer Umwelt anzuzeigen, dass etwas nicht in Ordnung ist, also die Windel voll oder der Magen leer ist.
Studien zeigen: Menschen beschweren sich bis zu vier Mal täglich
Kein Wunder also, dass der Mensch kein Problem damit hat, sich zu beschweren, Studien schätzen, dass wir es am Tag mindestens vier Mal tun. Andere kommen noch auf viel höhere Werte.
Im Gegensatz zur Schimpfwortforschung, die es schon seit den 1970er-Jahren gibt und unter dem schönen Fachwort Malediktologie die Vielfalt und Reichhaltigkeit der Schimpfausdrücke oberhalb und unterhalb der Gürtellinie sammelt, ordnet und kategorisiert, ist das Nörgeln von der psychologischen Seite her vergleichsweise wenig untersucht.
Psychologin unterscheidet drei Formen der Nörgelei
Die US-amerikanische Psychologin Robin Kowalski aus South Carolina hat sich mit dem für andere Forscher vielleicht viel zu alltäglichen Phänomen auseinandergesetzt und unterscheidet in ihrer Untersuchung drei Formen der Nörgelei: Das instrumentelle Sichbeschweren, bei dem es vor allem darum geht, ein Problem zu lösen und aus der Welt zu schaffen.
Wenn also mal wieder der Keller entrümpelt oder der Rasen gemäht werden muss, das Laub gefegt oder der Schnee geschippt, ist es durchaus sinnvoll sich zu beschweren – und am Ende kommt in einer Partnerschaft hoffentlich eine gute Lösung des Problems heraus. Kowalski stellt fest, dass etwa ein Viertel der Beschwerden dieser Art zuzurechnen ist.
Essener Expertin erklärt den Grund von schlechter Laune
Dass man an einer Veränderung schlechter Zustände interessiert ist und deshalb nörgelt, kann Andrea Gerk bestätigen, in Essen geborene Radiojournalistin und Autorin des Buchs „Das Lob der schlechten Laune“. „Die Philosophen und Psychologen, mit denen ich gesprochen habe, sagen meist, dass der Grund von schlechter Laune ist, dass man unzufrieden ist mit den Zuständen und dass man eigentlich etwas ändern will.
Und das ist auch der Antrieb, um so etwas wie Kunst, Literatur oder Wissenschaft zu betreiben. Man glaubt, dass man etwas verbessern will. Und der Philosoph Wilhelm Schmid sagte mir: Wenn man vollkommen mit allem einverstanden ist, dann legt man sich in die Hängematte und isst ein Eis. Aber man fängt dann nicht an, irgendwie die Kunstwelt oder die Wissenschaft zu revolutionieren. Man weiß es ja von sich selbst: Wenn es einem rundum gut geht, macht man in der Regel nichts.“
Teufelskreis: Beim Nörgeln wird Stresshormon ausgeschüttet
Aber es gibt auch eine schlechte, unproduktive Form des Sichbeschwerens, wie Robin Kowalskis Studie ausführt, das ist das chronische Nörgeln, das ohne die Absicht auf Problemlösung und ohne Adressaten daherkommt, als unablässiges Hadern mit der Welt.
Es führt dazu, dass mehr vom Stresshormon Kortisol ausgeschüttet wird, was wiederum das Glückshormon Serotonin blockiert. Der Nörgler fühlt sich also noch schlechter durch sein Verhalten – und hat dadurch einen zusätzlichen Grund, weiter zu nörgeln. Was mitunter in einen Teufelskreis mündet: Man nörgelt und fühlt sich durch die ausgeschütteten Hormone so schlecht, dass man erneut nörgelt usw.
Expertin sicher: Nörgeln kann auch einen Zweck erfüllen
Und dann gibt es noch jenen dritten Typ, der einfach von Zeit zu Zeit mal Dampf ablassen muss. Er beschwert sich bei den umstehenden Personen, die mitunter gar nicht dazu beitragen können, sein Problem zu lösen: Wer gerade vor Ort ist, muss den Missmut ertragen.
Doch auch diese Art der Nörgelei erfüllt ihren Zweck: Derjenige lässt seine Emotionen wie durch ein Überdruckventil ab – und erntet von seinem Gegenüber vielleicht sogar noch „Anerkennung, Sympathie, Aufmerksamkeit und Wertschätzung“, so Kowalski in der Zeitschrift „Psychologie heute“.
Regionale Unterschiede: Bayern fluchen anders als Friesen
Timothy Jay, ebenfalls US-amerikanischer Psychologe aus Massachusetts, stellt in seiner Untersuchung „Why We Curse“ zudem fest, dass die Art, wie wir schimpfen, fluchen und nörgeln abhängig ist von dem, was wir beim Aufwachsen gelernt haben, wo wir groß geworden sind – und in welcher Gesellschaft wir leben.
So fluchen religiös aufgewachsene Menschen anders als welche ohne religiösen Hintergrund. Auf deutsche Verhältnisse übertragen, fluchen Bayern („Kurzefix!“, „Himmisakra!“) anders als Friesen („Döspaddel!“, „Smeerlapp!“).
Ländervergleich: Deutsche nörgeln besonders gerne
Wir Deutschen gelten allgemein als besonders eifrig darin, unser Missfallen laut zu äußern. Die Studie ist zwar schon ein paar Jahre alt, aber 2009 kam eine Untersuchung mit Flugpassagieren verschiedener Nationalitäten zum Schluss, dass die Deutschen diejenigen sind, die sich im Flieger am häufigsten beschweren.
Der Hamburger Psychologe Michael Thiel, Co-Autor des Buchs „Deutschland, einig Jammerland“, findet für die „grundsätzliche Unzufriedenheit“ und „innere Angst“ vieler Deutscher eine historische Erklärung. In der mittelalterlichen Gesellschaft seien viele Menschen unfrei gewesen, weil sie in Leibeigenschaft gelebt hätten. Auch die Erfahrungen zahlreicher Kriege wie dem 30-jährigen Krieg und der beiden Weltkriege hätten dazu geführt, dass das Sichbeschweren kulturell weitergegeben wurde.
Expertin aus Essen übers Nörgeln: Nicht die Ruhe bewahren
Dabei sind Beschwerden etwas ganz Alltägliches, schließlich gibt es in vielen großen Unternehmen ein Beschwerdemanagement, das sich mit den Anliegen der Kunden auseinandersetzt – und diese werden oft genug in berechtigter Nörgelform vorgetragen.
„Leute in Callcentern bekommen ja beigebracht, dass sie die Ruhe bewahren und möglichst alles an sich abperlen lassen sollen. Aber das funktioniert natürlich nicht und macht schon was mit dem Emotionshaushalt der Mitarbeiter“, sagt Autorin Andrea Gerk.
Nörgel-Expertin aus Essen: Gründe des Nörgelns bewusst machen
Sie hat die Erfahrung gemacht: Wenn man selbst darüber nachdenkt, dass man schlecht gelaunt ist und warum man nörgelt, dann verfliegt die schlechte Laune schnell wieder. Und manchmal lässt sich der angestaute Unmut auch kreativ nutzen.
Gerk: „Ich habe eine Künstlerin kennengelernt, die Schimpfwörter stickt. Sie hat schon zweieinhalbtausend Schimpfwörter zusammenbekommen. Sie sagt: Wenn ich schlecht gelaunt bin, sticke ich einfach wieder so ein Schimpfwort – und dann geht es mir gleich besser. Das ist irgendwie auch eine sehr kreative Art, damit umzugehen.“