Essen. Gibt es den gerechten Krieg? Und: Darf man schwere Waffen an die Ukraine liefern? Die Kirchen tun sich schwer, mit eindeutigen Antworten.
Die Kirchen in Deutschland, die katholische ebenso wie die evangelische, ringen seit dem Ausbruch des Ukraine-Krieges um eine klare Haltung zu Fragen um Kriegshandlungen und Waffenlieferungen. Wohl keine andere Persönlichkeit der Amtskirche in Deutschland hat ihren inneren Kampf, ihre Zerrissenheit, ihr Abwägen zwischen dem christlichen Gebot der Gewaltlosigkeit und dem zivilisatorischen Recht auf Selbstverteidigung so öffentlich mit sich selbst ausgetragen wie die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus – in Predigten ebenso wie in Interviews und Medienbeiträgen. Für die Theologin gleicht die Debatte einer Gratwanderung, die sie spürbar im Innersten aufwühlt.
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„Viele möchten – weil sie schwer aushalten, dass alles so kompliziert ist – gern einfache und klare Antworten, am besten im Ja-Nein-Schema. Ich mache da nicht mit“, sagte Kurschus jetzt unserer Redaktion. Die Kirche trage eine andere Verantwortung als etwa die Politik. Kurschus: „Wir können und wir müssen es uns leisten, von dem zu reden, was Politiker und Politikerinnen schwer können: von den Dilemmata, von der Ambivalenz vermeintlich eindeutiger Entscheidungen, vom Frieden, der höher ist als unsere Vernunft, von der Notwendigkeit der Versöhnung auch und gerade da, wo sie nach menschlichem Ermessen keine Chance hat.“
„Ich vermeide jeden Jubel“
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Gleichwohl weicht die EKD-Vorsitzende, die auch Präses der Evangelischen Kirche in Westfalen ist, konkreten Fragen nicht aus. Hat die Ukraine das Recht, sich militärisch gegen den Aggressor Russland zu wehren? Kurschus: „Wer bin ich, den Ukrainern aus sicherer Position heraus kollektiven Pazifismus abzuverlangen und ihnen ,Schwerter zu Pflugscharen’ zuzurufen? Das wäre zynisch. Zu unserer Tradition gehört nicht nur, auf die Kraft des passiven und gewaltfreien Widerstands zu setzen. Weil wir von mörderischer menschlicher Sündhaftigkeit wissen, weil wir Abels Blut hören, das zum Himmel schreit, und die Rufe aus der Ukraine nach Hilfe, sind wir auch gehalten, der Sünde in Form von brutaler Gewalt und verbrecherischem Unrecht wirksam entgegenzutreten.“
Ein weitere, für viele in den Kirchen heikle Frage: Soll Deutschland schwere Waffen an die Ukraine liefern? Dazu die EKD-Chefin: „Ich erkenne an, dass Waffenlieferungen, die diese Selbstverteidigung ermöglichen, als Nothilfe zur Verteidigung auch vom christlichen Standpunkt ethisch vertretbar und als das geringere Übel verantwortbar sind. Ich tue das aber im Wissen, dass es in der Frage der Waffenlieferungen kein eindeutiges Richtig oder Falsch für die Gewinnung des Friedens gibt, und im Wissen, keine Expertin für Waffensysteme zu sein. Ich akzeptiere Waffenlieferungen, aber ich vermeide in dieser Sache jeden Ton des Jubels.“
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Kein eindeutiges Richtig oder Falsch also – Kurschus’ Vor-Vorgängerin an der Spitze der EKD ist da für sich zu einer anderen Aussage gekommen. Margot Käßmann, wenn auch inzwischen ohne Amt, so doch immer noch eine wichtige Stimme in der Evangelischen Kirche, hat sich explizit gegen Waffenlieferungen an die Ukraine und für die „Kraft der Gewaltlosigkeit“ ausgesprochen. „Ich bin als Christin und Pazifistin gegen Waffenlieferungen“, so die Theologin. Dennoch sei ihr bewusst, dass sie so ihre Hände nicht in Unschuld waschen könne: „Auch dadurch können Menschen sterben.“ Es sei im Moment sehr schwer, Pazifistin zu bleiben. „Ich tue es aber. Aus Überzeugung.“ Als evangelische Theologin, aber „auch als deutsche Bürgerin“ bedaure sie, so Käßmann zur NZZ, „dass mit dem Grundsatz der Bundesrepublik gebrochen wurde, keine Waffen in Kriegsgebiete zu liefern. Damit verlängern und verschärfen wir Konflikte, werden schlimmstenfalls zur Kriegspartei“.
Nun ringen beim Reiz-Thema Waffenlieferungen auch andere gesellschaftliche Gruppen mit sich. Die politischen Parteien sowieso, aber auch die Gewerkschaften. Der DGB beteiligt sich alljährlich am Antikriegstag, der in Deutschland seit 1957 am 1. September begangen wird, also am Jahrestag des Überfalls von Nazi-Deutschland auf Polen. In der Erklärung des DGB zum Antikriegstag 2022 heißt es: „Der Ukraine-Krieg darf uns nicht zu dem Irrglauben verleiten, Frieden ließe sich mit Waffen schaffen.“
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Aber: Nur die Kirche kann sich auf eine 2000 Jahre alte Botschaft berufen, die von Gewaltlosigkeit förmlich durchtränkt ist. Jesus wird im Matthäus-Evangelium der berühmte Satz zugeschrieben: „Wenn dich jemand auf die rechte Wange schlägt, dann halte ihm auch die linke hin.“ Ebenso findet sich in der Bibel der Satz, dass die Schwerter zu Pflugscharen werden sollen – allerdings genauso die Forderung: Macht aus euren Pflugscharen Schwerter und aus euren Sicheln Spieße!
![Bischof Franz-Josef Overbeck. Bischof Franz-Josef Overbeck.](https://img.sparknews.funkemedien.de/236247229/236247229_1661416975_v16_9_1200.jpeg)
Auch für die katholische Kirche bedeutet der Ukrainekrieg eine Herausforderung. Nicht zuletzt für den Militärbischof Franz-Josef Overbeck. „Die christliche Friedenslehre kennt durchaus ein Recht auf Selbstverteidigung, das allerdings an hohe Hürden geknüpft ist. Ziel ist es immer, einen gerechten Frieden zu erhalten“, sagte Overbeck, der auch Ruhrbischof von Essen ist, jetzt unserer Redaktion. Grundsätzlich gelte: „Wird ein gerechter Friede nicht angestrebt, kann es keinen ethisch vertretbaren Einsatz von Gewalt geben. Solange die Ukraine aber dieses Ziel verfolgt und die Menschen dort für ihre Freiheit und Souveränität kämpfen, wäre es vermessen, ihr das Recht auf Selbstverteidigung abzusprechen.“
„Pazifismus darf nicht verordnet werden“
In puncto Waffenlieferungen ist auch Overbeck, so wie die Deutsche Bischofskonferenz insgesamt, nur mit Einschränkungen dafür. Er sagt: „Rüstungslieferungen an die Ukraine, die dazu dienen, dass das angegriffene Land sein völkerrechtlich verbrieftes und auch von der kirchlichen Friedensethik bejahtes Recht auf Selbstverteidigung wahrnehmen kann, sind legitim.“ Mit Blick auf die Lieferung schwerer Waffen stelle sich aber immer „die Frage der Verhältnismäßigkeit, weshalb ich solche Lieferungen weder pauschal bejahen noch verneinen kann“.
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Was den rigorosen Pazifismus betrifft, ist die Haltung des Katholiken Overbeck nah bei der Protestantin Kurschus: „Beim Pazifismus geht es in christlicher Perspektive im Kern um Optionen und Chancen, Feindschaft zu überwinden. Das kann – wenn es um die ethische Bestimmung der eigenen, individuellen Haltung geht – durch die Absage an jegliche Gewalt geschehen – notfalls bereit, für diese Überzeugung zu sterben.“ Aber dies müsse das Ergebnis „einer freien und individuellen Entscheidung vor Gott und dem eigenen Gewissen“ bleiben. „So etwas kann und darf aber anderen Menschen nicht politisch oder religiös verordnet werden; erst recht nicht aus einem sicheren und freien Land heraus und hunderte Kilometer vom Kriegsgeschehen entfernt. Insofern sehe ich zwar durchaus den positiven Impuls hinter solchen Forderungen, halte sie aber aus den genannten Gründen für problematisch.“
Dies ist ein Artikel aus der Digitalen Sonntagszeitung. Die Digitale Sonntagszeitung ist für alle Zeitungsabonnenten kostenfrei.Hier können Sie sich freischalten lassen. Sie sind noch kein Abonnent? Hier geht es zu unseren Angeboten.