Essen/Washington. Holger Papieß, Rektor der Grundschule in Essen-Burgaltendorf, zog es mit 55 nach Washington. Er sagte sich: „Einfach mal am Globus drehen.“
In 19 Jahren sind über 1500 Jungen und Mädchen durch seine Essener Schule gegangen. Jetzt tauschte Holger Papieß seine Heimat gegen die weite Welt: In Washington D.C. fand der langjährige Pädagoge Abwechslung vom Alltag und leitet nun die Grundschule der „German International School“. In den ersten Wochen erlebte er einige Überraschungen.
„Einfach mal am Globus drehen“, habe er gedacht, als er sich im Herbst 2021 für eine Lehrerstelle im Ausland bewarb. Er wollte „einmal den Mut haben, die Routine zu verlassen und neue Möglichkeiten als Lehrer kennenlernen.“ Bis Ostern glaubte der 55-Jährige, im Sommer nach Japan versetzt zu werden. Die Ehefrau und beide Töchter wollten mit. „Es war von Tokyo die Rede.“ Ende April rotierte die Weltkugel erneut. „Man bot mir an, nach Washington D.C. zu gehen.“ Bei der Deutschen Schule in Tokyo Yokohama – der ältesten, deutschen Auslandsschule Ostasiens, 1904 gegründet – hatte er zugesagt. Doch die Staaten riefen lauter. „Vieles ist in den USA leichter für Europäer, angefangen mit der Sprache.“
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Brennen für Amerika
Kurzum: Der Rektor der Grundschule in Essen-Burgaltendorf hatte Feuer gefangen. Brennend für Amerika gab Papieß der damaligen Schulleiterin in Washington sein Okay. Dann ging’s flott: Im Seminar der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen (ZFA) in Bonn erfuhr er Details zu nötigen Visa und anderen Formalitäten. „Das Vorstellungsgespräch hatte online via Zoom-Konferenz stattgefunden.“ Mit der Job-Zusage reiste er im Mai 2022 zum ersten Mal ins „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“, um seinen zukünftigen Arbeitsplatz in Washington D.C. zu inspizieren. Für sich und seine Lieben fand er im rund 70.000 Einwohner zählenden Rockville ein neues Zuhause. Die Kleinstadt liegt im US-Bundesstaat Maryland, rund 15 Autominuten von der Schule. Die besuchen rund 500 Schüler aus 20 Nationen – vom Kindergarten bis zum Abitur.
Mit dem amerikanischen „J1-Visum“ darf der deutsche Mathe- und Sportlehrer vorerst drei Jahre in den Staaten lehren. Vom Dienst in Essen ist er freigestellt. „Natürlich wollen wir das Land erkunden, Weihnachten geht’s nach New York.“ Noch ist viel zu regeln. Beim Anmelden von Strom und Gas halfen die Nachbarn. Ein Auto für die Staaten musste her. „Das war so ein Kapitel für sich.“ Ende Juli erst siedelte die Familie über. Neben der Zeitumstellung – minus sechs Stunden – läuft jenseits des großen Teichs vieles anders. Nicht nur Maße, Gewichte und das fast obligatorische Trinkgeld („Tip“) sind gewöhnungsbedürftig.
Deutsche Backwaren sind rar
Wer immer zwischen unzähligen Brot- und Brötchensorten wählen konnte, ist drüben enttäuscht. Deutsche Einwanderer brachten vieles mit – etwa Wein nach Kalifornien – aber unsere Backwaren sind rar. Und teuer. „Ein Pfund deutsches Brot bei Lidl in Rockville kostet fünf Dollar.“ Dafür sei Fleisch günstig. Die Küchenmaschine aus Germany sollte Papieß Brot wie zuhause zaubern. Ein guter Plan. „Aber der Thermomix schaffte es nicht durch den US-Zoll. Er ging wegen angeblicher Explosionsgefahr retour.“ Nicht mit Sack und Pack zog die Familie fort. Gerade einmal acht Umzugskartons ließ sie über DHL transportieren. „Ein Container für den ganzen Hausrat wäre unbezahlbar gewesen.“ Zum Glück hinterließen die Vormieter einige Möbel und Geräte zur Übernahme.
An der Washingtoner „German International School“ (GIS), die seit 60 Jahren besteht, erlebte Papieß am 22. August freudig seine erste Einschulung als „Auslandsdienstlehrkraft“ (ADLK). „Die Kinder kriegen hier auch Schultüten.“ Die Feier fand zweisprachig deutsch-englisch statt. In bulligen, knallgelben Bussen werden die Mädchen und Jungen morgens kurz nach 8 Uhr gebracht und nachmittags gegen 17 Uhr heimgefahren. Sehr gut geregelt sei die „Sache mit den Eltern-Taxis“. Eine „eigene One-Way-Spur mit Halte- und Abholbereich“ biete Sicherheit. „So erreichen die Kids ohne Verkehrschaos den Unterricht.“ Die „German International School“, an der Papieß nun vorerst drei Jahre die Grundschule mit 180 Kindern in acht Klassen leitet, hat eine Mensa. Die biete frische Gerichte am Buffet. Wegen der Schwüle seien selbst die Turnhalle und das Schwimmbad klimatisiert. „Airconditioner sind nicht wegzudenken.“ Auch im neuen Wohnhaus freuten sie sich über das angenehme Extra. „Die Anlage ist leise und wird aus dem Keller heraus betrieben.“
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Buddy soll den Unterricht bereichern
Mit einem Schock ging die Landung Ende Juli einher: Nach 8,5 Flugstunden fehlte der Familienhund. Banges Warten am Schalter. Die Airline ermittelte schließlich, dass der englische Cocker noch in Frankfurt steckte. „Wir mussten ihn bei Lufthansa abgeben. Wegen seiner Größe und des Gewichts durfte er nicht im Passagierraum mit.“ Buddy brauchte zudem zur Einreise eine Gesundheitsbescheinigung auf Englisch. „Als der Hund nicht am Airport war, wäre ich am liebsten umgekehrt.“ Ein ganzer Tag verging, bis Herrchen den Vierbeiner wohlbehalten knuddeln konnte. „Er saß in einer riesigen Box, in die eine Dogge gepasst hätte. Wieder in Freiheit musste er eilig seine Blase entleeren. Das hörte gar nicht mehr auf, weil er so lange eingehalten hatte.“ In Rockville stand das neue Körbchen schon bereit, Buddy nahm es freudig an.
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In Essen war der sechsjährige Rüde – ein ruhiges Tier mit entsprechender Eignung – bereits als Welpe Schulbegleithund: aggressionslos, ausgeglichen, verträglich, nicht bellfreudig, gehorsam, sicher und unerschrocken gegenüber optischen und akustischen Reizen. „Kinder und Lehrer hatten ihn ins Herz geschlossen, ein schwerer Abschied für manche.“ Die Fellnase soll – wenn alles geregelt ist – bald wieder den Unterricht bereichern. „Eltern, Kollegium und die Schülerschaft sind offen für diese Idee“. Schulhunde seien in den USA die Ausnahme. Doch die Chancen stünden gut, die Schule unterstehe deutschen Regelungen. „Wir unterrichten nach den Thüringer Lehrplänen.“ Die seien sehr naturwissenschaftlich ausgerichtet, passend zum Lernprofil.
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Wild im Vorgarten
„Die Grundschule beginnt mit der Schuleingangsstufe (SES) und endet nach Klasse vier.“ Papieß unterrichtet vorerst nur Sport und Schwimmen und spricht dabei deutsch. Überrascht haben ihn die vielen Schwimmbäder in der Region. „Vorbildlich.“ In Washington, wo große, deutsche Firmen Niederlassungen haben, leben einige deutsche Kinder, die seine Schule besuchen. Doch auch Amerikaner und Eltern anderer Nationen lassen ihren Nachwuchs gern die deutsche Sprache und Kultur entdecken. „Bei der Einschulung ist es keine Bedingung, vorher Deutsch zu können.“
Im beschaulichen Rockville fühlt sich die Familie wohl. „Die Nachbarn sind freundlich, und es gibt viel Grün in der Umgebung. Waffen trägt hier keiner.“ Die Türen könne man rund um die Uhr offen lassen, Kinder spielten draußen unbeschwert. Die Kollegen kamen um den XXL-Gasgrill einzuweihen. Auch Buddy hat neue „Buddies“ gefunden. „Nur von der Leine kann er nicht. Die Wildtiere kommen bis in die Straße“, so Papieß. Erst neulich stand ein Reh im Vorgarten. Amerika überrasche ihn eben immer wieder.
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