Bottrop. Wenn Mama und Papa dem Kind stets höchste Priorität einräumen, kann das das Aus der Familie bedeuten, warnt Elterntrainerin Uta Allgaier.

Zwei Paare treffen sich: Das eine erzählt, dass es vergangenes Wochenende ans Meer gefahren ist. Die Kinder waren in der Zeit bei den Großeltern. Mutter und Vater haben sich erholt, waren einfach mal wieder Mann und Frau. Und auch die Kinder hatten Spaß. Das könnte sich das andere Paar nach all den Jahren Elternsein auch gut vorstellen. Doch die Mutter sagt, sie habe ihren fünfjährigen Sohn gefragt, ob die Eltern wegfahren könnten: „Er möchte das nicht.“

Elterntrainerin Uta Allgaier warnt bei diesem Beispiel: „Ich kann mein Kind entscheiden lassen, mit welcher Farbe es malt oder was es spielt oder welches Buch es vorgelesen bekommen möchte.“ Aber ob die Eltern für ein Wochenende verreisen, sei eine Entscheidung der Erwachsenen. „Ich gebe dem Kind eine Verantwortung, die es nicht tragen kann.“

Der Partner kommt in der Bedeutung manchmal noch hinter dem Labradoodle

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In ihrem Coaching beobachtet die 57-Jährige, dass insbesondere Mütter heute die Haltung haben, die ihrer Ansicht nach auf lange Sicht jede Familie sprengt: Dem Kind die größte Priorität in der Familie zu geben. „Gerade späte und gebildete Mamas heben ihr Kind so sehr auf einen Thron, dass der Partner in der Bedeutung innerhalb der Familie noch hinter dem Labradoodle einsortiert wird.“

Dabei ist es bedeutend, dass Eltern nicht nur Eltern sind, sondern sich auch als Paar wahrnehmen, Zeit nur zu zweit genießen und nicht nur über Alltagsorganisation reden, betont die Expertin. Schließlich ist eine Beziehung zwischen Mann und Frau kündbar. Wenn die Partnerschaft verkümmert, womöglich sogar scheitert, dann leiden auch die Kinder unter der Trennung, „mehr als die übermäßige Aufmerksamkeit ihnen je genutzt hätte.“ Und Kinder fühlten sich schnell für das Scheitern einer Beziehung verantwortlich. „Insofern ist das auch eine Investition in die Kinder, wenn man in die Partnerschaft investiert – und eine ganz wichtige sogar.“

Tagelang ungeduscht

Elterntrainerin und Ratgeberautorin Uta Allgaier.
Elterntrainerin und Ratgeberautorin Uta Allgaier. © Zillessen/Glüer

Uta Allgaier, selbst Mutter von mittlerweile erwachsenen Kindern, hat anfangs auch nur den Blick bei ihren Kleinen gehabt – und sagt heute selbstkritisch, sie habe es übertrieben. In der ersten Baby-Zeit sei es richtig, sich voll und ganz auf den Nachwuchs zu konzentrieren. Aber auch ein Baby von einem halben Jahr könne man in die Wippe vor die Dusche setzen, während man sich abbraust. „Ich muss nicht tagelang ungeduscht rumlaufen.“

Ein großes Reizthema in vielen Familien: Bettgehzeit! Wer legt sich heute zu Mia, damit sie auch einschlafen kann? „Es ist ja schön, abends eine Geschichte vorzulesen, und vielleicht auch über den Tag zu sprechen: Was war schön? Was war beängstigend? Viele Eltern aber kriegen heute kein Ende und liegen zum Teil im Bett des Kindes bis es eingeschlafen ist.“ Selbst dann, wenn Bekannte zu Besuch sind oder die Tochter schon lange zur Schule geht. Uta Allgaier: „Das hat viel mehr mit den Eltern zu tun als mit den Bedürfnissen des Kindes.“

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Dass Eltern heute sehr um ihre Kleinen kreisen, sei auch eine Folge der steigenden Popularität der „Bedürfnisorientierten Erziehung“, meint Uta Allgaier. Es sei gut, dass die Zeiten vorbei sind, in denen es um Gehorsam ging und das Schreien-Lassen des Babys gar als Kräftigung für die Lungen interpretiert wurde. Und es sei gut, dass stattdessen heute Babys lange gestillt und im Tuch getragen werden – so erfahren sie viel körperliche Nähe. Und ihre Bedürfnisse werden verstärkt gesehen. „Aber es gibt einen Trend, das über die Kleinkindzeit hinaus zu machen.“ Und das findet sie bedenklich, da es wichtig sei, einem Kind Vertrauen zu schenken, dass es schwierige Situationen meistern kann. „Ich sehe ein Kind lieber als stark an denn als bedürftig.“

„Es muss sich nicht alles um die Kinder drehen“

Zudem seien Kinder soziale Wesen, sie wollten sich in eine Gemeinschaft einfügen. Nur weil ein Kleinkind am Tisch unruhig wird, müsste sich nicht die ganze Runde nach dem Kind richten und das Essen beenden. „Ich kann es auf den Boden setzen, da kann es etwas spielen und wir essen weiter.“ Uta Allgaier rät: „Es muss sich nicht alles um die Kinder drehen, das ist für die Kinder eine riesige Überforderung.“

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Auch das populäre Familienbett sieht sie kritisch, wenn Mutter, Vater, Kind jede Nacht zusammen in einem Bett schlafen – und das auch noch dann, wenn die Tochter oder der Sohn in die Schule gehen. „Oder die Kinder übernehmen das Elternbett, schlafen bei der Mama und der Papa quetscht sich ins Kinderbett“, nennt Uta Allgaier eine weitere, verbreitete Schlafsituation. „Ich halte das für eine Partnerschaft auf Dauer für eine Belastung.“ Da müssten sich die Erwachsenen ehrlich fragen, was sie möchten. Schließlich könne man stattdessen auch an den Wochenenden zusammen in einem riesigen Matratzenlager herumtollen.

Eine gute Partnerschaft entlastet

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„Wenn ich eine Familie erschaffe, die einen sicheren Rahmen bietet durch eine gute Partnerschaft, dann ist dieser sichere Rahmen auch total entlastend für das Kind“, betont Uta Allgaier. Ebenso für die Eltern. Schließlich sei es sehr anstrengend, sich jeden Abend ins Bett neben Mia oder Linus zu legen und sich andauernd zu fragen, was das Kind braucht, damit es keinen seelischen Schaden davonträgt. Reflexion sei gut, aber auch nicht ständig: „Immer, wenn es halt nicht gut funktioniert, kann man sich fragen, woran es liegt. Wenn alles gut läuft, muss man sich ja kein schlechtes Gewissen machen.“

Und dann ringen sich Eltern durch, buchen vielleicht ein Wochenende zu zweit – und haben trotzdem ein schlechtes Gewissen. Beim Abschied hat das Kind schließlich Krokodilstränen geweint. „Die Erfahrung zeigt, das dauert vielleicht fünf Minuten, dass Kinder darüber traurig sind. Dann ist man in der Regel aus der Tür und schon vergessen.“ Und dann berichteten Großeltern: „Kaum wart ihr weg, hatten wir hier den größten Spaß.“ Wenn man sich darüber im Klaren sei, könne man beruhigt die Paarzeit genießen, spricht Uta Allgaier auch aus eigener Erfahrung: „Wenn wir nach einem Paar-Time-Wochenende zurückkamen, haben wir uns auf die Kinder gefreut, wir hatten viel mehr Energie und auch eine super Zeit zusammen.“

>>> Zur Person: Die Elterntrainerin Uta Allgaier

Uta Allgaier kommt aus Bottrop, in ihrer Wahlheimat Hamburg haben ihr Sohn und ihre Tochter das Haus bereits zum Studium verlassen. Die Elterntrainerin berät Familien als Coach, auch am Telefon sowie über Skype oder über Facetime.

Zudem schreibt die 57-Jährige Ratgeber für Eltern. Ihr jüngstes Buch: „Wie Kinder stark werden und Eltern entspannt bleiben – Der Erziehungs-Kompass“ (Ellert & Richter, 224 S., 14,95 €). Sie bündelt Ideen aus verschiedenen Ratgebern. Die Themen reichen dabei vom Abstillen des Babys bis zur Wohnzimmerparty der Teenager.

Zudem gibt Uta Allgaier Tipps in ihrem Blog: „Wer ist eigentlich dran mit Katzenklo?“