Köln. Zuversicht kann man lernen. Wie es gelingt, optimistisch in die Zukunft zu blicken, erklärt eine Expertin für Positive Psychologie.
Zuversicht kann man lernen. Sagt Muriel Böttger. Sie ist Expertin für Positive Psychologie und erklärt in ihrem Podcast „Share & Grow“ (Teile & Wachse), wie man diese Wissenschaft vom guten Leben in seinem Alltag anwendet. Maren Schürmann sprach mit der Kölnerin, während die 28-Jährige wanderte – sie macht zurzeit Urlaub in Südtirol. Dabei wurde beim Telefonat die gelassene Einstellung der Psychologin sehr auf die Probe gestellt. . .
Die Inzidenzwerte sinken – da lässt sich leicht zuversichtlich sein. Aber die Impfstoffe sind knapp – da kann man nichts schön reden. Oder?
Muriel Böttger Es geht beim Thema Zuversicht nicht darum, Dinge schön zu reden, sondern trotz einer unangenehmen oder schwierigen Situation zuversichtlich zu bleiben und sich darin zu üben.
Bleiben wir zunächst bei dem Beispiel Impfen. Wie könnte da ein zuversichtlicher Blick aussehen?
Wichtig ist, wenn man auf einen Impftermin wartet, sich bewusst zu machen: Nur weil ich jetzt nicht geimpft werde, steigt ja trotzdem die Zahl der Geimpften. Und das ist für meine persönliche Situation auch gut, denn je mehr Leute geimpft sind, desto weniger stecken sich an und es wird mehr Öffnungen geben. Ich habe dadurch also auch selber Vorteile. Ich brauche nicht neidisch zu sein, wir wollen ja gesamtgesellschaftlich weiterkommen.
Das klingt sehr gelassen. Das gelingt manchen Menschen besser als anderen. Wovon hängt das ab?
Es gibt verschiedene Faktoren, von denen es abhängt, wie zuversichtlich wir sind. Das ist zum einen die genetische Voraussetzung. Es gibt von Natur aus zuversichtlichere Menschen als andere. Dann ist es das Umfeld, in dem wir uns bewegen, also wie zuversichtlich sind die Menschen um mich herum? Ziehen die mich vielleicht sogar runter? Darüber sollte ich dann mal nachdenken. Was wir ändern können, ist unsere eigene Einstellung. Es wird häufig unterschätzt, wie mächtig das ist, dass wir an unserer Einstellung arbeiten können. (Im Hintergrund ist ein lautes Kläffen zu hören.) Wir werden gerade angebellt, das tut mir leid.
Kein Problem, wenn es Sie nicht stört?
Alles gut (Sie lacht. Und der Hund bellt weiter). Um es zu konkretisieren: Das Gute ist, wir können diesen positiven Blick lernen, wir können aufgrund bisheriger Erfahrungen zuversichtlich in die Zukunft blicken. Wir haben vielleicht schon Krisen gemeistert, zum Beispiel eine Trennung, und sie reflektiert, daraus etwas gelernt. Danach ging es wieder bergauf. Wie kann es nun nach dieser Krise wieder bergauf gehen? (Lautes Kläffen im Hintergrund) Der Hund stört sich richtig an mir. Er ist eingezäunt und denkt sich wohl: ,Was steht die da rum?’ (lacht).
Sie lachen. Andere würden vielleicht denken: Ich gebe ein Interview und eigentlich habe ich Urlaub und jetzt bellt mich noch dieser Hund an!
Die Frage ist: Was würde mir das jetzt bringen, mich darüber aufzuregen? Es ist immer gut, auf den eigenen Energiehaushalt zu achten. Außerdem habe ich mich selber in diese Situation hineinmanövriert, weil ich mich für dieses Interview entschieden habe, auch wenn ich im Urlaub bin. Und jetzt bin ich vor einem Anstieg stehen geblieben und der Hund mag das nicht. Man kann eben nicht immer alles planen. (Und er bellt und bellt und bellt). Wenn ich mich nun über den Hund aufrege, dann bin ich danach genervt. Sie haben kein gutes Interview und ich bin auch nicht zufrieden mit meiner Leistung. Ergo: Ich ignoriere ihn einfach und mache mein Ding weiter. Und gut ist.
Zuversicht ist also eine Einstellungssache. Um was geht es: das Negative auszublenden oder dem Negativen etwas Positives abzugewinnen?
Letzteres, definitiv. Das ist ein häufiger Kritikpunkt an der Positiven Psychologie, als würde man nur das Positive sehen und das Negative ausblenden. Darum geht es auf keinen Fall. Zu unserem Leben gehören auch Schattenseiten. Wenn wir die ausblenden würden, dann wäre das schlichtweg Naivität. Es geht darum zu schauen: Was kann ich daraus lernen? Was hat mir Kraft gegeben? Und auch das Positive an einer Krise zu sehen: Man merkt gerade in Krisenzeiten, wer sind besonders gute Freunde oder Familienmitglieder, an die ich mich gerne wende, wenn es mir nicht gut geht.
Manche reagieren aber stattdessen mit lauter Wut oder leisem Selbstmitleid.
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Man kann natürlich nicht alles beeinflussen. Aber man sollte sich schon seinen Verantwortungsanteil bewusst machen. Wir haben einen Einfluss auf unser Wohlbefinden. Jedem Menschen gibt es ja ein zufriedenes Gefühl, wenn er aus eigener Kraft etwas geschaffen hat. Zum Beispiel wenn man einen Gipfel erklimmt und die Aussicht genießen kann. So ist es auch mit unserer Zuversicht. Wenn ich merke, dass ich durch meine Einstellung zu dem, was mir passiert, dazu beigetragen habe, dass ich jetzt zuversichtlicher bin, gibt mir das natürlich ein besseres Gefühl. Besser als wenn ich die ganze Zeit nur darauf warte, zuversichtlicher zu werden. Es wird leider keine Zuversichtsfee in unser Leben kommen und uns die Zuversicht auf einem silbernen Tablett servieren.
Bei einem schlimmen Schicksalsschlag, wie einer unheilbaren Krankheit, wünscht man sich so eine Fee.
Es geht manchmal auch darum, bestimmte Schicksalsschläge anzunehmen und das Bestmögliche daraus zu machen. So schlimm die Diagnose sein mag, wie ich damit umgehe, wie meine Stimmung damit ist, das liegt in meiner Hand.
Sie haben anfangs von den Menschen erzählt, die einen runterziehen. Wie kann man im Kreis von Nörglern und Schwarzmalern den positiven Blick behalten?
Ein Satz, der mir dazu immer durch den Kopf geht: Wir schulden niemandem eine Beziehung, selbst wenn wir mit dem Menschen verwandt sind, wir schulden niemandem den Kontakt. Wir dürfen frei entscheiden, in fast allen Fällen, mit wem wir unsere Zeit verbringen. Natürlich sollte man sich die Sorgen Anderer anhören. Aber man kann auch mal zum Beispiel einem Kollegen freundlich sagen: ,Es ist total okay, dass du dich gerade über die Corona-Politik aufregst, aber ich möchte jetzt nicht darüber sprechen.’
Was könnten die ersten Schritte zu mehr Zuversicht sein, damit das Glas möglichst oft halbvoll ist?
Es gibt ein paar wichtige Faktoren. Zum einen: Beziehungen stärken, die uns wirklich wichtig sind und die uns Kraft geben. Dann: positive Emotionen generell. Also alles, was uns Freude bereitet, mehr in unseren Alltag integrieren, auch nach einem stressigen Tag. Was kann ich selbst tun, damit es mir gut geht? Damit ich häufiger positive Emotionen erlebe. Dabei geht es gar nicht so sehr um die Intensität, sondern um die Häufigkeit – das zahlt sich auf unser Zuversichtserleben aus. Und Dinge machen, die die Kreativität fördern, etwas Künstlerisches, Musikalisches oder auch Sport. Denn darum geht es ja bei der Zuversicht, dass man kreativ neue Wege erkennt. Und schließlich: die Dankbarkeit. Wer sich jeden Abend überlegt, für was er dankbar ist, steigert sein Wohlbefinden – und wird damit auch zuversichtlicher. (Der Hund, wahrscheinlich ein Bayerischer Gebirgsschweißhund, bellt weiter und weiter. Sie sagt lachend:) Er scheint mit der Gesamtsituation unzufrieden zu sein.
Der Terminkalender füllt sich: Wie kommt man wieder in die Gänge?
Die Freude über wiedergewonnene Freiheiten ist groß. Trotzdem fühlen sich einige überfordert angesichts eines Terminplans, der sich wieder füllt. Woran liegt das?
Muriel Böttger Der Mensch gewöhnt sich sehr schnell an bestimmte Dinge, auch an Belastung oder nicht vorhandene Belastung. Wir haben uns über eine sehr lange Zeit an einen anderen Alltag gewöhnt, nun darf man sich auch ganz in Ruhe an etwas Neues gewöhnen. Und das ist total normal. Ich glaube zu wissen, dass das nichts Außergewöhnliches ist, hilft schon vielen Menschen. Wenn wir im Urlaub morgens eine Stunde länger schlafen, fällt es uns ja nach der Rückkehr auch erst schwer, wieder früh aufzustehen. Aber nach einer Woche ist das auch wieder in Ordnung.
Und wie kommt man in die Gänge?
Es ist ganz wichtig, dass wir uns Pausen erlauben und das Pensum langsam steigern. Vielleicht merken wir ja auch, dass die Menge an Terminen, die wir vor dem ersten Lockdown hatten, gar nicht so richtig für uns war. Das ist natürlich bei jedem Menschen anders.
Wie findet man heraus, welches Pensum das richtige für einen ist?
Indem wir nicht einfach sagen: ,Ich muss jetzt zurück zu dem, was ich vorher gemacht habe’, sondern auf uns achten, auf unsere Energie, wie wir uns fühlen: Wie erschöpft sind wir abends? Wie sehr freuen wir uns auf den Tag? Wie gesund fühlen wir uns? Brauchen wir wirklich mehr – oder reicht es eigentlich? Die Antworten sind ganz subjektiv.