Essen. Egal ob Nachteule oder Lerche, die Nacht hat sich stark verändert. Künstliches Licht verdrängt die Dunkelheit – und beeinträchtigt unser Leben.

Sanft kitzeln die ersten Sonnenstrahlen das Gesicht, Vogelgezwitscher dringt durchs offene Fenster ins Schlafzimmer: So könnte er aussehen, der perfekte Start in den Tag. Doch davon lässt sich in der dunklen Jahreszeit nur träumen.

Wenn frühmorgens der Wecker klingelt, dauert es noch Stunden, bis die Finsternis vom winterlichen Tageslicht vertrieben wird – um nur wenige Stunden später zurückzukehren. Mit seinen langen Nächten und kurzen Tagen drückt der Winter vielen aufs Gemüt. Und der lange Januar ist gleichsam das Herz der Finsternis.

Die Zähmung der Nacht: Zwischen Bedrohung und Sehnsucht

Dabei ist die Nacht längst nicht mehr das, was sie einmal war: ruhig, geheimnisvoll, düster. „Heute ist sie verdrängt, gezähmt, durchleuchtet“, sagt Bernd Brunner, der sich in seinem „Buch der Nacht“ intensiv mit den Stunden zwischen Dämmerung und Morgengrauen befasst. Der Nacht sei die Dramatik abhandengekommen, so der Berliner Autor.

Während das antike Rom noch für sein Nachtleben berüchtigt war, wurden die Städte im Mittelalter bei Sonnenuntergang verriegelt. Die Nacht galt als etwas Finsteres und Düsteres, etwas Bedrohliches. In der Kunst fand sie lange Zeit kaum Beachtung. Erst 1609 schuf der Frankfurter Künstler Adam Elsheimer mit seinem Gemälde „Die Flucht nach Ägypten“ die erste naturalistische Darstellung des Himmels.

Ihre Sternstunde hatte die Nacht schließlich in der Romantik. Die Künstlerinnen und Künstlern verbanden mit ihr vor allem Sehnsucht, Weltschmerz und Melancholie. „Dunkel, dunkel im Moor/Über der Heide Nacht/Nur das rieselnde Rohr/Neben der Mühle wacht“, dichtete etwa Annette von Droste-Hülshoff.

Schon Gustaf Gründgens wusste: Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da. Maler Edward Hopper bestätigt das in seinem Bild „Nighthawks“ von 1942.
Schon Gustaf Gründgens wusste: Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da. Maler Edward Hopper bestätigt das in seinem Bild „Nighthawks“ von 1942. © Alamy Stock Photo | FineArt

Lichtverschmutzung der Städte beeinflusst Mensch und Tier

Mit der Erfindung der elektrischen Beleuchtung begann das Ende der Dunkelheit. Der Nacht wurde ihr Geheimnis entrissen, sie wurde zum Tag gemacht. Mittlerweile liegt eine immer größer werdende Lichtglocke über den Städten.

Diese von vielen beklagte Lichtverschmutzung in Westeuropa wächst jedes Jahr um sechs Prozent. Riesige Leuchtreklamen, Straßenlichter, endlose Bänder von Autoscheinwerfern. Über die Smartphone-Bildschirme dringt zusätzlich permanent blaues Licht in die Augen. Der Tag-Nacht-Wechsel hat in den Metropolen längst an Bedeutung verloren, zu jeder Stunde herrscht taghelle Betriebsamkeit.

Die vielen künstlichen Lichtquellen haben nicht nur Auswirkungen auf den Menschen, sondern auch auf die Tierwelt. Die Orientierung von nachtaktiven Vögeln werde gestört, Zugvögel würden von ihrer Route abkommen, warnt der BUND. Auch Insekten ließen sich von dem Licht täuschen. Bis zur Erschöpfung umkreisten Mücken, Falter und Käfer Straßenlaternen.

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„Künstliche Lichtquellen tragen zum allgemeinen Artenschwund bei“, kritisiert daher der Naturschutzbund (NABU). Außerdem verbraucht die „dringend modernisierungsbedürftige“ Beleuchtung von Straßen und öffentlichen Plätzen laut NABU zu viel Strom und trägt damit zum Klimawandel bei.

Schlaf als „Grundlage für unsere Gesundheit“

Die Glühbirne hat „alles grundlegend verändert“, lautet Brunnes Fazit – auch unseren Schlafrhythmus. Bis zum 18. Jahrhundert war die Nachtruhe der Menschen grundsätzlich in zwei Phasen geteilt. Mit dem Einbruch der Dämmerung gingen sie ins Bett, das sie nach fünf Stunden wieder verließen, um Holz auf der Feuerstelle nachzulegen. Dann schliefen sie, bis der Tag mit dem Morgengrauen begann.

Durch das künstliche Licht strecken sich die Aktivitäten heute bis in den späten Abend und verdrängen damit die nächtliche Ruhezeit. Dabei ist diese die „Grundlage für unsere Gesundheit“, sagt Martina Neddermann, Oberärztin des Schlafzentrum Ruhrgebiet in Herne-Eickel. Nachts verarbeite beispielsweise das Gehirn die Eindrücke des Tages, Proteine werden gebildet, die Immunabwehr gestärkt, der Energiespeicher aufgeladen.

Umso besorgter blickt die Ärztin darauf, dass sich immer mehr Menschen mit Schlafstörungen an ihre Labore wenden. Insgesamt habe ein Drittel der Deutschen Probleme mit dem Ein- oder Durchschlafen, bei sechs Prozent von ihnen bestehe dringender Behandlungsbedarf.

Dr. Martina Neddermann, Öberärztin des Schlafzentrum Ruhrgebiet in Herne-Eickel: „Mehr Schlaf bedeutet nicht automatisch besserer Schlaf.“
Dr. Martina Neddermann, Öberärztin des Schlafzentrum Ruhrgebiet in Herne-Eickel: „Mehr Schlaf bedeutet nicht automatisch besserer Schlaf.“ © Volker Beushausen

Unterschiedliche Schlaftypen: Von Lerchen und Eulen

Betroffenen rät Neddermann, herauszufinden, welcher Schlaftyp sie sind. Identifiziert wurden diese bereits um 1900 vom deutschen Psychiater Emil Kraepelin. Er beobachtete das Auftreten von Ermüdungserscheinungen am Arbeitsplatz. Dabei fiel im auf, dass einige der untersuchten Personen gern früh aufstanden und früh ins Bett gingen, andere wiederum lange wach blieben und lieber ausschliefen, was er als „circadiane Rhythmik“ beschrieb. In anderen Worten: unsere innere Uhr.

„Die Lerche hat ihr Hoch zwischen neun und elf Uhr morgens. Die Eule ist nicht vor zehn Uhr fit und hat ihr Leistungshoch in den Abendstunden“, sagt Martina Neddermann. Solche Nachtschwärmer gab es bereits in der Antike. Der Philosoph Seneca berichtet von einem Mann, der sich um neun Uhr abends seinen Abrechnungen widme, um Mitternacht Sprechübungen veranstalte und um zwei in der Früh zur Spazierfahrt aufbreche.

Auch Johann Wolfgang von Goethe soll eine wahre Nachteule gewesen sein. Er arbeitete bei Kerzenschein und ging in der Dunkelheit schwimmen. „Ist die Nacht das halbe Leben, und die schönste Hälfte zwar“, lässt er seine Philine in „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ singen.

Expertin gibt Tipps gegen Schlafstörungen

Unabhängig vom Takt der inneren Uhr sei wichtig, dass man genug Nachtruhe bekommt. Sechs Stunden sind „das absolute Minimum“, so Martina Neddermann. Wer davon weit entfernt ist, solle laut Expertin am besten eine Abendroutine entwickeln, um besser entspannen zu können.

Generell sei es wichtig, das eigene Bett nicht mit negativen Erfahrungen in Verbindung zu bringen. Dabei helfen könne ein „Grübel-Stuhl“: „Wer zu viel nachdenkt und daher nicht einschlafen kann, sollte sich vor dem Schlafengehen in den Stuhl setzen, in Ruhe grübeln und seine Gedanken aufschreiben.“

Schlaf-Expertin: „Mehr Schlaf bedeutet nicht automatisch besserer Schlaf.“

Ein weiterer vielversprechender Ansatz sei die sogenannte Schlaf-Restriktion, bei der es darum gehe, den Schlaf auf ein Minimum zu reduzieren und so den Schlafdruck zu erhöhen. „Etwa zwei Wochen lang darf man nur fünf Stunden pro Nacht schlafen. Erst wenn man diese Zeit lang durchschläft, darf man den Schlaf schrittweise um je 20 Minuten erhöhen.“

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Da dies „extrem schwer“ durchzuhalten sei, sollten Betroffene die Methode idealerweise während einer Reha durchführen oder mithilfe der App „Somnio“, deren Kosten von den Krankenkassen übernommen werden. Somnio helfe, die Schlafzeiten zu optimieren und diene als Tagebuch der Kontrolle.

Wer nun davon träumt, den Winter mithilfe der Tipps weitestgehend verschlafen zu können, sei gewarnt, denn zu viel Nachtruhe ist laut der Expertin ebenfalls ungesund. Und: „Mehr Schlaf bedeutet nicht automatisch besserer Schlaf.“ Doch auch diejenigen, die der dunklen Jahreszeit nicht viel abgewinnen können, haben immerhin einen Lichtblick: Irgendwann wird es wieder heller.

Während in ganz Deutschland die Lichtverschmutzung zunimmt, machen die außerordentlich dunklen Sternenparks einen Blick ins All möglich. (Symbolbild)
Während in ganz Deutschland die Lichtverschmutzung zunimmt, machen die außerordentlich dunklen Sternenparks einen Blick ins All möglich. (Symbolbild) © dpa-tmn | Jens Büttner

Die dunkelsten Orte in Deutschland: Sternenparks und Sterneninseln

Tausende Sterne, die Milchstraße und das Zodiakallicht: Orte, an denen kein künstliches Licht die Nacht stört, machen einen beeindruckenden Blick ins All möglich. Vier solch außerordentlich dunkler Sternenparks hat die International Dark-Sky Association (IDA) in Deutschland ausgezeichnet: das Biosphärenreservat Rhön im Dreiländereck Thüringen, Bayern und Hessen, den nordrhein-westfälischen Nationalpark Eifel, den Naturpark Westhavelland in Brandenburg und die Winklmoos-Alm in Bayern.

Hier können Astronominnen und Astronomen – egal ob Profis oder Laien – dem Kosmos mit Spektiv und Fernglas näherkommen. Besondere Himmelsbeobachtungen sind auch von den Inseln Spiekeroog und Pellworm möglich, die seit wenigen Monaten offiziell als Sterneninseln zertifiziert sind.

Während über den meisten Städten nachts riesige Lichtkuppeln erstrahlen, können die Bürger und Bürgerinnen in Fulda in den Sternenhimmel blicken. Die Stadt wurde aufgrund ihrer geringen Lichtverschmutzung von der IDA als erste deutsche Sternenstadt ausgezeichnet. (mit dpa)

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