Bochum. Andrea Leim wird keine Kinder bekommen. Das hat ihr das Kinderwunschzentrum prophezeit. Doch dann wird die 41-Jährige schwanger – ungeplant.
Noch sechs Tage bis New York. Dort werde ich die legendären Rocker von „Kiss“ interviewen. Die Geschichte ist mein erster großer Auftrag als freie Journalistin und ein großartiger Einstieg in diesen neuen Lebensabschnitt, der vor mir liegt. Vor acht Wochen habe ich meinen langjährigen festen Job auf eigenen Wunsch verlassen und seitdem meine Selbstständigkeit geplant, aufgebaut und auch schon ein bisschen in die Tat umgesetzt.
Nun steht tatsächlich ein Termin mit den vier Schminkemonstern in ihrer Heimatstadt an, backstage im Madison Square Garden, und ich freue mich wahnsinnig darauf. Allerdings ist das nicht der Grund, warum mir mein Herz gerade bis in die Haarspitzen schlägt. Zwei Striche sind der Grund dafür. Blau, deutlich erkennbar, auf einem Billo-Schwangerschaftstest. Das wird nicht stimmen! Oder doch?
Kinderwunschzentrum schließt Schwangerschaft aus
Ich kann doch eigentlich gar nicht schwanger werden. Die Ärzte im Kinderwunschzentrum hatten das so gut wie ausgeschlossen, denn selbst unter starker Hormongabe wollte sich in meinen Eierstöcken nicht eine einzige Eizelle bilden. Noch dazu sahen die Spermien meines Mannes eher aus wie Quadratquallen. Alles mehr als suboptimal.
Zwei Fehlgeburten hatten wir zuvor bereits hinter uns gebracht. Und weil das dann doch irgendwann sehr viel wurde und so viel emotionalen Raum in meinem Leben einnahm, schloss ich schließlich bewusst mit dem Gedanken ab, jemals Mama genannt zu werden. Mehr als zwei Jahre dauerte es, bis ich darüber nicht mehr gelegentlich weinen musste.
Doch auch das Glück kehrte zurück: Gerade war ich dabei, einen neuen Lebensplan in die Tat umzusetzen. Zu dem gehörte die Kündigung meines sicheren und gut bezahlten Arbeitsvertrages. Nach dem Motto: Wenn ich weiter nur Verantwortung für mich trage, weil ich nicht Mama werden darf, kann ich an anderer Stelle auch ein bisschen ein Risiko eingehen. Und nun?
Ungeplante Schwangerschaft mit 41 Jahren: „Ich schlafe in der Nacht kaum.“
„Sitzt du“, frage ich meinen Mann kurz vor Mitternacht am Telefon, während ich ungläubig auf der Couch in der Wohnung unserer Freunde in Berlin hocke. Eine Woche Hauptstadt liegt hinter uns, ich bin noch geblieben, er ist zurück nach Hause gefahren, weil er arbeiten muss.
„Liebster, ich glaube, ich bin schwanger“, sage ich mit belegter und leicht zittriger Stimme. „Was?“, fragte mein Mann komplett erstaunt. Mein Herz klopft noch immer wie wild, und ich schicke meinen engsten Freundinnen Fotos vom Test. Dann recherchiere ich „Schwangerschaftstest positiv, nicht schwanger“, weil ich noch immer nicht glauben kann, dass ich wirklich ein Kind erwarten soll. Ergebnis: Möglicherweise Krebs! Bitte was? Erst kann ich keine Kinder bekommen, und nun könnte ich also auch noch Krebs haben? Na toll.
Ich schlafe in der Nacht kaum, 1000 Gedanken kreisen in meinem Kopf, während ich versuche, in mich hineinzuhören. Fühle ich mich schwanger? Meine Brüste tun schon ein bisschen weh, oder? Wann könnte das denn wohl passiert sein? Ich bin doch jetzt schon 41, ist das nicht zu alt? Vielleicht war der Test unzuverlässig? Immerhin habe ich den preiswertesten gekauft, denn eigentlich wollte ich nie wieder so ein Ding benutzen, nie wieder warten, nie wieder enttäuscht werden, weil sich trotz großer Hoffnung kein zweiter Strich bildet.
Angst und Hoffnung nach zwei Fehlgeburten
Am nächsten Morgen, es ist ein Sonntag, fahre ich schon um sieben Uhr mit einem Car2Go zu einer Notapotheke. „Ich brauche einen Schwangerschaftstest“, sage ich als die Türluke aufgeht. „Oder nein! Haben sie verschiedene Marken? Dann zwei unterschiedliche, bitte.“ Die Apothekerin will mir erklären, dass einer ausreicht, ich weiß aber, dass ich mehr Bestätigung brauche – und auch bekomme: beide Tests sind wieder positiv.
Nur zwei Tage später sitzen mein Mann und ich in der Frauenarztpraxis und erzählen meiner Gynäkologin, was passiert ist. Sie begleitete mich und uns schon durch die Fehlgeburten und hat uns immer wieder aufgebaut und unterstützt. „Na, dann sehen wir doch direkt mal nach“, sagt sie. „Ich würde es Ihnen sehr wünschen!“ Poch, poch, poch ... wieder bis in die Haarspitzen.
Denn jetzt kommt die Angst zurück, die Angst vor der Enttäuschung beim Blick auf den Ultraschallbildschirm. Doch sie ist unbegründet. „Sie sind eindeutig schwanger. Herzlichen Glückwunsch“, sagt meine Ärztin und freut sich ehrlich mit uns. Kein Krebs also, sondern eine kleine, quietschlebendige Krabbe!
Arbeiten während der Schwangerschaft
Mein Mann ist fortan bei jeder Untersuchung dabei. In Woche 15 erfahren wir, dass es ein Mädchen wird. In Woche 19 zeigt sie mit ihren Fingerchen – kein Witz – die Pommesgabel auf dem Ultraschallbild, in Woche 24 arbeite ich dann passenderweise auf dem Wacken Open Air, dem größten Heavy-Metal-Festival der Welt.
Das Gelände ist riesig, jeden Tag lege ich fast 15 Kilometer Fußmarsch zurück, weil der besorgte Kindspapa mir verbietet, mit dem Fahrrad zu fahren. Ich könnte ja schließlich mit meinem Bauch auf den Lenker fallen und dem Kind schaden. Seit vermutlich 36 Jahren fahre ich nun Fahrrad und kann mich nicht erinnern, schon einmal mit dem Bauch auf den Lenker gefallen zu sein. Aber ich tue ihm den Gefallen und laufe, laufe, laufe. Unsere Tochter findet das übrigens offensichtlich super. Denn sobald ich mich hinsetze oder mich abends ins Bett lege, beschwert sie sich und beginnt zu treten.
Unverhofft schwanger: Das Herzklopfen ist geblieben
In 40 Wochen darf ich als über 40-Jährige eine echte Bilderbuchschwangerschaft erleben und freue mich am Ende unglaublich darauf, die kleine Maus endlich kennenzulernen. Wie wird sie wohl aussehen, wem ähnlich sein? Und wie wird die Geburt laufen?
Weil ich absolut kein Risiko eingehen will, erkläre ich den Ärzten im Krankenhaus, dass ich ihnen voll und ganz vertraue und mich darauf verlasse, dass sie meinem Kind wohlbehalten auf die Welt helfen. Ich sei bereit, dafür jeden Schritt und jeden Schnitt zu gehen bzw. hinzunehmen. Und so wird unsere Tochter mitten im November nach 18 Stunden Wehen und Warten per Kaiserschnitt geboren. Gesund und wirklich wunderbar.
Das Glück kommt manchmal eben doch ganz unverhofft. Übrigens: Das Herzklopfen ist geblieben. Jeden Tag. Vor Liebe. Oder wenn sie wieder mal mit ihren kleinen Beinchen Richtung Bruchlandung rennt ...