Essen. Der VW-Käfer stellte Rekorde für die Ewigkeit auf, doch fast hätte er den ganzen VW-Konzern in den Abgrund gerissen. Ein Rückblick.
Jeder fuhr einen. Die meisten fuhren wirklich einen. Die meisten anderen fuhren keinen, jedoch aus einer Anti-Haltung heraus. Sie fuhren einen Keinen-Käfer. In den schwarz-weißen Fließbandfilmen von Ludwig Erhard wimmeln nur graue Käfer durchs Wirtschaftswunderland, der Firmenboss fährt einen großen Sechszylinder-Opel, der reiche Onkel aus Amerika einen Ami-Schlitten.
Mein Vater war stolz darauf, nie in seinem Leben einen Volkswagen gefahren zu sein, sondern gleich einen Weltkugel-Ford (der war so schlecht, dass er die stolze ovale und blau unterlegte Ford-Pflaume als Firmenlogo nicht tragen durfte, sondern unter F.K. für Ford Köln firmierte).
Das hinderte meinen Vater jedoch nicht daran, seiner Frau als erstes Auto nach der auf den Führerscheinerwerb folgenden Drei-Babys-Pause einen „robusten Käfer“ zu kaufen. (Sie zerstörte Professor Porsches angeblich unverwüstlichen Motor durch beharrliches Ausdrehen des kalten Motors, bis in den vierten Gang schafft sie es selten).
Die Erfolgsgeschichte des VW-Käfers
„Unter den schmissigen Klängen der Werkskapelle und unter dem Beifall der mehr als tausend Schichtler“, berichtete die WAZ, lief am 17. Februar 1972 „gegen 13.45 in Halle 12“ Volkswagen Typ 1 Nummer 15.007.034 vom Fließband, das einst Henry Ford als erster in der Automobilfertigung eingesetzt und mit Hilfe dessen er ein Modell T weniger auf die Räder gestellt hatte, als der neue Weltrekordler VW Käfer jetzt vorweisen konnte.
„Die 6000 Leute, die 1945 die Trümmer wegräumten und das Werk wieder aufbauten, konnten nicht ahnen, dass dem Käfer einmal solch ein Erfolg beschert sein würde“, sagte Betriebsratschef Siegfried Ehlers im Wolfsburger Werk. Was er nicht sagte: dass der Erfolg von gestern war und der Käfer bereits klinisch tot.
Fast hätte der fahrende Zombie den ganzen Konzern in den Abgrund gerissen. Auch mit der Beetle-Mania in den USA war es längst vorbei. Dort hatten Werber die in Deutschland als unernsthaft geltende und so offiziell unbeliebte Bezeichnung Käfer erfunden.
Rüstungsproduktion: Die Nazi-Geschichte des VW-Käfers
Was man in den Volkswagen-Chefetagen in Wolfsburg damals auch nie öffentlich sagte und erst Jahre nach dem Ende der Käfer-Produktion in der Bundesrepublik Deutschland von unabhängigen Historikern aufarbeiten ließ, waren die dreckige braune Nazi-Geschichte des KdF-Wagens und die mörderischen Verhältnisse in der Rüstungsproduktion in Fallersleben, als es die Stadt Wolfsburg noch gar nicht gab. „Herrenvolkswagen“ zitierte das Magazin „Der Spiegel“ 1965 eine bittere Abrechnung in Gedichtform aus der jüdischen New Yorker Zeitschrift „Midstream“.
Die kriegsverwitwete Tante meiner Mutter brachte mit dem Kraft-durch-Freude-Wagen Waren einer ortsansässigen Schnapsbrauerei an den Mann. Die Rückfahrt erleichterte das Zuhalten eines Auges gegen den störenden Doppelseheffekt. Mein Onkel aus der Etage über uns statuierte seinen Aufstieg aus der Handwerkerklasse mit einem Opel Kadett.
Sein Vater aus dem Erdgeschoss hatte seinen Handkarren noch selbst gezogen: durch die Weimarer Republik, die Nazizeit und dann durch die Ruinenstraßen. Opels Bochumer Jung‘, der Kadett, war von A bis C tatsächlich viel besser als der Käfer, bis auf die Opel-Schwachstelle Wasserpumpe (Punktsieg am Tresen: Wasserpumpe hatte der luftgekühlte VW nicht, konnte auch nicht kaputtgehen).
Nachkriegszeit: VW-Käfer stellt Rekorde auf
Der Käfer brachte es bis 2003 noch auf über 21,5 Millionen Stück, jedoch kein Rekord für die Ewigkeit. Unter den Namen Golf und (Toyota) Corolla wurden mehr Autos gebaut, aber trugen diese nur über unzählige Generationswechsel den gleichen Namen, hatten aber sonst wenig gemeinsam. Dagegen blieb der Käfer immer gleich, wenn sich auch alle Teile änderten bis auf – angeblich – eine einzige verstecke Leiste.
Wenn es um Rekorde für die Ewigkeit geht: Gemessen am Auto-Bestand seiner Zeit bleibt das Modell T unerreicht. Wobei die „Blechliesel“ genauso wie der Volkswagen an ihrem bitteren Ende als Ladenhüter den Weltkonzern beinahe vor die Wand gefahren hätte, weil Henry Ford (als verbohrter Antisemit und Nazi-Kollaborateur eigentlich ein geborener Herrenvolkswagenfahrer) zu lange an ihr festhielt.
Polo und Golf als größte Konkurrenten des VW-Käfers
1972 standen die modernen Käfer-GegenentwürfePolo und Golf mit wassergekühltem Frontantrieb, Heckklappe und nennenswerter Kofferraum, platzspendend kantiger italienischer Designerkarosserie sowie gefühlt doppelt so guten Fahrleistungen bei halbem Verbrauch bereits in den Startlöchern. So gerade stieg VW noch vom toten Pferd ab.
1974 war endgültig Schluss in Wolfsburg mit dem gerade noch gefeierten Typ 1, 1978 auch in Emden für den Export-Beetle, Karmann baute bis 1980 Käfer-Cabriolets mit dem charakteristischen Rucksack-Verdeck in Osnabrück, für den letzten Mexiko-Käfer kam das Aus 2003.
Die Bestseller
2003 war für den VW Käfer Schluss: Nach exakt 21.529.454 Exemplaren wurde im mexikanischen Puebla die Produktion endgültig eingestellt. Damit liegt der Käfer heute noch auf Platz 5 der meistverkauften Autos.
Direkt vor dem Käfer rangieren mit dem Passat (rund 30 Millionen) und dem Golf (rund 35 Millionen) zwei weitere Volkswagen-Modelle auf den Plätzen 4 und 3. Den 2. Rang hält Ford F-Serie (Pick-up) mit etwa 40 Millionen Exemplaren. Aktueller Weltrekordler ist der Toyota Corolla, der die 50-Millionen-Marke anpeilt.
Allerdings: Umstritten ist die Zählweise. Mal geht es allein nach dem Namen am Heck wie beim Corolla, mal rechnet man nur die Typen, die weitestgehend unverändert wie der Käfer oder ein Renault 4 vom Band gelaufen sind. Eine Frage für Liebhaber.
VW-Käfer in der Nachkriegs- und Wirtschaftswunderzeit
Dem Wahn des Käfers als bestmöglichem Einsteigerauto unterlag auch ich. Der Funken Wahrheit hinter seiner vorgeblichen Zuverlässigkeit war, dass in der Nachkriegs- und Wirtschaftswunderzeit alle anderen Massenmobile schlicht viel unzuverlässiger waren.
Mein erstes selbstgekauftes Auto war 1983 ein abgerittener Standard-Käfer für 1500 DM mit 34 PS, 6-Volt-Schummerlicht, Reservehahn statt Benzinuhr, ein rollendes Rostloch mit irgendwo (wahrscheinlich beim TÜV) ergaunerten zwei Jahren TÜV und klemmendem Bremspedal, Einstieg am Ende nur noch über Beifahrerseite oder Fenster und durchlöchertem Bodenblech, damit das Wasser ablief.
Ich fuhr immer nur allein. Endgültig beendete erst Mutters neuer VW Derby, also ein Polo mit Stufenheck, die Käfer-Blindheit. Das hätte man spätestens ‘72 erkennen müssen, dass der Volkswagen aus den 30er-Jahren war.