Duisburg. Weihnachten sind Spezialitäten gefragt- auch beim Kaffee. Mehr Genuss statt schneller Tasse heißt es in der Duisburg Kaffee-Manufaktur RöstCult.
Wer als Kaffeefreund in Duisburg-Buchholz seiner Nase folgt, landet garantiert an der Münchener Straße 55. Hier hat sich Hüsniye Göktas im Februar 2020 einen Traum erfüllt: ein eigenes Café. Es gibt italienischen Kuchen und Manufaktur-Kaffee. Den stellt ihr Ehemann, Erdal Göktas, vor den Augen der Gäste her. Denn der 48-Jährige ist begeisterter Kaffeeröstmeister.
Einen anderen Beruf kann sich Erdal Göktas nicht mehr vorstellen. Vor rund 20 Jahren hat der Industriemechaniker auf Kaffee umgesattelt. In Mülheim a. d. Ruhr hat er das seltene Handwerk gelernt und arbeitet nach wie vor in einer Großrösterei. „Der Herstellungsprozess ist sehr interessant und Kaffee ist eines der aromatischsten Getränke überhaupt“, sagt der Fachmann. Kaffee habe ihn immer schon fasziniert. Nicht nur in der Tasse.
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Unbehandelte Bohnen riechen nach Heu
Die Trommelröstmaschine im hinteren Bereich des kleinen Ladenlokals ist schon optisch ein Highlight. In ihr röstet Erdal Göktas die Rohbohnen in Handarbeit. Aus klassischen 60 bis 70 Kilo-Kaffeesäcken aus Jute, per Spedition von Hamburg nach Duisburg geliefert, füllt er für eine Röstung fünf Kilo in die vorgewärmte Maschine. Unverarbeitet sind die Bohnen blass-grün. Sie duften leicht nach Heu. Die Hitze entzieht ihnen die Restfeuchte und färbt sie zunächst gelblich. Danach nehmen die Bohnen eine braune Farbe an. Und ein würziger Duft entsteigt dem Apparat. „In den Bohnen sind Gase entstanden. Das vergrößert ihr Volumen“, erklärt der Kaffeeröstmeister. Jede Bohne besteht aus circa 300.000 bis 400.000 Zellen, die über 800 Aromen enthalten. Die geschmackliche Bandbreite umfasst weit mehr Nuancen als „mild“ oder „kräftig“. Ein Kaffee kann fruchtig, nussig, nach Beeren oder wie Schokolade schmecken.
Rösten bis die Zellwände platzen
Durch die Hitzezufuhr beim Rösten laufen sehr komplexe, chemische Reaktionen ab: Zuckerstoffe und Aminosäuren verbinden sich neu. Es dauert gut zehn Minuten, dann ist der Druck in den Bohnen so groß, dass die Zellwände aufplatzen. Hörbar. Dieser Moment wird „First Crack“ genannt. Das gesamte Geschmacksspektrum entfaltet sich. Unter anderem werden Fruchtsäuren abgebaut und der Zucker karamellisiert. Das sind die spannendsten Minuten für den Kaffee-Experten. Aber auch die wichtigsten: Zu lang geröstet würden die Bohnen am Ende verkohlen. Da heißt es Experimentieren, bis die idealen Röstzeiten für die verschiedenen Kaffeesorten gefunden sind.
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Äthiopien ist weltweit der fünftgrößte Kaffee-Exporteur. So stapeln sich auch bei RöstCult Säcke mit Bohnen aus dem Anbaugebiet Sidamo. „Das ist so wie beim Wein“, sagt Göktas. Sidamo liegt im Süden von Äthiopien. Die Bohnen, die dort gedeihen, gelten als Abkömmlinge der Kaffee-Urbohne, die noch wild in den Regenwäldern wächst. Zu den Top 10 der Kaffeeländer gehören zudem Brasilien, Guatemala und Kolumbien. Auch Göktas bezieht Rohbohnen von dort – in den Sorten Arabica oder Robusta. Der kommt aus Indien. Arabica gilt als Königin der Kaffeebohnen. Die ovale, große Bohne führt mit ihrem süßen, fruchtigen Bukett die weltweite Produktion an. 100 Prozent Arabica ist für viele eine Genussgarantie. „Es gibt auch tolle Mischungen aus Arabica und Robusta“, weiß Hüsniye Göktas. Viele Kunden hätte sich im Ausschank davon überzeugt. Robusta-Bohnen enthalten generell weniger Zucker, dafür doppelt so viel Koffein wie Arabica. So sorgen sie morgens für den richtigen Kick zum Wachwerden. In Milchgetränken wie Cappuccino oder Latte Macchiato lassen sie das Kaffeearoma nicht untergehen. Und der niedrige Ölgehalt des Robusta kann eine stabilere Crema erzeugen.
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Ob ein Kaffee am Ende gut schmeckt, hängt von sehr vielen Faktoren ab. Nicht nur Sorte und Röstung oder Zubereitung beeinflussen die Qualität. Schon bei den Produzenten und den Anbaubedingungen in einem milden, feuchten Klima beginnt der Kreis. Erdal Göktas hat in den jeweiligen Herkunftsländern nach Herstellern gesucht, die unter transparenten und fairen Bedingungen produzieren. „Die Ware ist handgepflückt und frei von Toxin. Doch ein spezielles Label haben diese Produzenten nicht.“ Kleinere Betriebe könnten sich die Öko-Zertifizierung oft nicht leisten. Doch die Göktas wissen, woher ihre Ware stammt. Zehn Sorten haben sie im Angebot, im Laden aber auch im Online-Shop (www.roestcult.com).
Dass sie so schnell im Internet verkaufen, hatten sie nicht geplant. „Doch wegen Corona sind wir kurz nach der Eröffnung des Cafés an den Start gegangen. Wir hatten Angst, uns mit dem Geschäft zu übernehmen“, sagt Hüsniye Göktas. Ihre feste Anstellung hatte die Sozialwissenschaftlerin aufgegeben. Doch bald habe es sich in Buchholz herumgesprochen, dass der Kaffee aus der kleinen Rösterei besonders gut schmeckt. Stammkunden schwören zudem auf die italienischen Torten und das Gebäck. Und an der Siebträgermaschine steht Leon Baram Göktas (21), der Sohn der Familie. „Er ist ein wunderbarer Barista.“
Die Aromen müssen sich entfalten
So frisch und schonend geröstet, wollen manche den Kaffee am liebsten gleich aus der Röstmaschine mitnehmen. „Das wäre nicht gut“, erklärt Erdal Göktas. Er gönnt den Bohnen vor dem Einfüllen in Papiertüten ein paar Tage Ruhe in großen Weißblechdosen. „So können sich die Aromen noch entfalten“, betont er. Bei der Weiterverarbeitung schwört er auf „blending after roasting“: Gemischt wird erst nach der schonenden Röstung. „Der Arbeitsaufwand ist höher. Aber er lohnt sich geschmacklich.“ Sortenreine Kaffees gehören auch zum Angebot.
„Keep calm and drink coffee“ steht einladend auf der Tafel neben der Kuchentheke. Die Ruhe, die Erdal Göktas den Bohnen beim Rösten gönnt, scheint sich auf die Kaffeespezialitäten zu übertragen. Die Gäste genießen es und bleiben gern länger.
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