Düsseldorf. Weiblich, jung, machthungrig – Verena Schäffer und Josefine Paul wollen als neue Doppelspitze der Grünen in NRW durchstarten: ein Doppel-Porträt.

Weiblich, jung, machthungrig – die neue Grünen-Doppelspitze greift an. Wir stellen in der digitalen Sonntagszeitung beide Politikerinnen im Porträt vor.

JOSEFINE PAUL

Politisches Engagement beginnt oft mit starken Gefühlen. Bei Josefine Paul (39), Fraktionschefin der Grünen im NRW-Landtag, war es Empörung. Im Mai 1993 zünden Rechtsextremisten das Haus der Familie Genc in Solingen an. Fünf Menschen sterben, das jüngste Mordopfer ist vier Jahre alt. Der Anschlag wühlt die Schülerin Josefine, Sechstklässlerin in einem Helmstedter Gymnasium, auf. Es ist nicht das erste fremdenfeindliche Verbrechen, das Deutschland kurz nach der Wiedervereinigung erschüttert. Noch immer wecken Ortsnamen schlimmste Erinnerungen: Solingen, Rostock-Lichtenhagen, Hoyerswerda, Mölln.

Prägende Bilder

Die Nachrichten-Bilder aus Solingen prägen die Gedanken der damals elfjährigen Gymnasiastin Josefine Paul, aufgewachsen an der früheren deutsch-deutschen Grenze. „Warum wird jemand wegen seines Äußeren oder seiner Herkunft verfolgt, beleidigt, geschlagen oder sogar getötet? Das konnte ich als junge Schülerin nicht begreifen. Hass und Hetze wollte und will ich nicht hinnehmen“, erinnert sich die Grünen-Politikerin. Sie gründet mit Mitschülern ein „Bündnis gegen Gewalt und Ausländerfeindlichkeit‘. Die Kinder malen sich ihre Hände bunt an und drücken sie auf ein weißes Bettlaken, um zu zeigen: Die Welt ist bunt, und das ist gut so. Daraus formt Paul später ein politisches Leitmotiv: „Diversität ist der Schlüssel zum Erfolg. Die Potenziale liegen in unserer Unterschiedlichkeit.“

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Hart, fair, emotional: Josefine Paul (39) kämpft für Vielfalt und spielt leidenschaftlich gern Fußball.
Hart, fair, emotional: Josefine Paul (39) kämpft für Vielfalt und spielt leidenschaftlich gern Fußball. © dpa | Roland Weihrauch

Seit sieben Monaten steht die Historikerin Josefine Paul zusammen mit Verena Schäffer an der Spitze der NRW-Landtagsfraktion. Zeit zum Einarbeiten blieb ihr nicht: „Wir mussten wegen Corona besonders schnell in die Gänge kommen. Wir wurden sozusagen ins kalte Wasser geworfen.“

Mit offenem Visier

Paul zählt zu den ungewöhnlichsten Akteuren im Landtag. Am Rednerpult fällt ihr glasklares, niedersächsisches Hochdeutsch auf. Ohne einen Anflug von Dialekt oder Akzent streitet die junge Frau geradeheraus und mit offenem Visier. „Ich bin kämpferisch, aber nicht unversöhnlich. Ungeduldig und zeitweise vielleicht auch mal etwas grummelig“, sagt Paul über sich selbst. Der Ministerpräsident muss sich da einiges anhören. Armin Laschet dürfe die Erfolge bei der Pandemiebekämpfung „jetzt nicht wieder durch Zick-Zack-Kurs und Auf-Sicht-Fahren verstolpern“, grollte die Fraktionsvorsitzende im Mai. Die Abteilung Attacke liegt ihr. Allerdings neigt Paul, wie viele Abgeordnete, dazu, Alltags- durch Politikersprache zu verkomplizieren. Dann sagt sie „niedrigschwellig“ und „prekäre Lebensverhältnisse“ statt „einfach erreichbar“ und „arm“.

„Ich konnte gut grätschen“

Das Kämpferische dürfte viel mit dem Fußball zu tun haben, der Josefine Paul seit frühester Kindheit begleitet. „Ball gehörte zu den ersten Wörtern, die ich sagen konnte“, erzählt sie. Und dass die Politik vom Fußball zum Beispiel diese Lektion lernen könne: „Nach dem Abpfiff ist der Gegner kein Gegner mehr.“ Und: „Fußball ist ein simples Spiel, in dem das Team wichtiger ist als der Einzelne.“ Fairplay sei ihr wichtig,. „Ich konnte gut grätschen, foul habe ich dabei aber nur selten gespielt und auch nur sehr selten eine gelbe Karte bekommen“, versichert sie.

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Seit ihrem 13. Lebensjahr kickt Josefine Paul, die heute in Münster wohnt. Erst im Mädchenteam des TSV Barmke in Helmstedt, beim TuS Saxonia Münster sogar in der Westfalenliga und heute nur noch ab und zu beim Frauen- und Lesbensportverein „Weiberkram“ in Düsseldorf. Der Fußballsport müsse in Sachen Gleichberechtigung noch nachlegen: „Frauen und Männer werden auch 50 Jahre nach der Aufhebung des Frauenfußballverbots in vielen Vereinen nicht gleichbehandelt. Da bekommen Männer die guten Stutzen, die neuen Trikots, die besseren Platzzeiten.“

Kampf für Kinderrechte

In der Fraktion gehört Sportpolitik ebenso zu Pauls Schwerpunkten wie Kinder, Jugend und Familie. Kinder und Jugendliche hätten unter der Pandemie besonders gelitten, aber kaum die Chance gehabt, ihre Interessen richtig zu vertreten, findet sie. Schwerpunkt Nummer drei ist der Einsatz für Frauen und für die Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen trans- und intergeschlechtlichen Menschen. Das Transsexuellenrecht müsse ebenso dringend modernisiert werden wie das aus Pauls Sicht veraltete Abstimmungsrecht.

Hart, fair und emotional ist die Wahl-Münsteranerin. Die Liebe führt sie, so oft, wie es das politische Geschäft zulässt, nach Sachsen: Die dortige Justizministerin Katja Meier (Grüne) und Josefine Paul sind ein Paar. „Man sollte nichts verstecken“, sagte Paul jüngst in einem „Zeit“-Doppel-Interview mit ihrer Partnerin. Die Welt, weiß sie seit ihrer Schulzeit, ist eben bunt – und das ist gut so.

Das Dossier NRW: nur im E-Paper Ihrer Zeitung.
Das Dossier NRW: nur im E-Paper Ihrer Zeitung. © ldiessner

VERENA SCHÄFFER

Manchmal scheitert die beste Planung an „Bibi und Tina“. Als Verena Schäffer im vergangenen Herbst beim ersten Digital-Parteitag der NRW-Grünen eine Rede hält, laufen plötzlich ihre beiden Kinder durchs Bild und verlangen nach der Mama. Die zur Ablenkung der Kleinen fest eingeplante Pferdefreundinnen-Serie auf dem Bildschirm im Nachbarzimmer endete dummerweise einige Minuten zu früh.

Schäffer, seit Oktober 2020 Co-Vorsitzende der Grünen-Landtagsfraktion, ist die Störung damals sichtlich unangenehm. Obwohl die Organisationspanne vor aller Augen eher wie ein Statement wirkt: Seht her, bei den Grünen sind junge Frauen an den Schalthebeln der Macht, die anders als all die Apparatschiks des Politik-Betriebs genau wissen, was Homeoffice in Zeiten der Corona-Pandemie bedeutet.

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Die heute 34-jährige Schäffer hatte eigentlich die klassische Karriere für den grünen Mittelbau eingeschlagen. Aufgewachsen in Witten, früh engagiert in der Frauenpolitik der Grünen Jugend, sozialisiert in der Parteilinken, Bachelor-Studium in Geschichte und Jüdischen Studien. 2010 zog sie als jüngste Abgeordnete in den NRW-Landtag ein und kennt bis heute kein Berufsleben außerhalb der Politik.

Respekt durch Wissen und gute Vorbereitung

Doch 2012 entschied sich Schäffer, die grüne Komfortzone zu verlassen. Sie wurde innenpolitische Sprecherin ihrer Fraktion und tummelte sich fortan auf einem Politikfeld, das in der lange polizei-skeptischen Öko-Partei mit Law-and-Order-Allergie wenig Prestige verheißt. „Im eher männerdominierten Innenausschuss war es schwierig, sich als junge Frau durchzusetzen“, bilanzierte sie einmal in einem Interview. „Ich wurde dort oft nicht ernst genommen.“

Sie verlegte sich auf eine Strategie, die sie in vielen innenpolitischen Schlachten zu einer der angesehensten Gesprächspartnerinnen in Düsseldorf machte: Schäffer verschaffte sich mit Wissen und guter Vorbereitung Respekt. Selbst wer ihre Ansichten nicht teilte, attestierte ihr Fleiß beim Aktenstudium. Sogar der erfahrene CDU-Innenminister Herbert Reul, der harte Hund der Regierung Laschet, lobt hinter vorgehaltener Hand die Akribie der halb so alten Kollegin.

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Nach der Landtagswahl-Niederlage 2017 stieg Schäffer zur Parlamentarischen Geschäftsführerin in der gerupften Landtagsfraktion auf. In dieser Schlüsselposition empfahl sie sich schließlich für die Fraktionsspitze. Geht da noch mehr? Die NRW-Grünen werden seit drei Jahren von einem nicht enden wollenden Stimmungshoch getragen. Knapp ein Jahr vor der nächsten Landtagswahl liegen sie in Umfragen erstmals vor der Union und könnten demnächst in der Staatskanzlei einziehen.

Verena Schäffer hat sich als Innenexpertin durchgebissen und will zeigen, dass man als junge Mutter Spitzenämter bekleiden kann.
Verena Schäffer hat sich als Innenexpertin durchgebissen und will zeigen, dass man als junge Mutter Spitzenämter bekleiden kann. © dpa | Roland Weihrauch

Gestiegene Erwartungen

An einem Donnerstagmittag sitzt Verena Schäffer müde in einem Sitzungssaal des Landtags. Hinter ihr hängt ein Großporträt von Joseph Beuys. Der Düsseldorfer Künstler, der in diesen Tagen 100 geworden wäre, ist eine Ikone der Grünen. Schäffer hetzt seit 8.30 Uhr durch ihren Terminkalender. Auch wenn die Umfragewerte schon lange Volkspartei-Niveau erklommen haben, zählt die Fraktion weiterhin nur 14 Abgeordnete. Schäffer ist als Generalistin an der Fraktionsspitze, als innenpolitische Sprecherin und als Expertin im Untersuchungsausschuss gefragt.

„Wir nehmen die guten Umfragewerte mit Demut zur Kenntnis, denn wir wissen, welch große Verantwortung mit den gestiegenen Erwartungen an uns verbunden ist“, sagt sie. Lange hat sie überlegt, ob der Schritt in die erste Reihe in ihre aktuelle Lebenssituation passt. Die Kinder sind klein. Sie lebt mit ihrem Mann, einem Wissenschaftler, in Witten und in Köln. Doch Schäffer, die 2016 das erste Kinderzimmer im Landtag einrichten ließ, will sich und anderen jungen Frauen zeigen, dass man nicht zurückziehen muss: „Ich finde es wichtig, dass es auch Politikerinnen und Politiker in Führungsfunktionen gibt, die die Erfahrungswelt berufstätiger Eltern mit kleinen Kindern aus eigenem Erleben kennen“, sagt sie.

Schäffer verfolgt in der Oppositionsarbeit einen eigenen Stil. Sie will rein inhaltlich argumentieren und spricht deshalb am Rednerpult des Landtags oft zu schnell und etwas kurzatmig in vollgepackten Sätzen. Das knackige Zitat oder die bissige Pointe, die im Medienbetrieb Aufmerksamkeit bescheren, sind nicht ihr Ding. „Kritisch in der Sache, aber fair im Ton und konstruktiv mit eigenen Vorschlägen soll unsere Oppositionsarbeit gegenüber der Regierung Laschet sein“, findet sie.

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Wer für die Grünen im nächsten Jahr um das Ministerpräsidenten-Amt kämpfen wird, ist noch offen. Erst nach der Bundestagswahl wird das Personaltableau geordnet. „Die Frage der Spitzenkandidatur der NRW-Grünen für die Landtagswahl 2022 werden wir Ende des Jahres beantworten. Entscheidend wird dabei sein, wer unsere grünen Anliegen mit den größten Erfolgsaussichten vertreten kann und dabei als Persönlichkeit die Mitte der Gesellschaft anspricht“, erklärt Schäffer vielsagend.

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