Studie zeigt: Bei Patienten, die mit gepanschten Krebsmitteln aus Bottrop behandelt wurden, traten Tumore früher erneut auf. Das sagen Betroffene

Bei Brustkrebspatientinnen, die mit Medikamenten behandelt wurden, die in der Bottroper Apotheke hergestellt wurden, ist der Zeitraum, in dem erneut Tumore aufgetreten sind, wesentlich kürzer als bei vergleichbaren Patienten. Außerdem brauchten Patienten aus Bottrop zur Behandlung „signifikant mehr Infusionen“ als Patienten, die mit ordnungsgemäß hergestellten Medikamenten behandelt wurden. Das sind die zwei Hauptaussagen einer Vergleichsstudie, die das Gesundheitsministerium NRW am Dienstag den Betroffenen des Apothekerskandals vorgestellt hat.

Dafür hatte Studienleiterin Professor Ulrike Haug vom Bremer Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie den Krankheitsverlauf einer Gruppe von Betroffenen des Apothekerskandals mit dem Krankheitsverlauf von Patienten verglichen, die ihr Medikament aus anderen Apotheken erhielten. Dabei stellte sich dann heraus, dass es in beiden Gruppen bei 26 Prozent der Brustkrebspatientinnen zu einem Wiederauftreten der Krankheit kam. Der Unterschied: Bei der Bottroper Gruppe war es im Schnitt nach 565 Tagen der Fall, bei der Vergleichsgruppe nach 638 Tagen.

Frage nach einem erhöhten Sterberisiko kann nicht abschließend geklärt werden

Es bleiben aber auch Fragen offen – etwa die nach einem erhöhten Sterberisiko. Denn „ob dies mittelfristig auch mit einer höheren Sterberate einhergeht, kann derzeit nicht beurteilt werden“, heißt es seitens der Studienverantwortlichen. Es sei jedoch denkbar, dass das frühere Wiederauftreten von Tumoren „mittel- bis langfristig durchaus zu Unterschieden im Überleben führen bzw. geführt haben könnte“, heißt es in der Studie.

„Damit steht jetzt fest, dass tatsächlich auch Patienten geschädigt wurden – was wir ja immer schon gesagt hatten“, sagt Heike Benedetti, die den Kampf der Apothekeropfer mit ausgefochten hat. Sie sei dankbar, dass das Land diese Studie in Auftrag gegeben hat und die Opfer damit nun Gewissheit hätten. Allerdings: Individuelle Schädigungen lassen sich mit einem solchen Gruppenvergleich nicht nachweisen. Wer jetzt genau durch unterdosierte Medikamente geschädigt wurde, lässt sich nicht mehr nachvollziehen. Unklar ist auch, inwieweit es längerfristige Auswirkungen gibt. Um das beurteilen zu können, sei eine längere Beobachtungszeit interessant, so Ulrike Haug.

Studie war für alle Betroffenen des Apothekerskandals wichtig

Trotzdem sei diese Studie für alle Betroffenen enorm wichtig, sagt Martin Porwoll, der als Hinweisgeber den Fall überhaupt erst ins Rollen gebracht hatte. Er verweist auf den psychologischen Aspekt, hatte die Verteidigung im Prozess doch zwischenzeitlich gar infrage gestellt, dass überhaupt Patienten geschädigt wurden. Das sei nun geklärt, so seine Auffassung, und ähnlich habe sich auch Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann in der Videokonferenz mit den Betroffenen geäußert. Das Ergebnis ist aus Porwolls Sicht sogar klarer als erwartet, war man sich zunächst doch gar nicht sicher, ob die Untersuchung valide Ergebnisse ergebe.

Auch für die längere Behandlungsdauer liefert die Studie einen Erklärungsansatz. Demnach sei es denkbar, dass die behandelnden Ärzte festgestellt hätten, dass die Therapie noch nicht abgeschlossen sei und die Behandlung deshalb weiter geführt hätten. Und da man im Moment davon ausgehen müsse, dass die Medikamente willkürlich gestreckt wurden, habe es vom Zufall abgehangen, wer korrekt und wer falsch dosiert Medikamente erhalten habe. „Dementsprechend hätte sich bei einer Verlängerung der Therapie die Chance erhöht, dass die Person Zubereitungen mit normalem Wirkstoffgehalt erhielt.“ Das wiederum könne erklären, warum im Vergleich das erneute Tumoraufkommen und auch die Sterblichkeit nicht erhöht waren – bis zum jetzigen Zeitpunkt.

Gesundheitsminister zeigt sich von von dem Fall „erschüttert“

Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann jedenfalls hofft, dass diese Studie zur Aufklärung der Auswirkungen dieser nicht ordnungsgemäßen medikamentösen Versorgung beitrage. „Bei dem Fall des Bottroper Apothekers handelt es sich um ein unfassbares Verbrechen, das mich zutiefst erschüttert hat.“ Es habe zudem das Vertrauen in die ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung beschädigt.

Verfassungsbeschwerde

Zuletzt hatte der Bundesgerichtshof das Urteil des Essener Landgerichts bestätigt. Damit war die Verurteilung des Bottroper Apothekers zu zwölf Jahren Haft rechtskräftig. Gleichzeitig hatte das Landgericht ein Berufsverbot gegen ihn verhängt. Allerdings will sich der Verurteilte damit immer noch nicht abfinden. Seine Anwälte haben beim Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerde erhoben. Im August vergangenen Jahres ging die Beschwerde ein.

Heike Benedetti jedenfalls will die Studie zum Anlass nehmen, über mögliche zivilrechtliche Konsequenzen nachzudenken. Wie sie sich nach dem nun über vier Jahre währenden Kampf entscheidet, weiß sie noch nicht. Denn: „Irgendwann muss man ja auch wieder leben.“